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EZBZinsenNachhaltigkeit

Strategieüberprüfung der Europäischen Zentralbank

13.01.2020Positionspapier
Volker Hofmann
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Zusammenfassung des Positionspapiers

Die Europäische Zentralbank (EZB) will ihre geldpolitische Strategie überprüfen. Der Bankenverband begrüßt dieses Vorhaben. Mit diesem Positionspapier möchte er die öffentliche Diskussion dazu konstruktiv begleiten. 

Ausgestaltung des Inflationsziels

  • Das Inflationsziel der EZB sollte künftig als eine Art Inflations- oder Toleranzband zwischen ein und zwei Prozent ausgelegt werden. Dies wäre unter anderem eine Symbiose zwischen der ursprünglichen Formulierung des EZB-Ziels von „unter 2 %“ und der im Jahr 2003 erfolgten Umformulierung in „unter, aber nahe 2 %“.
  • Aus Zielverfehlungen darf auch weiterhin kein geldpolitischer Automatismus abgeleitet werden.

Berücksichtigung von Nebenwirkungen

  • Die EZB muss die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik grundsätzlich eng im Blick behalten. Erst recht, wenn sie auf „unkonventionelle“ Instrumente zurückgreift, die in der Regel noch stärkere Nebenwirkungen haben, oder wenn sich die Geldpolitik bereits eine sehr lange Zeit in die gleiche Richtung bewegt hat.
  • Die unerwünschten Nebenwirkungen von Negativzinsen auf den Bankensektor sollten über einen Staffelzins entschlossen reduziert werden. In Japan werden gut 90 % der Überschussliquidität vom Negativzins freigestellt. Im Euroraum sind es gegenwertig weniger als 50 %.

„Grüne“ Geldpolitik

  • Die EZB könnte klimapolitische Ziele im Rahmen ihres „Nebenmandats“ verfolgen, welches ihr die Aufgabe gibt, die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen.Trotz der überragenden politischen Bedeutung des Klimaschutzes, die der Bankenverband nachdrücklich unterstützt, gilt jedoch auch hier die eindeutige Ziel- beziehungsweise Aufgabenhierarchie mit dem Primat der Preisstabilität.
  • Ein effizientes Steuerungselement für Klimarisiken wäre es, wenn sich die Klimaeffekte sachgerecht in den Preisen oder der Risikobewertung niederschlagen würden. Werden hier, etwa durch entsprechende Vorgaben und eine geeignete Ausgestaltung der allgemeinen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, Fortschritte erreicht, dann würden Klimaaspekte letztlich „automatisch“ in die Geldpolitik einfließen.

Kommunikation

  • Die geldpolitische Steuerung der EZB sollte für Marktakteure, Wissenschaft und die breite Öffentlichkeit so transparent wie möglich sein. Auch unterschiedliche geldpolitische Auffassungen im EZB-Rat sollten öffentlich dargestellt werden.
  • In dem Maße, wie die EZB, etwa durch ein Inflationsband, eine größere Handlungsflexibilität erhält, steigen auch die Kommunikations- und Transparenzanforderungen gegenüber der Öffentlichkeit.
 

Positionen zur Strategieüberprüfung der Europäischen Zentralbank

Die neue EZB-Präsidentin hat eine Überprüfung der geldpolitischen Strategie angekündigt (Strategic Review). Das Projekt soll im Jahr 2020 starten. Bislang hat die EZB ihre geldpolitische Strategie erst einmal, im Jahr 2003, überprüft und nennenswert modifiziert.

Mandat und Ziel der EZB
Das Mandat des Eurosystems (EZB und alle nationalen Zentralbanken, die den Euro eingeführt haben) ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank festgelegt, die zugleich ein Protokoll des AEUV ist. Vorrangiges Ziel des ESZB* ist es demnach, die „Preisstabilität zu gewährleisten“. Soweit es ohne Beeinträchtigung der Preisstabilität möglich ist, „unterstützt das EZSB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen“.
Gleich zu Beginn der Währungsunion legte der EZB-Rat fest, dass „Preisstabilität“ gewährleistet sei, wenn der Harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Währungsunion mittelfristig unter 2 % liege. Nach einer Überprüfung der geldpolitischen Strategie im Jahr 2003 führte der EZB-Rat auch eine Art Untergrenze für die „Preisstabilität“ ein, die aber mit der Formulierung „unter, aber nahe 2 %“ bewusst nicht so exakt gesetzt wurde wie die Obergrenze.
* Das ESZB (Europäische System der Zentralbanken) umfasst die EZB und alle Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten; der AEUV geht davon aus, dass letztlich alle EU-Staaten auch den Euro einführen werden.

