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Finanzpolitische Vorstellungen von Bündnis 90/Die Grünen

22.09.2021Artikel
Lisa Paus
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Im Vorfeld der kommenden Bundestagswahl haben wir Fraktionen aus dem Deutschen Bundestag darum gebeten, ihre finanzpolitischen Vorstellungen und Schwerpunkte für die kommende Legislaturperiode zusammenzufassen. Die einzelnen Beiträge werden wir kurz vor der Wahl nach und nach in unserem Blog veröffentlichen. 

Texte und Inhalte stehen allein in der Verantwortung der jeweiligen Autorinnen/Autoren.   

Aufreibende Monate liegen hinter uns: Covid-19 hat sich in unserer hochgradig vernetzten Welt in Rekordzeit ausgebreitet. Und zu einem Wirtschaftseinbruch geführt, der die Weltfinanzkrise in den Schatten stellt. 

Banken in Corona-Krise Teil der Lösung 

Anders als 2008 war der Finanzsektor in der Corona-Krise Teil der Lösung und nicht Teil des Problems: Banken in Deutschland und Europa konnten ihre Kernfunktion, Unternehmen und Privatpersonen mit Krediten zu versorgen, aufrechterhalten. Und haben in Verbindung mit den milliardenschweren Liquiditätshilfen der öffentlichen Hand einen wichtigen Beitrag geleistet, die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Realwirtschaft abzufangen. 

Kapitalpuffer Garant für Stabilität in stürmischen Zeiten

Trotzdem werden Insolvenzen in den am heftigsten von der Krise betroffenen Branchen nicht ausbleiben. Banken müssen sich für künftige Ausfälle wappnen. Hier kommt es dem Bankensektor zugute, dass er infolge der härteren Regulierung nach der Finanzkrise über mehr Eigenkapital verfügt. Und damit heute deutlich widerstandsfähiger ist als vor der Finanzkrise. Daran zeigt sich: Dicke Kapitalpuffer sind in stürmischen Zeiten ein Garant für Stabilität. Sie im Namen der Wettbewerbsfähigkeit abzuschmelzen führt höchstens kurzfristig zum Erfolg. Langfristig sind Banken, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam besser aufgestellt, wenn wir beizeiten Krisenvorsorge betreiben. 

Leistungsfähige Partner bei der sozial-ökologischen Transformation

Umgekehrt liegt ein starker und nachhaltiger Finanzsektor ebenfalls im gesamtgesellschaftlichen Interesse. In den kommenden Jahren werden massive Investitionen benötigt, um den beispiellosen Strukturwandel hin zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Die öffentliche Hand wird diesen Kapitalbedarf alleine nicht decken können. Sie braucht leistungsfähige Banken und Kapitalmärkte an ihrer Seite, um die notwendigen Mittel zu mobilisieren.

Ein anderes Risikobewusstsein

Dafür ist es entscheidend, dass Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken besser verstanden und eingepreist werden. Als Finanzmarktrisiken sollten sie von allen relevanten Akteuren systematisch erfasst und in aufsichtsrechtlichen Anforderungen sowie Ratings berücksichtigt werden. Zusätzlich können regelmäßige Stresstests einen Beitrag leisten, das Finanzsystem für den Klima- und Strukturwandel zu wappnen. 

Ehrgeizige Leitlinien für Nachhaltigkeit

Zweitens gilt es die notwendige Datengrundlage zu schaffen, damit Nachhaltigkeitsaspekte in Investitionsentscheidungen einfließen können. Voraussetzung sind klare Leitlinien, welche Investitionen als nachhaltig eingestuft werden können. Genau dies ist Ziel der EU-Taxonomie, eines Klassifizierungssystems für ökologisch-nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten.

Ehrgeizige Nachhaltigkeitskriterien, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und industriellen Erfahrungen basieren, sind Voraussetzung für den langfristigen Erfolg des Marktes nachhaltiger Geldanlagen. Deswegen betrachten wir mit großer Sorge, dass die Taxonomie nun aufgeweicht zu werden droht.  Ein Nachhaltigkeitslabel auch für Gas und Atomkraft würde die Glaubwürdigkeit der Taxonomie irreparabel beschädigen – gerade bei vielen Anlegerinnen und Anlegern in Deutschland.

