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Finanzbildung

Deutschland mit erstem Defizit im Außenhandel seit 2008

06.09.2022Artikel
Dr. Henrik Meyer
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Historisches gibt es vom deutschen Außenhandel zu berichten: Im Mai dieses Jahres haben die Importe den Wert der Exporte erstmals nach langer Zeit überstiegen, das Minus betrug nach Angaben des Statistischen Bundesamtes eine Milliarde Euro. Während die Exporte gegenüber April um 0,5 Prozent auf 125,8 Milliarden Euro gesunken sind, verzeichneten die Importe einen Anstieg um 2,7 Prozent auf 126,7 Milliarden Euro. In den vergangenen 14 Jahren haben die Importe in keinem einzigen Monat die Exporte übertroffen. Die Statistiken von vor 2008 sind wegen einer Umstellung nicht vergleichbar, doch auch in diesem Zeitraum ist die Handelsbilanz die meiste Zeit positiv gewesen.

Rohstoffpreise verteuern die Importe

Dass aus dem deutschen Handelsüberschuss nun ein Defizit wurde, zeichnete sich schon seit einiger Zeit ab, denn die seit Jahresbeginn und verstärkt nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine rasant angestiegenen Preise für die Energierohstoffe Öl und Gas, aber auch für Nahrungsmittel wirken sich stark auf den Wert der Importe aus: Für Waren aus dem Ausland bezahlten deutsche Kunden im Mai fast ein Drittel mehr als vor einem Jahr, rechneten die Statistiker kürzlich vor. Insgesamt sind die Importe nach Deutschland innerhalb eines Jahres vor allem preisbedingt um 26 Milliarden Euro gestiegen. 

Lieferkettenproblematik belastet die Exporte

Auch die weltweit gestörten Lieferketten infolge der Pandemie und des Ukrainekriegs beeinflussen die Handelsbilanz – und zwar vor allem auf der Exportseite. Kommen etwa Stahl und anderes Material für ein Auto nicht in Deutschland an, fallen in der Statistik zwar Importe in dieser Höhe weg. Aber das nicht produzierte Auto, das nicht ins Ausland verkauft wird, wäre teurer als die Summe des Materials und dämpft die Exporte noch stärker. Tatsächlich konnten viele Waren in Deutschland aufgrund von fehlendem Material nicht produziert und exportiert werden, allen voran Autos. Auch sind die Exporteure immer weniger in der Lage, die lieferkettenbedingten Kostensteigerungen an internationale Kunden weiterzureichen. Im Vorjahresvergleich sind die Exporte gleichwohl gestiegen, auch wegen des seit Jahresbeginns gesunkenen Euro-Kurses gegenüber dem Dollar, aber eben nur um knapp 16 Milliarden Euro. Im Mai sind die Ausfuhren gegenüber dem Vormonat gar gesunken. 

Ist dies ein Fingerzeig, dass die Zeit großer Handelsüberschüsse in Deutschland vorbei ist? Auch wenn sich die Energiepreise normalisieren und Krieg sowie Pandemie an ihr Ende kommen, dürften hohe Exportüberschüsse in Deutschland wohl nicht zurückkehren, erwarten Experten. Bei vielen Unternehmen geht derweil die Sorge vor einer sich zurückdrehenden Globalisierung um. Nach Russland droht auch China als Absatzmarkt wegzufallen, sollten sich die Spannungen im Fernen Osten verschärfen oder die Volksrepublik gar einen Krieg gegen Taiwan beginnen. Doch auch losgelöst von einer möglichen militärischen Eskalation sehen manche Experten die Gefahr, dass die Welt zunehmend in Blöcke zerfallen und der Freihandelsgedanken dadurch mehr und mehr unter die Räder kommen könnte. Das würde die exportorientierte Wirtschaft empfindlich zu spüren bekommen.