Der Hintergrund für die angekündigte Überprüfung ist vielschichtig. 

  • Ein zentraler Punkt ist, dass die Inflationsrate im Euroraum in den vergangenen Jahren als zu niedrig beurteilt wird. Das Inflationsziel der EZB von „unter, aber nahe 2 %“ wird demnach seit Jahren unterschritten. Minimalanforderung der Überprüfung wäre es vor diesem Hintergrund, zu klären, wie dicht die Inflationsrate überhaupt an der Zwei-Prozent-Marke liegen soll. Konkret: Ist es sinnvoll, das Inflationsziel als eine Art Punktziel von 1,9 % zu verstehen?
  • Weitere Aspekte bei der Prüfung sollten die langjährigen, globalen Trends bei der Preis- oder Produktivitätsentwicklung sein. Offenkundig haben Globalisierung und Digitalisierung auch deutliche Wirkungen auf die Preisentwicklung. Durch mehr Wettbewerb und eine größere Preistransparenz bremsen sie die Inflation strukturell. Auch dem demografischen Wandel in den Industriestaaten muss in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle zugesprochen werden, weil er mit einer höheren Ersparnis einhergeht und so die Zinsen und die laufende Nachfrage drückt.
  • Hinzu kommt, dass „unkonventionelle“ geldpolitische Maßnahmen zu einer Dauereinrichtung geworden sind. Diese Maßnahmen, wie etwa negative Leitzinsen und ein umfangreiches Kaufprogramm von Vermögenswerten, sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden und sollten ursprünglich nur temporär zum Einsatz kommen.
  • Und: In der bereits öffentlich geführten Debatte zur EZB-Strategie spielt die Frage, ob und inwieweit die EZB ihre Geldpolitik auch an Klima- und Nachhaltigkeitskriterien ausrichten kann, inzwischen eine wachsende Rolle.  

Der Bankenverband begrüßt die Strategieüberprüfung durch die EZB. Er hält die Prüfung auch deswegen für notwendig, weil die Negativzinspolitik in der breiten Öffentlichkeit – nicht nur in Deutschland – auf zunehmende Verständnisprobleme stößt. Ohne einen möglichst großen Rückhalt in der Bevölkerung würde die Geldpolitik aber ihre Wirkungsmöglichkeiten schwächen und an Effizienz verlieren. 

1. Ausgestaltung des Inflationsziels

In einem marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftssystem und einer Währungsunion aus 19 finanzpolitisch souveränen Staaten kann die Geldpolitik die allgemeine Preissteigerungsrate nur indirekt, nur mit großer zeitlicher Verzögerung und insgesamt nur recht grob steuern. Darüber hinaus macht auch die tiefere und engere Integration der einzelnen Volkswirtschaften in globale Märkte eine passgenaue, nationale geldpolitische Steuerung schwieriger. Dieser Ungenauigkeit sollte die EZB bei der Ausgestaltung ihres Inflationsziels Rechnung tragen. Sie kann sich so ein notwendiges Maß an diskretionärem Handlungsspielraum bewahren und angemessen auf Sondereffekte oder sich ändernde Umfeldbedingungen reagieren.

Dies setzt zum einen voraus, dass das Inflationsziel am besten mit einer hinreichenden Bandbreite formuliert wird. Zum anderen sollten Abweichungen vom Inflationsziel keine automatischen Reaktionen der Notenbank auslösen. Auch Inflationsraten, die außerhalb des Zielbands liegen, sollten zunächst sehr sorgfältig analysiert und erläutert werden. Das gilt erst recht, wenn sich die Zinspolitik bereits sehr nah an oder sogar unter der Null-Prozent-Schwelle befindet (s. folgenden Info-Kasten).

