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Behavioral Finance verstehen: Tipps zu erfolgreichem Investieren, Teil 1

18.02.2022Artikel
Dr. jur. Robert Piwowarski
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Wir Menschen lassen uns bei unserer Entscheidungsfindung von einer Vielzahl an Umständen beeinflussen und leiten. Dadurch besteht die Gefahr, dass wir Entscheidungen irrational fällen und so die beste Lösung verpassen. Das gilt auch und gerade für Finanzentscheidungen, die – je nach finanzieller Tragweite – großen Einfluss auf unsere Lebensumstände und unsere Zufriedenheit haben können. 

Welche Probleme können unsere Entscheidungsfindung beeinflussen? Und wie kann man diesen Schwierigkeiten begegnen, um bessere Finanzentscheidungen treffen zu können? Die Behavioral Finance Forschung beschäftigt sich im weitesten Sinne mit der Psychologie von Anlegern und Finanzentscheidern und hat in den letzten Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse zur Verhaltensökonomik erbracht. Der Beitrag nimmt in weiten Teilen darauf Bezug und möchte mögliche Fehlerquellen, denen Finanzentscheider ausgesetzt sind, bewusst machen, um damit einen Beitrag zu einem effizienteren und erfolgreicheren Investmentverhalten zu leisten. In diesem ersten Teil kommen dabei zentrale Entscheidungsfehler und Heuristiken zur Sprache, ein zweiter Teil thematisiert weitere geläufige Fehlerquellen, denen Finanzentscheider bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung ausgesetzt sind. 

Kognitive und emotionale Fehlerursachen

Entscheidungsfehler können grundsätzlich auf irrationale, kognitive Fehlschlüsse oder auf unbewusste Gefühle zurückgehen. Kognitive Fehler, d.h. Fehler „im Denken“, basieren dabei entweder auf logischen Fehlschlüssen oder einfach darauf, dass der Handelnde nicht über das notwendige Wissen verfügt, um eine richtige Entscheidung zu treffen. Solche Fehler sind mitunter jedoch leichter zu korrigieren als „emotionale“ Fehler, die auf Stimmungen oder Gefühlen beruhen. Denn unsere Gefühle zu kontrollieren, ist für uns Menschen schon deshalb schwierig, weil wir uns diese nur selten bewusst machen und damit ihren Einfluss auf unsere Entscheidungen oft gar nicht wahrnehmen.

Sich die Grundlagen der eigenen Finanzentscheidungen immer wieder bewusst zu machen, ist auch im kognitiven Bereich wichtig. Es fällt vielen Menschen schwer, ihren Kenntnisstand anhand neuer Informationen immer wieder zu überprüfen und ihre Überzeugungen entsprechend anzupassen. Dieses „Beharren“ auf einmal gewonnenen Ansichten kann Ursache von Entscheidungsfehlern sein, die von der Verhaltensökonomik grob in drei Ausprägungen unterteilt wird: den Konservatismus, Bestätigungsfehler und Rückschaufehler.

Konservatismus, Bestätigungsfehler und Rückschaufehler

Konservatismus bezeichnet die Tendenz, neuen Informationen nicht das Gewicht beizu­messen, welches ihnen eigentlich gebührt. Dies kommt häufig dann vor, wenn die Verarbeitung der Informationen aufwändig ist und als unangenehm empfunden wird. Unterlässt es beispielsweise ein Anleger sich nach einer wirtschaftlichen Krise intensiver mit Kennziffern und Prognosen zu beschäftigen, die einen baldigen Aufschwung nahelegen, entgeht ihm zumindest die Chance, mit geeigneten Investitionen auf die neue Entwicklung zu reagieren. Noch unter dem Eindruck der schlechten Wirtschaftslage stehend, verbleibt er länger bei seinem bisherigen Erkenntnisstand und seinen bisherigen Überzeugungen als dies für eine vorteilhafte Anlageentscheidung gut wäre. 

Bestätigungsfehler verstärken den Hang zu „Konservatismus“, indem der Betreffende auf der Suche nach weiteren Informationen vorzugsweise solche berücksichtigt, die seine bisherige Haltung unterstützen, andere Ansichten aber eher ausblendet. Eine derart selektive Wahrnehmung birgt Risiken. Werden etwa nur positive Aspekte einer getätigten Anlage berücksichtigt und negative nicht, können Veränderungen des Anlagerisikos nicht rechtzeitig erkannt werden. Gegebenenfalls kommt es auch zu einer höheren Konzentration von Anlagen in einzelne Positionen, was zu einer geringeren Diversifikation und damit ebenfalls zu einem höheren Risiko führt. Ein anderes Beispiel wäre, wenn die Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz mit der Güte einer Anlage in das Unternehmen verwechselt würde. Dabei sollte man gerade hier vorsichtig sein: Ein überproportional hoher Depotanteil an Wertpapieren des eigenen Unternehmens führt zu einem Klumpenrisiko. Gerät der Arbeitgeber in Schieflage, ist nicht nur der Arbeitsplatz, sondern auch die Anlage gefährdet.