Nachhaltigkeit als Chance 

Außerdem droht Europa die Chance zu vergeben, mit strikt wissenschaftlichen Kriterien weltweit Standards im schnell wachsenden Markt der nachhaltigen Geldanlagen zu setzen. Das wäre ein schwerer Fehler, denn Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern das Thema, das Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im nächsten Jahrzehnt prägen wird – rund um den Globus. Der europäische Finanzsektor hat die Chance hier Vorreiter zu werden. Und sich gegenüber seinen Mitbewerbern Vorteile zu verschaffen, indem er Geldflüsse in die Richtung lenkt, der die Zukunft gehört. 

Sprung ins digitale Zeitalter

Auch der Sprung ins digitale Zeitalter ist eine Herausforderung, die der Finanzsektor in den kommenden Jahren bewältigen muss. Digitales Bezahlen gewinnt in unserem Alltag stetig an Bedeutung. Es ist begrüßenswert, dass mit der European Payments Initiative an einer gemeinschaftlichen europäischen Alternative für Bezahllösungen im Netz gearbeitet wird. So verhindern wir, dass der Finanzplatz Europa in diesem wichtigen Zukunftsfeld international abgehängt wird. Und können Verbraucherinnen und Unternehmen hohe europäische Standards in puncto Daten- und Rechtssicherheit gewährleisten. Aus diesem Grund befürworten wir auch die Initiative der Europäischen Zentralbank, einen digitalen Euro zu schaffen, der klassisches Bargeld nicht ablöst, sondern ergänzt. 

Einheitlicher europäischer Kapitalmarkt 

Auch über 20 Jahre nach Einführung des Euro lässt sich noch immer eine Fragmentierung des europäischen Finanzmarktes entlang nationaler Grenzen beobachten. Ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt könnte die Widerstandsfähigkeit der Eurozone gegen Krisen durch eine breitere Verteilung der privaten Lasten verbessern. Und die Position der europäischen Kapitalmarktteilnehmer gegenüber ihren internationalen Mitbewerbern stärken. Deshalb wollen wir beim Insolvenz-, Steuer- und Gesellschaftsrecht an gezielten Stellen Schritte zur Harmonisierung vornehmen, um einen integrierten Markt für Euro-Vermögenswerte zu schaffen und grenzüberschreitende Investitionen zu fördern. 

Starke europäische Kapitalmarkt- und Geldwäscheaufsicht

Um langfristig erfolgreich zu sein, muss die Kapitalmarktunion den Anlegern darüber hinaus hohe Standards hinsichtlich Verbraucherschutz und Transparenz bieten. Die europäische Kapitalmarktunion braucht daher eine starke europäische Kapitalmarktaufsicht bei der ESMA. Auch die schweren Geldwäscheskandale in der Eurozone haben dem Ruf des deutschen und europäischen Finanzplatzes schweren Schaden zugefügt. Dem können wir mit einer unabhängigen und leistungsfähigen EU-Geldwäscheaufsicht sowie einer EU-Finanzpolizei im Rahmen von Europol entgegenwirken.

Bankenunion vollenden

Schließlich muss auch die Bankenunion vollendet werden, um die Währungsunion für künftige Krisen zu wappnen. Hierzu gehört neben einer funktionsfähigen Rückversicherung in angemessener Höhe für den einheitlichen Abwicklungsfonds ein gemeinsames Einlagensicherungssystem. Wir wollen dieses als Rückversicherungssystem einführen, sodass nationale Institute an ihren bewährten Sicherungssystemen festhalten können, diese aber im Falle einer größeren Krise ebenfalls abgesichert sind.

Für eine digitale, nachhaltige und europäische Zukunft

Uns stehen stürmische Zeiten bevor und weitere Krise werden nicht zu vermeiden sein. Umso wichtiger ist, beizeiten vorzusorgen: Wenn Politik und Finanzsektor gemeinsam vorausschauen, können wir den Wandel gestalten, statt uns von ihm überrollen zu lassen. Welche Richtung für den Finanzstandort Deutschland Zukunft verspricht, steht für uns fest: europäisch, verbraucherorientiert, digital und nachhaltig. Ich bin überzeugt: Auf dem Weg dorthin bieten sich vielfältige Chancen – vor allem für  diejenigen, die mutig vorangehen.