 
Null-Prozent-Grenze und Negativzinsen
Nach Auffassung des Bankenverbandes ist die Nullprozentgrenze nach wie vor ein besonderer Schwellenwert in der Zinspolitik. Negative Zinsen stoßen auf erhebliche Verständnis- und Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit. Die Gefahr von unerwünschten Nebeneffekten und Ausweichreaktionen ist groß. Da Geschäftsbanken beispielsweise einen sprunghaften Verlust von Kundengeldern befürchten, scheuen sie davor zurück, negative Leitzinsen in ihr Einlagegeschäft weiterzureichen. Dadurch wird die geldpolitische Transmission gestört, der geldpolitische Impuls kommt nicht oder nur im geringen Umfang bei den Bankkunden an. Negative Leitzinsen bleiben daher zu einem großen Teil als „Sonderlast“ bei den Geschäftsbanken „hängen“, was auf Dauer deren Profitabilität und damit auch ihre Möglichkeiten zur Kreditvergabe reduziert.
Hinzu kommt die ökonomische Debatte um den sogenannten Umkehrzins (Reversal Rate). Damit ist der Notenbankzins gemeint, von dem ab die negativen Effekte einer expansiven Geldpolitik deren positiven Effekte übertreffen. Zum Beispiel indem die Sparquote der privaten Haushalte wegen der Abschaffung des Zinseszinseffekts bei Null- oder Minuszinsen sogar steigt. 
Der Umkehrzins ist nicht exakt zu ermitteln; er dürfte aber unter der Schwelle von null Prozent liegen. Mehr noch: Befinden sich die Leitzinsen im negativen Bereich, kann der Umkehrzins – so die Autoren Brunnermeier und Koby, die in einem Artikel die Grundlagen zu diesem Konzept entwickelt haben –, durch zunehmende Nebenwirkungen der Geld-
politik, sogar in Richtung der Null-Prozent-Marke steigen.

Die EZB hat in den letzten Jahren ihr selbst gestecktes Inflationsziel jedoch schleichend zu einer Art Punktziel von 1,9 % verengt. Zudem hat sie vergleichsweise mechanistisch auf Zielunterschreitungen reagiert. Eine umfassende Kommunikation mit der Öffentlichkeit, in der die EZB auch die Konsequenzen der strukturell preisdämpfenden Faktoren – insbesondere Globalisierung, Demografie und Digitalisierung – für ihr Inflationsziel erläutert, fand kaum statt. Stattdessen wurden wiederholt Deflationsrisiken betont. Die Erfahrungen der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, wonach leicht negative Inflationsraten – selbst über einen längeren Zeitraum hinweg – keine anhaltende Abwärtsspirale von allgemeinem Preisniveau, Konsum und Lohnerhöhungen auslösen, fand dabei allenfalls geringe Beachtung.

 

