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Gastbeitrag: Die Freizeitgestaltung entscheidet über den Bildungserfolg

06.08.2019Artikel
Dr. Wido Geis-Thöne
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Welche Faktoren spielen für die Kompetenzentwicklung – und damit auch für die schulischen Leistungen – bei Kindern im Grundschulalter eine Rolle? Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf Basis der Daten des Nationalen Bildungspanels zeigt: Wer in der Freizeit bei Sport, Musik oder Lesen seine kognitiven Fähigkeiten trainiert, kommt auch in der Schule besser klar.

Die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern beim Lesen, Rechnen oder in der Rechtschreibung können von vielen Faktoren beeinflusst werden. Neben der Qualität der Schulen gilt das etwa für ihr häusliches Wohnumfeld, ihre Familienstrukturen und die Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit gestalten können. Dabei sind diese Bereiche nicht unabhängig voneinander. So wirkt sich das Einkommen einer Familie beispielsweise darauf aus, welche Wohnung sie sich leisten kann oder welche Freizeitangebote die Kinder in Anspruch nehmen können. Zudem hängt das Familieneinkommen sehr stark vom Bildungsstand der Eltern ab, was es schwierig macht, diese beiden Einflüsse hinsichtlich ihrer Wirkung voneinander zu trennen.

Um herauszufinden, welche Faktoren für die Entwicklung der Kinder tatsächlich ausschlaggebend sind, wurde in multivariaten Analysen ein breites Spektrum möglicher Indikatoren betrachtet. Dabei handelt es sich neben in der Forschung gängigen Einflussgrößen, wie den Bildungsstand der Eltern und das Familieneinkommen, auch um neue Bereiche, die bisher wenig untersucht wurden: etwa wie viel Zeit die Eltern in der Woche mit den Kindern verbringen und wie Kinder ihre Freizeit gestalten. Als Datenbasis diente das Nationale Bildungspanel, in dem sechs verschiedene Alterskohorten auf ihrem Bildungsweg begleitet und beobachtet wurden. Eine Besonderheit dieser Daten ist, dass nicht nur die Kinder und ihre Eltern befragt wurden, sondern auch Erzieher und Lehrer. Zudem wurden regelmäßig Kompetenztests in Lesen, Orthografie und Rechnen durchgeführt, sodass ein umfassendes Gesamtbild der kindlichen Entwicklung entstehen konnte. Um Verzerrungen durch die Wahl der Schulform auszuschließen, wurden für die Untersuchung gezielt Viertklässler ausgewählt, die noch vor dem Schulwechsel standen.

Mit Sport und Musik geht’s besser

Im Ergebnis zeigt die Studie, dass der Leistungsstand der Kinder in Deutsch und Mathematik unter sonst gleichen Bedingungen in einem engen Zusammenhang mit ihren sportlichen und musischen Freizeitaktivitäten steht. Heißt: Sport und Musik in der Freizeit wirken sich positiv auf die schulischen Leistungen aus. Allerdings ist dabei das Maximum nicht unbedingt auch das Optimum. Die Ergebnisse legen vielmehr nahe, dass es ausreicht, wenn die Kinder mehrmals pro Woche außerhalb der Schule Sport treiben. Viertklässler, die dagegen jeden Tag und viele Stunden auf dem Sportplatz verbringen, fallen in ihren Leistungen wieder ab.  

Dass Lesen bildet, ist bekannt. Überraschend ist allerdings, dass Kinder, die in ihrer Freizeit regelmäßig lesen, auch in Mathematik erfolgreicher sind. Hingegen zeigt sich bei gleicher Freizeitgestaltung der Kinder kaum ein Einfluss des Bildungsstands ihrer Eltern und ihres sozioökonomischen Hintergrunds sowie der Familienkonstellation, in der sie aufwachsen. Anders als gemeinhin angenommen, spielt auch der Migrationshintergrund allein keine große Rolle für die Leistungen der Viertklässler. Und auch ob die Kinder halbtags oder ganztags zur Schule gehen, hat kaum einen Einfluss auf ihre sozialen Kompetenzen und ihre Konzentrationsfähigkeit.

Altersgemäßer Medienkonsum entscheidend

Hierfür ist jedoch ihr Medienkonsum von besonderer Bedeutung. Vergleicht man Kinder, die bis zu zwei Stunden am Tag fernsehen oder Computerspiele spielen mit Kindern, die dies entweder gar nicht oder aber in weitaus größerem Maße tun, erweist sich der gemäßigte Medienkonsum von bis zu zwei Stunden tatsächlich als die günstigste Variante. Es kommt also auch hier, wie so oft, auf die richtige Dosis an! Wer übermäßig viel fernsieht und Computer spielt, hat deutlich häufiger Probleme in Sachen soziale Fertigkeiten und Konzentrationsfähigkeit.

Für die Einordnung der Ergebnisse spielt allerdings das Alter der Kinder eine entscheidende Rolle. Wenn sich ein Medienkonsum von bis zu zwei Stunden am Tag bei Zehnjährigen entwicklungsfördernd auswirkt, gilt das nicht unbedingt auch für Sechsjährige oder noch jüngere Kinder, deren Fähigkeiten im Umgang mit Medieninhalten im Normalfall noch wesentlich geringer sind. Angesichts der großen und noch weiter zunehmenden Bedeutung der digitalen Technologien sollten Kinder schon früh an diese herangeführt werden. Eine intensivere und eigenständige Nutzung erscheint allerdings erst zum Ende der Grundschulzeit sinnvoll, wenn die Kinder auch das notwendige Maß an Lese- und Schreibfähigkeit erlangt haben.

Die Heranführung an die digitalen Technologien ist dabei zumindest teilweise auch Aufgabe der Schulen, nicht jedoch die Begleitung und Beschränkung des Medienkonsums der Kinder. Wichtig sind hier, wie auch bei anderen Aspekten des Entwicklungsumfelds der Kinder, gezielte Beratungsangebote, die mit den Eltern gemeinsam geeignete Erziehungsstrategien entwickeln. Dabei sollte die Unterstützung, soweit möglich, nicht erst im Problemfall erfolgen. Denkbar sind etwa themenbezogene Elternabende in Schulen und Betreuungseinrichtungen mit entsprechenden Fachberatern. Wichtig ist zudem, dass alle Kinder auch außerhalb des regulären Unterrichts Zugang zu musischen und sportlichen Aktivitäten erhalten. Gerade mit Blick auf Kinder aus bildungsfernen Familien mit niedrigem Einkommen ist dabei ein Ausbau der Angebote von Ganztagsschulen und Betreuungseinrichtungen vielversprechend. Solche Angebote müssen dann allerdings eine hohe Qualität aufweisen und tatsächlich alle Kinder ansprechen – nur dann können sie diese auch motivieren, am Ball zu bleiben.