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Eine Frage – drei Antworten

09.03.2022Artikel
Dr. Hendrik Hartenstein
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Welche Änderungen bringt ESG für die Kreditfinanzierung im Mittelstand mit sich?

Die Diskussion um Klimaneutralität, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren deutlich an Intensität zugenommen. Längst existiert eine Vielzahl an nationalen und europäischen Gesetzen sowie Standards, um negative Umwelt- und Klimaauswirkungen („E“ für Environment) zu reduzieren, soziale Aspekte („S“ für Social) zu fördern und eine nachhaltige Unternehmensführung („G“ für Governance) zu begünstigen. Die Berücksichtigung dieser Kriterien stellt für Banken und ihre Unternehmenskunden gleichermaßen eine Herausforderung, aber auch eine große Chance dar und wirkt sich bereits jetzt unmittelbar auf die Mittelstandsfinanzierung aus.

In unserem Blog-Format Eine Frage – drei Antworten wollen wir daher von drei Experten aus Politik, Wirtschaft und Banken wissen: Welche Änderungen bringt ESG für die Kreditfinanzierung im Mittelstand mit sich?

Dr. Karoline Kampermann, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik, Außenwirtschaft, Mittelstand & Steuern, Verband der Automobilindustrie

Kampermann

Kreditkonditionen werden verstärkt an Nachhaltigkeitskennzahlen geknüpft. Gerade für mittelständische Unternehmen besteht eine Hürde darin, die relevanten Daten zu identifizieren und für die Finanzierung aufzubereiten. Auch im Rahmen der geplanten EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung müssen Vereinfachungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Berücksichtigung finden. Für den automobilen Mittelstand ist überdies entscheidend, dass die Dekarbonisierung effizient umgesetzt und finanziert werden kann. Wichtig ist ein Ansatz, der den Wandel wirtschaftlicher Aktivitäten zur ökologischen Nachhaltigkeit fördert, anstatt solche zu bestrafen, die sich noch in einem Transformationsprozess befinden. Banken sowie ihre Industriekunden sollten in ihrer bewährten Zusammenarbeit der Kreditgeschäftsbeziehung die Transformation ermöglichen und beschleunigen. Dabei muss das Thema ESG ganzheitlich gesehen werden und die Transformation auch mit ihrem „Sunsetting“ inkludieren, anstatt die Finanzierung von mittelständischen Automobil-Zulieferern zu erschweren oder gar vorschnell zu beenden.

Marcel Haag, Direktor Horizontal Policies in der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, Europäische Kommission

Haag

Nachhaltige Finanzprodukte werden immer wichtiger, auch für die Mittelstandsfinanzierung. Viele KMU sind führend bei nachhaltigen Produkten und Prozessen. Fortschritte in der Kapitalmarktunion und der ESG-Rahmen der EU werden den Zugang von KMU zu nachhaltigen Finanzierungsmöglichkeiten verbessern und erleichtern. Dafür müssen die im Rahmen von ESG bestehenden Offenlegungs- und Berichtspflichten auch für den Mittelstand praktikabel sein. Die Europäische Kommission hilft hier auch ganz praktisch, wie etwa mit dem erst kürzlich veröffentlichten “EU-Taxonomie-Kompass”. Sie unterstützt die Mitgliedstaaten beim Aufbau von Beratungskapazitäten für Nachhaltigkeitsfragen, die sich speziell auch an den Mittelstand wenden. Zudem ist ein auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnittener vereinfachter Standard zur freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung in Arbeit. Der mit der Berichterstattung verbundene Aufwand soll verhältnismäßig bleiben.

Dr. Andreas Wagner, Leiter des Bereichs Sonderfinanzierungen und verantwortlich für Sustainable Finance bei der HypoVereinsbank

Wagner

Banken leisten einen essenziellen Beitrag bei der Finanzierung des Mittelstands. Deshalb kommt ihnen bei der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu. Sie finanzieren die Nachhaltigkeitsprojekte ihrer Kunden und setzen die Anforderungen von Europäischer Union und Europäischer Zentralbank um. Mit Blick auf die Kreditvergabe unter ESG-Gesichtspunkten rücken zudem physische und transitorische Risiken immer stärker in den Vordergrund. Darüber hinaus spielt die Konformität mit den Pariser Klimazielen eine wichtigere Rolle und auch die Bedeutung von ESG-Ratings und deren Verbesserung nimmt mehr Raum ein. Das Thema ESG wird bei der Kreditvergabe daher immer wichtiger und Unternehmen sollten sich rechtzeitig mit der Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsmodelle befassen.

Position des Bankenverbandes

Nachhaltigkeit wird in den nächsten Jahren integraler Bestandteil der Kreditvergabe sein und zu spürbaren Veränderungen der Unternehmensfinanzierung führen. Gleichwohl sind Verwerfungen zwischen Kunden und Bank nicht zu erwarten. Grundsätzlich haben beide Seiten – Bank und Kunde – ein gemeinsames Interesse an einer langfristig tragfähigen Geschäftsbeziehung. Beide Seiten sind darauf angewiesen, dass Nachhaltigkeitsvorgaben stabil und vor allem nachvollziehbar sind. Datenanforderungen zu Nachhaltigkeit im Rahmen der Kreditbeziehung sollten möglichst praktikabel sein und sich an einheitlichen Standards orientieren. Wie in der traditionellen Kreditbeziehung auch, ist eine aktive Finanzkommunikation von beiden Seiten ein zentraler Baustein für eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung. In Bezug auf die erweiterte Berichtspflicht zu ESG-Kriterien werden mittelständische Betriebe künftig zur Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten berichten müssen. Insbesondere für KMU stellen solche neuen Verpflichtungen und Offenlegungen eine besondere bürokratische Herausforderung dar. Um zu verhindern, dass die Unternehmen unzumutbar belastet werden, muss bei der Umsetzung auf die Wahrung der Proportionalität geachtet werden.