Position des Bankenverbandes

  • Das Inflationsziel der EZB sollte künftig als eine Art Inflations- oder Toleranzband zwischen ein und zwei Prozent ausgelegt werden. Dies wäre zunächst einmal eine passende Symbiose aus der ursprünglichen Formulierung des EZB-Ziels von „unter 2 %“ und der im Jahr 2003 erfolgten Umformulierung in „unter, aber nahe 2 %“. Sie würde zudem
  • die strukturellen Änderungen in der Preisentwicklung aufgreifen – und zwar sowohl die weltweit moderate Inflationsentwicklung als auch die Tatsache, dass selbst Inflationsraten von null Prozent nicht der Startpunkt einer gefährlichen Deflationsspirale sind –,
  • an der von Anfang an klar formulierten Obergrenze von
    2 % festhalten,
  • einen hinreichenden Abstand zu deutlich negativen Inflationsraten gewährleisten und 
  • der EZB wieder mehr Handlungsflexibilität gewähren.
  • Mit der Modifikation des Inflationsziels sollten die Währungshüter umfassende Informationen zu den Voraussetzungen und Mechanismen von Deflationsspiralen veröffentlichen. Die in der Öffentlichkeit häufig anzutreffende Gleichsetzung von bereits leicht negativen Inflationsraten und einem deflationären Prozess erscheint nicht sachgerecht. 
  • Soweit möglich sollte die EZB zusammen mit den europäischen Statistikbehörden an einer passgenaueren Erfassung der Verbraucherpreisentwicklung für den Euroraum arbeiten. So gibt es zum Beispiel relevante Bedenken, dass Kosten für selbstgenutzten Wohnraum in der Verbraucherpreisentwicklung der Eurozone unterrepräsentiert sind.
  • Unabhängig davon sollte die EZB wissenschaftlich untersuchen, ob es für die geldpolitische Steuerung vorteilhaft wäre, sich beim Inflationsziel stärker auf die Entwicklung der Kerninflationsrate (Verbraucherpreisentwicklung abzüglich besonders schwankungsanfälliger Positionen, wie zum Beispiel Energiepreise) oder den Deflator des privaten Konsums zu konzentrieren. 
  • Aus Zielverfehlungen darf auch weiterhin kein geldpolitischer Automatismus abgeleitet werden. Die EZB sollte laufend und sorgfältig die spezifischen Umfeldbedingungen für die Preisentwicklung analysieren und die Ursachen für Zielverfehlungen intensiv in der Öffentlichkeit erläutern.
  • Überlegungen, wonach die Zielunterschreitungen der letzten Jahre praktisch in einer Art Inflationsgedächtnis gespeichert werden und durch mögliche künftige Zielüberschreitungen zunächst „abzubauen“ sind, wären ebenfalls eine gewisse Form des geldpolitischen Automatismus. Ein solches Verfahren ist aber auch deshalb abzulehnen, da es sachlich nicht nachvollziehbar ist, warum Zielverfehlungen in der Vergangenheit weitere Zielverfehlungen in der Zukunft rechtfertigen sollen; abgesehen davon, dass die Vorstellung einer „exakten“ Verrechnung der unterschiedlichen Zielverfehlungen eine geldpolitische Feinsteuerung unterstellt, die in der Praxis überhaupt nicht gegeben ist.

2. Berücksichtigung von Nebenwirkungen

Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung durch zwei Zinserhöhungen im April und Juli 2011 befindet sich die Geldpolitik der EZB seit mehr als zehn Jahren in einer beispiellosen Expansionsphase. In dieser Phase wurden vor allem in Folge der europäischen Staatsschuldenkrise auch zahlreiche „unkonventionelle“ geldpolitische Instrumente eingesetzt. Dazu gehören insbesondere der negative Satz für die Einlagefazilität (ab Juni 2014) oder der umfangreiche Nettokauf von Staatsanleihen (März 2015 bis Dezember 2018 sowie seit November 2019).

Die besonders expansive Geldpolitik der EZB ist mit Risiken und schädlichen Nebenwirkungen verbunden. Diese nehmen mit Intensität und Dauer des geldpolitischen Impulses weiter zu und dürften letztlich sogar die geldpolitischen Übertragungsmechanismen beeinträchtigen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen gehören insbesondere:

  • die Gefahr von verzerrten Risikopreisen und fehlgelenkten Investitionen,
  • mögliche Preisübertreibungen an einzelnen Vermögensmärkten (z. B. Immobilien- oder Anleihemärkte),
  • die Behinderung der Marktbereinigung und des Strukturwandels durch überreichliche Liquidität sowie
  • die Schädigung der kapitalgedeckten Vorsorge insbesondere der privaten und betrieblichen Alterssicherung.

Für die Geschäftsbanken im Euroraum stellt der negative Einlagesatz der EZB zudem eine Art „Sondersteuer“ dar. So haben die Banken im Euroraum seit Beginn der Negativzinspolitik rund 25 Mrd. € für ihre Überschussliquidität an die EZB gezahlt. Auf die Banken in Deutschland entfielen davon allein im Jahr 2018 knapp 2,5 Mrd. €. Bei einem Jahresüberschuss vor Steuern der deutschen Banken von knapp 19 Mrd. € im Jahr 2018 ist die Sonderlast durch den Negativzins erheblich. Auf Dauer drückt diese Belastung die Profitabilität der Banken und wird letztlich sogar ihre Kreditvergabemöglichkeiten beeinträchtigen.

Lange Zeit hat die EZB die Auffassung vertreten, dass die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik hinzunehmen seien beziehungsweise ausschließlich von anderen wirtschaftspolitischen Institutionen gelindert werden müssten. So sei die makroprudenzielle Aufsicht extra dafür installiert worden, um gezielt Stabilitätsrisiken im Finanzsystem angehen zu können. 