Schützen kann man sich vor solchen Fehleinschätzungen nur, indem man sich aktiv und bewusst auch mit den Informationen auseinandersetzt, die den eigenen Überzeugungen widersprechen. Natürlich hilft auch eine fachkundige Beratung weiter, oder man kann in geeigneten Fällen eine neue Bewertungsmethode nutzen, um zu prüfen, ob diese die eigenen Annahmen bestätigt oder in Frage stellt.

Unter Rückschaufehlern versteht man die verzerrte Einschätzung zurückliegender Entscheidungen. Schließlich, so glaubt man, ist in der Rückschau alles klar und vermeintlich selbstverständlich. Weil Apple heute ein gewaltiges, global agierendes und milliardenschweres Unternehmen ist, tendieren beispielsweise viele Menschen zu der Einschätzung, dass die Erfolgsgeschichte des Unternehmens selbstverständlich und absehbar gewesen sei. Tatsächlich haben aber nur relativ wenige Anleger diese Entwicklung vorausgesehen – schon gar als Apple 1997 in eine prekäre finanzielle Lage kam und nur ein millionenschweres Investment ausgerechnet des Konkurrenten Microsoft das Unternehmen vor der Insolvenz bewahrte.

Eigene Anlageentscheidungen, die sich gut entwickelt haben, werden häufig in der Rückschau als geniale Einfälle verklärt, während Fehlentscheidungen eher verdrängt werden. Auch Empfehlungen eines Anlageberaters werden im Nachhinein oft verzerrt wahrgenommen, weil sie vor dem Hintergrund des aktuellen und nicht des zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Wissens beurteilt werden. 

Wie schützt man sich vor solchen Fehlern? In erster Linie damit, dass man versucht auch in der Rückschau kritisch und ehrlich zu sich selbst zu sein. Dafür kann es sehr nützlich sein, sich bei wichtigen Anlageentscheidungen einige Eckpunkte zu den näheren Umständen, Annahmen und Schlussfolgerung zu notieren. Auf diese Aufzeichnungen kann bei Bedarf zurückgegriffen werden, um die eigenen Entscheidungen nachvollziehen und daraus lernen zu können.

Heuristiken: Nützliche oder riskante Helfer?

Anlageentscheidungen, die auf komplexen Voraussetzungen beruhen und schwer abzuschätzende Folgewirkungen haben, können häufig nicht in Kenntnis aller relevanten logischen oder statistisch-normativen Daten getroffen werden. Um jedoch auch Entscheidungen unter der Bedingung begrenzter Information, Kompetenz oder zur Verfügung stehender Zeit fällen zu können, greifen Finanzentscheider – bewusst oder unbewusst – meist auf einfachere Entscheidungsregeln, so genannte Heuristiken, zurück. 

Heuristiken sind demnach eine Art Vereinfachung oder Abkürzung in der Entscheidungs­findung, die den Menschen einerseits dabei helfen, Kosten und Nutzen einer Entscheidung grob zu schätzen und sie mit einem vertretbaren Aufwand zu fällen. Zugleich bergen Heuristiken aber das Risiko, Sachverhalte zu stark zu vereinfachen, wesentliche Elemente für die Entscheidungsfindung zu übersehen und in der Folge fehlerhafte Entscheidungen zu treffen.

Repräsentativitätsheuristiken

Die Behavioral Finance Forschung unterscheidet eine Vielzahl unterschiedlicher Heuristiken. Zu den häufigsten gehören Repräsentativitäts-, Verfügbarkeits- und Vertrautheitsheuristiken. Die Repräsentativitätsheuristik bezeichnet die Tendenz des Menschen, in Entscheidungssituationen auf ähnliche, vielleicht schon bekannte Ereig­nisse, Ergebnisse oder Kategorien zu rekurrieren und diese als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen. Auf frühere Erfahrungen zurückzugreifen, ist per se sicher nicht verkehrt, doch sollten diese dann auch tatsächlich auf den aktuellen Fall übertragbar sein. Einmal mit einer Technologieaktie Verluste gemacht zu haben, muss schließlich nicht bedeuten, dass Papiere dieser Anlagenklasse immer verlustreich sind. Jede Finanzentscheidung verdient daher immer wieder die für sie angemessene Aufmerksam­keit. Dabei sollte man auch typische Fehler vermeiden, die als Unterfälle der Repräsen­tativitätsheuristik gelten. Dazu gehören etwa Prävalenzfehler, das „Gesetz der kleinen Zahlen“, die „Illusion der Gültigkeit“ oder der „Good-Company-Good Stock Trugschluss“.

Beim Prävalenzfehler messen Menschen neueren Informationen meist mehr Gewicht bei als älteren. Dies kann unter Umständen die Einschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis eintritt, verzerren. Das Gesetz der kleinen Zahlen besagt hingegen, dass Menschen Ereignisse, die über einen kurzen Zeitraum andauern und auf einer kleinen Datenmenge basieren, relativ zu anderen Ereignissen oft überschätzen. Fällt beispielsweise der Kurs einer Aktie im Verlauf von nur einer Woche um vier Prozent, neigen viele Anleger dazu, die weitere Entwicklung des Titels eher skeptisch zu beurteilen. Dabei könnte der aktuell niedrigere Preis auch lediglich auf eine übliche, nur vorübergehende Volatilität des Aktienkurses zurückzuführen sein.

