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DigitalisierungRegulierungKünstliche Intelligenz

Auf die Überholspur

03.12.2018Artikel
Tobias Tenner
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Ein stärkeres Menetekel kann es kaum geben: Pünktlich zum Digital-Gipfel der Bundesregierung kommt das endgültige Aus für die CeBIT, die einst größte und erfolgreichste Computermesse der Welt. Die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig zu erkennen, das ist im digitalen Zeitalter zunehmend das Todesurteil für Produkte und Unternehmen. Und vielleicht auch für einen ganzen Wirtschaftsstandort. Beispiel Künstliche Intelligenz (KI), das neue Zauberwort in den Sitzungen der vielen neuen Digitalräte, Digitalkabinette und digitale Arbeitsgruppen: Das politische Deutschland hat – endlich – den Finger gehoben; der Anspruch auf eine „führende Stellung“ in diesem Thema, dem wichtigsten Treiber der digitalen Revolution, ist erklärt. Jetzt aber muss auch endlich geliefert werden, denn die Uhr tickt. Geliefert werden bei der Infrastruktur, geliefert bei der raschen Verteilung der frischen Investitionsmittel. Föderale Schaugefechte müssen aufhören; wer allein ein Jahr braucht, nur um einen Weg zu finden, Milliarden Euro in die digitale Infrastruktur unserer Schulen zu investieren, der verliert auch immer mehr das Vertrauen der Bürger in die Zukunftsfähigkeit von Politik.  

Himmel und Hölle der Digitalisierung

Gerade der Bankensektor erlebt als kritische Infrastruktur jetzt täglich Chancen und Risiken, Himmel und Hölle der Digitalisierung. Hier zeigt sich die Ambivalenz der digitalen Chancen überdeutlich: Einerseits führt der Einsatz selbstlernender Algorithmen in Banken bei der Auswertung großer Datenmengen zu enormen Fortschritten etwa bei der Erkennung von Betrugsmustern, zum Beispiel bei der Geldwäscheprävention. Aber gleichzeitig ist bereits heute feststellbar, dass auch auf Seiten der täglich Tausenden von Cyberattacken auf die Bankeninfrastruktur erste Elemente von Künstlicher Intelligenz zum Einsatz kommen. Ein brisantes Thema auch für die Politik, zeigt sich doch hier die gefährlich wachsende Asymmetrie der neuen digitalen Bedrohung: Eine kleine Hackergruppe, sei es in selbsternannter, sei es in geheimer staatlicher Mission, kann heutzutage mehr Schadens- und Erpressungspotenziale entwickeln als ganze Waffensysteme im analogen Zeitalter. Hier müssen die Betreiber kritischer Infrastrukturen, also auch die Banken, in engstem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden arbeiten, und zwar auf höchstem technischem Niveau. In einem Land wie Deutschland mit einem extrem heterogenen, wenig rentablen Bankensektor ist dies eine riesige Herausforderung für Personal und IT der Institute.

Plattformen und Ökosysteme

Aber auch für die staatlichen Aufseher über den Finanzsektor gilt: Wer Risiken in Banken überwachen, erkennen und verhindern soll, muss auf Augenhöhe mit den besten digitalen Playern sein. Es sollte nicht mehr allzu lange dauern, bis Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die ersten Jobs als Algorithmentrainer in der Behörde ausschreiben. Zugleich braucht die Branche – Banken wie Fintechs – eine Aufsicht, die früher und anders auf die neuen Dinge blickt. Denn auch das Bankgeschäft wird sich zukünftig immer mehr auf Plattformen und in Ökosystemen abspielen, wo ganz andere Player andere und neuartige Risiken mitbringen – neuartige Risiken für das ganze Finanzsystem, weshalb sich die Aufsicht zukünftig ganze Plattformrisiken ansehen dürfen muss. Sie muss es dürfen, aber sie muss es auch können; der Run auf digitale Talente wird sich also auch zwischen Privatwirtschaft und Staat verschärfen.

Offenheit, Experimentierfreude, Kooperation mit der Wirtschaft: Das sind auf Behördenseite oft noch unterentwickelte Schlüsselfertigkeiten in den digitalen Themen. Aber es tut sich was. Beispiel Reallabore: Hier kann die Politik in einem abgegrenzten und rechtlich abgesicherten Raum unter realistischen Bedingungen Erfahrungen mit Innovationen sammeln und beobachten, wie sich das Zusammenspiel von Innovationen und regulatorischen Instrumenten entwickelt, aber auch wie die Gesellschaft in digitale Projekte einbezogen werden kann. Dieses Instrument ist ganz ausdrücklich auch für den Finanzbereich zu begrüßen. Innovationsfreude muss zum Signum der deutschen und europäischen Politik werden, ansonsten droht letztere eine bloß Getriebene zu sein.

Offenheit, Neugierde und Experimentierlust bedeuten nicht, die Augen vor der ethischen Dimension und auch vor den Gefahren der KI-Technologie zu verschließen. Diese gibt es, und die Diskussion darüber muss geführt werden, weit über den Bankensektor hinaus. Klar aber ist: Nur wenn Deutschland bei KI ganz vorne mitspielt, können wir unsere Vorstellungen von Datenschutz und Datensouveränität überhaupt auf globaler Ebene wirksam vertreten.