In den vergangenen Monaten hat es im EZB-Rat bei dieser Auffassung eine Akzentverschiebung gegeben. Zum einen erkennt die EZB jetzt klar und deutlich an, dass mit ihrer gegenwärtigen geldpolitischen Ausrichtung, insbesondere der Negativzinspolitik, schädliche Nebenwirkungen einhergehen. Außerdem betont sie, dass diese unerwünschten Effekte im Zeitablauf gestiegen sind.

Um die Nebenwirkungen der Negativzinspolitik auf die Geschäftsbanken zu lindern, hat die EZB Ende Oktober 2019 einen Staffelzins für die Überschussliquidität der Geschäftsbanken eingeführt. Für das Sechsfache ihrer Mindestreserve müssen die Banken nun keine Negativzinsen auf ihre Überschussliquidität mehr zahlen. Die Belastungsminderung durch den Staffelzins fällt jedoch sehr bescheiden aus. Sie kompensiert vor allem die zusätzlichen Lasten der Geschäftsbanken durch die neuerliche Zinssenkung für den Einlagesatz von -0,4 % auf -0,5 % im September 2019. Aus heutiger Sicht müssen die Banken im Euroraum auch mit Staffelzins jährlich rund 5 Mrd. € als Negativzins an die EZB zahlen. Sollte die Überschussliquidität im europäischen Bankensystem mit dem neuen Kaufprogramm sogar wieder steigen, könnte dieser Betrag schnell wieder auf 6 oder 7 Mrd. € anwachsen.

Position des Bankenverbandes

  • Die EZB muss die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik grundsätzlich eng im Blick behalten. Erst recht, wenn sie auf „unkonventionelle“ Instrumente zurückgreift, die in der Regel noch stärkere Nebenwirkungen haben, oder wenn sich die Geldpolitik bereits eine sehr lange Zeit in die gleiche Richtung bewegt hat. 
  • In einer Gesamtanalyse sollte die EZB die Bedeutung der Nebenwirkungen abschätzen und klären, ob diese Nebenwirkungen effizient von anderen Institutionen gelindert werden können. Die Ergebnisse solcher Analysen sollten öffentlich sein und letztlich auch bei den geldpolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden.
  • Die EZB macht es sich zu einfach, bezüglich der Finanzstabilität vor allem auf die makroprudenzielle Aufsicht zu verweisen. Die makroprudenzielle Politik befindet sich überall noch in den Kinderschuhen – zu ihren Instrumenten und deren Wirksamkeit in der Praxis gibt es bislang noch keine belastbaren Erfahrungen. Zudem haben Verwerfungen an den Finanzmärkten starke Auswirkungen auf die Transmission der Geldpolitik und – zeitlich etwas verzögert – auf die Verbraucherpreise. Die EZB sollte ihre geldpolitischen Aufgaben daher nicht zu strikt von der Bewahrung der Finanzstabilität trennen.
  • Nicht zuletzt die Debatte um den Umkehrzins belegt, dass die Nebenwirkungen von negativen Leitzinsen besonders einschneidend sind. Negative Leitzinsen sollten daher nicht als geldpolitisches „Standardinstrument“ angesehen werden. Sie sind ein geldpolitisches Kriseninstrument, das nur bei ernsthaften Deflationsrisiken eingesetzt werden sollte. Dies müsste auch in der Kommunikation der EZB mit den Marktteilnehmern und der Öffentlichkeit immer wieder klargestellt werden. 
  • Für Negativzinsen als geldpolitisches Kriseninstrument sollten andere Ausstiegskriterien gelten als für geldpolitische Standardinstrumente. So könnte die EZB eine Ausstiegsperspektive aus der Negativzinspolitik bereits dann aufzeigen, wenn die gravierenden Deflationsrisiken überwunden wurden, selbst wenn sich die Inflationsrate dem Zielband der EZB noch nicht hinreichend angenähert hat. Dies würde ebenfalls bedeuten, dass die EZB Negativzinsen auch aus ihrer Forward Guidance herausnimmt und für dieses Instrument keine langfristige Bestandsgarantie abgibt. 
  • Die unerwünschten Nebenwirkungen von Negativzinsen auf den Bankensektor sollten entschlossen reduziert werden. Die Minderung der Sonderlasten durch die EZB kam nicht nur sehr spät, sie ist mit der bisherigen Ausgestaltung des Staffelzinses auch entschieden zu zaghaft. Andere Notenbanken, die ebenfalls mit negativen Leitzinsen arbeiten, wie zum Beispiel die Schweizer Nationalbank oder die Bank of Japan, haben direkt mit der Einführung von Negativzinsen die Sonderlast der Banken reduziert. Gegenwärtig wird im Euroraum weniger als die Hälfte der Überschussliquidität vom negativen Einlagezins freigestellt, in Japan beispielsweise liegt dieser Anteil bei 90 %. Hier sind bereits kurzfristig weitere Korrekturen der EZB nötig. Denkbar wäre eine Erhöhung des Multiplikators für den Freibetrag, ein zusätzlicher Freibetrag, der sich an der individuellen Überschussliquidität einer Bank zum Beispiel in den letzten zwölf Monaten orientiert, oder ein positiver Zinssatz für die von den Banken bei der EZB zu haltenden Mindestreserven.