Nach der Illusion der Gültigkeit (illusion of validity) lassen sich Menschen bei Anlageentscheidungen oft schon durch Äußerlichkeiten beeinflussen, für die sie eine subjektive Präferenz empfinden. So verzeichneten beispielsweise Wertpapiere mit einem „.com“ im Namen im Vorfeld der „Dot-Com Krise“ 1998-2000 einen Wertzuwachs von über 50 Prozent. Ohne dass sich die Investmentstrategie der betroffenen Fonds signifikant geändert hätte, war nach dem Platzen der Blase ein umgekehrter Effekt zu beobachten: Fonds, die statt „.com“ nun Begriffe wie „value“ oder „growth“ im Namen führten, wiesen signifikante Bewertungsanstiege auf.

Dem Good-Company-Good Stock Trugschluss zufolge schließen Menschen aus einer guten Unternehmensführung fälschlicherweise auf gute Renditechancen einer Anlageinvestition in das Unternehmen. Das ist aber oft deshalb nicht begründet, weil die Qualität des Managements als preisrelevante Größe im gegebenen Marktpreis bereits berücksichtigt ist.

Verfügbarkeits- und Vertrautheitsheuristik

Die Verfügbarkeitsheuristik und die Vertrautheitsheuristik beschreiben Entscheidungsfehler, die auftreten, wenn wir im Grunde gleichwertigen Informationen unterschiedliches Gewicht beimessen. Dies geschieht meist, weil die betreffenden Informationen für uns entweder nicht in gleichem Maße verfügbar oder wir mit ihnen in unterschiedlichem Maße vertraut sind. Neben der mehr oder weniger guten Abrufbarkeit von Informationen können in diesem Zusammenhang auch eine übermäßige Kategorisierung, das unkritische Vertrauen auf den eigenen Erfahrungsschatz sowie das Resonanz-Phänomen zu fehlerhaften Finanzentscheidungen führen.

So ist die Abrufbarkeit wichtiger Informationen stark an das menschliche Erinnerungs­vermögen geknüpft. Eine Anlageentscheidung kann somit schon allein deshalb beeinflusst werden, weil wir uns beispielsweise leichter an Ereignisse erinnern, die sich erst kürzlich zugetragen haben. Die Kategorisierung von Informationen hilft uns zwar im Alltag recht zuverlässig bei der Informationsverarbeitung. Sachverhalte werden dann in bestehende Denkmuster eingeordnet und für die Entscheidungsfindung nutzbar gemacht. Bei einer komplexen Finanzentscheidung besteht jedoch die Gefahr, dass die Kategorisierung von Informationen die tatsächlichen Begebenheiten zu stark vereinfacht. Fehlentscheidungen können die Folge sein, ebenso wenn sich Anleger zu sehr auf den eigenen, oft aber begrenzten Erfahrungsschatz verlassen. Von Resonanz spricht man schließlich, wenn entscheidungsrelevante Informationen zufällig auf die persönliche Situation des Anlegers zutreffen oder sich mit seinen Erfahrungen decken. Solche Informationen werden in der Regel anders, meist intensiver wahrgenommen und können die Informationsaufnahme und -verarbeitung in eine bestimmte Richtung lenken.

Vertrautheitsheuristik

Menschen tendieren oft dazu bei etwas Bewährtem zu bleiben anstatt etwas noch Unbekanntes, Neues auszuprobieren. Fast jeder kennt das aus dem Alltag. Warum in ein anderes Restaurant gehen, wenn man mit seinem Stammrestaurant bestens zufrieden ist? Auch in der Informationsverarbeitung rund um Finanzentscheidungen spielt das Phänomen eine Rolle. So neigen zum Beispiel viele Anleger dazu, ihr Augenmerk bei Investitionsentscheidungen übermäßig stark auf die Branche zu legen, in der sie selbst arbeiten. Weil sie sich in diesem Segment „zu Hause“ fühlen und die mentale Anstrengung scheuen, sich neue Bereiche zu erschließen, entgeht ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit die Chance auf Anlagen mit deutlich besserer Performance. Zudem birgt die Konzentration auf nur eine Branche ohnehin die Gefahr eines zu wenig diversifizierten Portfolios und damit eines hohen Verlustrisikos.

Das ist auch dann der Fall, wenn Anleger ihre Anlageentscheidungen zu stark regional konzentrieren. Wer nur in Unternehmen eines eng begrenzten Heimatmarktes investiert oder nur Wertpapiere von Unternehmen in Betracht zieht, die er schon kennt, lässt sich mit Sicherheit viele attraktive Anlagemöglichkeiten entgehen.

Fortsetzung folgt...