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Deutsche Wirtschaft bricht ein

02.06.2020Artikel
Volker Hofmann
Friederika Boehme
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Erster Einschlag in den BIP-Zahlen

Die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland ist in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 2,2 % gegenüber dem Vorquartal gesunken (preis-, saison- und kalenderbereinigt). Der Rückgang war deutlich und ist zudem ausschließlich auf die Entwicklung im Monat März zurückzuführen. In den ersten beiden Monaten des Jahres hatte sich die Konjunktur in Deutschland hingegen noch recht lebhaft entwickelt. Ohne den Ausbruch der Pandemie wäre das Bruttoinlandsprodukt im ersten Vierteljahr wieder gestiegen und hätte den leichten Rückgang aus dem Schlussquartal 2019 (-0,1 % gegenüber der Vorperiode) mehr als nur ausgeglichen.

Noch stärkerer Einbruch im zweiten Quartal

Das wirtschaftliche Verlaufsmuster im ersten Quartal dieses Jahres zeigt, wie plötzlich - und vor allem - wie heftig der Ausbruch der Corona-Pandemie die wirtschaftlichen Aktivitäten hierzulande beeinträchtigt, erst recht nach der Verkündigung der Kontaktsperre und der Schließung von Geschäften und Gastronomie Mitte März dieses Jahres. 

Im zweiten Quartal 2020 ist sogar mit einem noch deutlicheren Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen. Die ersten vorsichtigen Schritte aus dem Lockdown wurden erst Ende April beziehungsweise Anfang Mai eingeleitet. Produktion und gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Deutschland sind aktuell weiterhin deutlich gedrückt. 

In den Daten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird daher erst im Laufe des zweiten Halbjahres wieder eine leichte Besserung zu sehen sein, vorausgesetzt, dass es zu keiner zweiten Infektionswelle kommt, die neue gesundheitspolitische Schutzmaßnahmen erforderlich machen würden.

Nur zögerliche Erholung

Die wirtschaftliche Erholung im zweiten Halbjahr 2020 wird aus heutiger Sicht nur sehr langsam und zögerlich vorankommen. Das liegt unter anderem daran, dass der wirtschaftliche Einbruch durch die Corona-Krise zum stärksten BIP-Rückgang in der Geschichte der Bundesrepublik führen wird. Zudem wird die aktuelle Krise auch langwierige wirtschaftliche Schäden zur Folge haben. Selbst die sehr umfangreichen staatlichen Hilfen und raschen Kurzarbeiterrege-lungen werden eine Zunahme der Insolvenzen und eine steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht verhindern können. Hinzu kommen die wachsende Verschuldung von Unternehmen und Staat, die deutlich höheren Kosten der Unternehmen etwa durch Infektionsschutzmaßnahmen, aber auch die erheblich reduzierte Kapazitätsauslastung in der Gastronomie, bei Hotels und im Transportgewerbe. 

Ein weiterer Bremsfaktor ist die getrübte Konsum- und Investitionsneigung. Die Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Pandemie und damit verbunden auch eine hohe Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung, drücken empfindlich auf die Zuversicht von Verbrauchern und Investoren. Und für die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders bedeutend: Aufgrund der tiefen weltweiten Rezession sind bis auf weiteres auch keine Konjunkturimpulse über die Exportseite zu erwarten. Im Gegenteil, die vom ifo-Institut abgefragten Exporterwartungen der deutschen Industrie waren von plus 0,9 Punkte Anfang des Jahres 2020 auf minus 50 Punkte Ende April abgestürzt – den niedrigsten jemals gemessenen Wert. Im Mai hat sich die Stimmung unter den deutschen Exporteuren zwar etwas erholt, die Exporterwartungen liegen Ende Mai aber immer noch bei minus 26,9 Punkten.

Wirtschaftspolitik bleibt gefordert

Der noch zu Beginn der Corona-Krise von vielen Ökonomen prognostizierte „v-förmige“ Konjunkturverlauf, bei dem die Erholungs-phase von nennenswerten Nachholeffekten getragen würde, ist inzwischen unrealistisch. Wegen der Einkommensverluste, etwa im Zuge der Kurzarbeit, vor allem aber wegen der getrübten Erwartungen wird es beim Konsum kaum zu nennenswerten Nach-holeffekten kommen. 

Die Wirtschaftspolitik wird daher auch in der Wiederanlaufphase stark gefordert sein. Notwendig sind möglichst breit angelegte, über-zeugende Programme, die geeignet sind, die Zuversicht bei Konsumenten und Investoren wieder zu stärken.

In diesem Zusammenhang sind auch die jüngsten deutsch-französischen Vorschläge für einen Recovery-Fonds auf europäischer Ebene zu begrüßen. Das Projekt sollte nun zügig beschlossen und umgesetzt werden. Ein monatelanges politisches Gezerre um die grundsätzlichen Funktionen des Fonds würden seine möglichen positiven Erwartungseffekte erheblich schmälern.

Wirtschaftskraft fällt auf das Niveau von 2014 zurück

Legt man den oben grob skizzierten Konjunkturverlauf zugrunde, dann wird die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland im Jahresdurchschnitt 2020 wohl zwischen 6 und 8 % sinken. Die Wirtschaftskraft würde damit auf das Niveau des Jahres 2014 zurückfallen. 

Die recht hohe Prognosespanne ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass das Statistische Bundesamt bei der Ver-öffentlichung der Daten für das erste Quartal dieses Jahres auf eine außerordentlich hohe Revisionsanfälligkeit hingewiesen hat. Pandemiebedingt habe man für einen größeren Teil der Daten als üblich auf Schätzmodelle zurückgegriffen.

Mit einer ganz besonders großen Unsicherheit sind derzeit die Konjunkturprognosen für das Jahr 2021 verbunden. Die Wahr-scheinlichkeit, dass der diesjährige wirtschaftliche Einbruch bereits im kommenden Jahr vollständig ausgeglichen wird, ist in den letzten Wochen deutlich gesunken. Für den Jahresdurchschnitt nächsten Jahres ist derzeit mit einem Wirtschaftswachstum zwischen 4 und 6 % zu rechnen. Vieles wird dabei aber von den richtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen in der wirtschaftlichen Erholungsphase abhängen. Zudem basiert diese Prognose auf der Annahme, dass die Infektionszahlen in Europa und weltweit im kontrollierbaren Bereich bleiben. Eine deutliche Aufwärtsrevision der Prognose würde sich ergeben, wenn im Laufe des nächsten Jahres ein verlässlicher Impfstoff in ausreichender Menge verfügbar wäre.