3. „Grüne“ Geldpolitik

Die neue EZB-Präsidentin will die Geldpolitik auch in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausrichten. Die öffentliche Diskussion hierüber hat bereits Fahrt aufgenommen: So haben Nicht-Regierungsorganisationen und Wissenschaftler die EZB in einem offenen Brief aufgefordert, Anleihen von kohlenstoffintensiven Unternehmen aus ihrem Kaufprogramm von Vermögenswerten auszuschließen. 

Der Klimawandel hat durchaus geldpolitische Implikationen. Wetterextreme stellen Risiken für Unternehmen und Volkswirtschaften dar und können zu empfindlichen Ausschlägen beim Wirtschaftswachstum und der Inflation führen.

Auf der anderen Seite besteht allerdings die Gefahr, dass die Geldpolitik mit allgemeinen politischen Zielen beladen wird, die die Notenbank auch einem stärkeren politischen Druck aussetzen. Der Wunsch von gesellschaftlichen Gruppen und Teilen der Politik, den Einfluss der Geldpolitik für weitere gesellschaftspolitische Ziele einzusetzen, dürfte zunehmen. Dann würde es aber schwieriger werden, die politische Unabhängigkeit der Notenbank im bislang bewährten Maße aufrecht zu halten. Auf diese Handlungsbegrenzung hat auch „The Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System” hingewiesen, ein weltweites Netzwerk von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, das sich für ein nachhaltigeres Finanzsystem einsetzt.

Eine ähnliche Gemengelage droht, wenn die EZB die Maßgabe der Marktneutralität bei ihren geldpolitischen Maßnahmen aufgibt. Sollte die EZB klimafreundlichen Unternehmen Privilegien einräumen, zum Beispiel im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms, wäre die Abgrenzung zu einer aktiven Industrie- oder Strukturpolitik zumindest nicht besonders klar. Für eine aktive Industrie- oder Strukturpolitik hat die EZB aber weder das Mandat, noch unterliegt sie den dafür erforderlichen politischen Kontrollmechanismen. Abgesehen davon wäre eine objektive klimapolitische Beurteilung der einzelnen Unternehmen alles andere als trivial. Und: Der Markt für Grüne Anleihen ist – trotz des dynamischen Wachstums – nach wie vor sehr klein. Eingriffe der EZB in das Marktgeschehen könnten daher zu erheblichen Preisausschlägen führen. 

Auch aus diesen Gründen bestehen die mit Abstand effizienteren Handlungsmöglichkeiten für den Klimaschutz im Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik, etwa mit einheitlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen für den gesamten Markt.

Position des Bankenverbandes

  • Die Instrumente für eine wirksame und effiziente Klimapolitik liegen vor allem in den Händen der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Versuche, mit der Geldpolitik vorrangig auch ökologische Ziele zu verfolgen, könnten zu Zielkonflikten, Intransparenz und einer weniger effizienten Geldpolitik führen.
  • Bei Überlegungen, die Ziele und Aufgaben der EZB auszuweiten, sollte gegenwärtig berücksichtigt werden, dass die schon seit Jahren anhaltende Niedrigzinsphase den zusätzlichen Handlungsspielraum der Geldpolitik stark begrenzt. Es müssten immer stärker auch „unkonventionelle“ Instrumente eingesetzt werden, die in der Regel mit größeren Nebenwirkungen verbunden sind.
  • Die EZB könnte klimapolitische Ziele allerdings im Rahmen ihres „Nebenmandats“ verfolgen, nämlich der Möglichkeit, die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen. In dem Maße, wie zum Beispiel die EU-Kommission klimapolitische Ziele besonders hervorhebt, sollten auf diesem Gebiet auch die Handlungsmöglichkeiten der EZB zunehmen. Allerdings gilt auch dann die eindeutige Ziel- beziehungsweise Aufgabenhierarchie, wonach die Orientierung am „Nebenmandat“ nur möglich ist, wenn das Ziel der Preisstabilität als gewahrt gilt.
  • Ein effizientes Steuerungselement für Klimarisiken – in der Geldpolitik wie auch im gesamten Finanzsystem – wäre es, wenn sich Klimaeffekte sachgerecht in den Preisen oder der Risikobewertung niederschlagen würden. Werden hier, etwa durch entsprechende Vorgaben und eine geeignete Ausgestaltung der allgemeinen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, Fortschritte erreicht, dann würden Klimaaspekte letztlich „automatisch“ in die Geldpolitik einfließen.

4. Kommunikation

Die Kommunikation der Notenbank mit den Marktakteuren und der Öffentlichkeit hat in den letzten Jahren zusehends an Bedeutung gewonnen. Überzeugende Erläuterungen zu den von der Notenbank anvisierten Zielgrößen und der möglichen Reaktionsmuster der Zentralbank können den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik erheblich verbessern. Die Geldpolitik wird wirksamer und effizienter.

Zu einer guten Notenbankkommunikation gehört es auch, offen die Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten der Geldpolitik zu vermitteln. Auf mittlere Sicht dürfte es dem Vertrauen in eine Notenbank zuträglicher sein, wenn sie Abweichungen von Zielgrößen sorgfältig analysiert und in der Öffentlichkeit erläutert, als wenn sie mit einem immer höheren Instrumenteneinsatz versucht, ihre Entschlossenheit zu unterstreichen. 

So hat beispielsweise die Deutsche Bundesbank in den Jahren von 1974 bis 1998 ein jährliches Ziel für die Geldmengenentwicklung bekanntgegeben. Obwohl diese Zielgröße teilweise mit einem recht breiten Korridor von bis zu drei Prozentpunkten formuliert wurde, verfehlte die Bundesbank das Geldmengenziel in knapp der Hälfte der Fälle. Da die Bundesbank die Zielverfehlungen sorgfältig erläuterte, konnte sie trotzdem ihre Reputation als stabilitätspolitische Institution wahren, ja sogar festigen. 

Position des Bankenverbandes

  • Die geldpolitische Steuerung der EZB sollte für Marktakteure, Wissenschaft und die breite Öffentlichkeit so transparent wie möglich sein. Auch unterschiedliche geldpolitische Auffassungen im EZB-Rat sollten öffentlich dargestellt werden.
  • Abstimmungsergebnisse im EZB-Rat sollten – gegebenenfalls anonymisiert – veröffentlicht werden.
  • In dem Maße, wie die EZB, etwa durch ein Inflationsband, eine größere Handlungsflexibilität erhält, steigen auch die Kommunikations- und Transparenzanforderungen gegenüber der Öffentlichkeit. Entscheidungen, dazu gehört auch das unveränderte Beibehalten von geldpolitischen Maßnahmen, müssen sorgfältig und verständlich erläutert werden.
  • Die EZB sollte sich intensiv um eine größere Transparenz bezüglich der Nebeneffekte ihrer Geldpolitik bemühen. Das Betätigungsfeld reicht von wissenschaftlichen Analysen und einer systematischen Übersicht bis hin zu allgemeinverständlichen Erläuterungen für die Öffentlichkeit. 
  • Die EZB sollte in ihrer Kommunikation klar machen, dass negative Leitzinsen ein geldpolitisches Kriseninstrument zur Bekämpfung von Deflationsrisiken sind. Für ein solches Kriseninstrument sollte stets auch ein klares Ausstiegsszenario aufgezeigt werden.
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