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Hart getroffen: Corona und die Tourismuswirtschaft

07.12.2020Artikel
Nicole von Stockert
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Ich erinnere mich noch gut an Ende Januar. Damals erreichten uns beim Bundesverband der deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) erste Medienanfragen: „Können Sie schon einschätzen, wie sich das neue Virus in China auf den Tourismus in Deutschland auswirkt?“ Auch wenn die Aussicht auf weniger chinesische Gäste in Deutschland und die zu erwartende Zurückhaltung deutscher Reisender bei asiatischen Zielen nicht erfreulich war, rechneten wir damals noch nicht mit einer Katastrophe. Doch genau die sollte in den folgenden Wochen eintreten – für die Gesellschaft und für unsere Branche. 

Das Jahr 2020 für die Tourismuswirtschaft – Coronavirus trifft uns ins Mark

Das Coronavirus erreichte Europa. Die Krise erreichte die Tourismusbranche. Schon der erste Lockdown in Deutschland und die weltweiten Reisewarnungen trafen uns ins Mark. Die Umsätze gingen gegen Null. Auch die teilweise Wiedereröffnung von Unternehmen und europäischen Zielen im Sommer änderte daran wenig. Dafür waren die Auflagen zu immens, die Zahl der „freigegebenen“ Reiseziele zu gering, die Zurückhaltung der Gäste zu deutlich zu spüren. Reisewarnungen, Veranstaltungsverbote, Pflichtquarantäne für Reiserückkehrer, regionale Sperrstunden und Beherbergungsverbote, deren Verhältnismäßigkeit zahlreiche Gerichte verneinten, und vieles mehr setzten uns über die Monate hinweg massiv zu. 

Wiederholte Appelle prominenter Politiker und Virologen, auf Auslandsreisen oder gleich ganz aufs Reisen zu verzichten, trugen ihren Teil bei. Dabei konnten sie bis heute keine belastbaren Zahlen vorlegen, nach denen das Reisen als solches gefährlich ist. Gefährlich ist vielmehr die Unvernunft Einzelner – ganz gleich ob diese zu Hause oder am Urlaubsort zu Tage tritt. 

Staatliche Einschränkungen gepaart mit dem politischen Stigmatisieren des Reisens haben zu beispiellosen Existenzsorgen in der Tourismusbranche geführt. Exemplarisch einige Zahlen: Über 70 Prozent der Hotels und Restaurants sahen sich im November in ihrer Existenz gefährdet. In der Bustouristik plagen über 90 Prozent der Unternehmen Existenzsorgen. Und allein Reisebüros und -veranstalter rechnen für 2020 mit Umsatzverlusten von 28 Milliarden Euro. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft hatte zudem bereits im Mai ergeben, dass 1,2 Millionen der 3 Millionen Arbeitsplätze im Tourismus akut gefährdet sind

Lockdown Light trifft Tourismuswirtschaft erneut schwer

Der Blick zurück macht deutlich: Die Tourismuswirtschaft geriet als eine der ersten Branchen in die Coronakrise. Wir gehören zu denen, die sie am härtesten trifft. Und wir werden vermutlich zu den letzten gehören, die aus der Krise herauskommen. Der neuerliche Lockdown bestätigt diese These. Denn um einerseits das Gesundheitssystem, andererseits Wirtschaft, Schulen, Kitas und das Weihnachtsfest zu schützen, wurden die Freizeitwirtschaft im Allgemeinen und die Tourismuswirtschaft im Speziellen wieder stillgelegt. Der Lockdown „Light“ trifft uns erneut mit voller Wucht. Die Tourismuswirtschaft erbringt gemeinsam mit wenigen anderen ein Sonderopfer, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Dafür sollen die Betriebe immerhin entschädigt werden. „Novemberhilfe“ und nun auch „Dezemberhilfe“ ist das Stichwort. Diese Entschädigung ist nicht nur konsequent, sie ist auch existentiell notwendig. Womit wir beim Thema „Hilfen der Politik“ wären.

Hilfen der Politik waren und sind wichtig – Nachbesserungen sind notwendig

Überbrückungshilfe, Kurzarbeitergeld und erleichterte Kreditangebote haben die meisten der gefährdeten Betriebe und Arbeitsplätze im Tourismus bislang gerettet. Die Politik hat somit wichtige Hilfen bereitgestellt, wofür ihr definitiv Dank gebührt. Die Lage bleibt dennoch dramatisch. Unsere mittelständisch geprägte Branche kämpft weiter ums Überleben. Umso wichtiger, dass nun November- und Dezemberhilfe schnell in den Betrieben ankommen und die Überbrückungshilfe in ihrer dritten Phase ab Januar wie zugesagt gerade für die Reise- und Veranstaltungsbranche verbessert wird. Zudem muss es darum gehen, Lösungen für jene touristischen Bereiche und – insbesondere mittelgroßen – Betriebe zu finden, die bislang durchs Hilfsraster fallen.

Wie sind die Perspektiven?

Vor uns liegen weitere Wochen des touristischen Stillstands. Es steht zu befürchten, dass der aktuelle Lockdown bis in den Januar hinein verlängert wird. Auch Branchenteile, für die er nicht direkt gilt – wie Luftverkehr oder Reiseveranstalter –, stehen faktisch weitgehend still. Ganz klar ist: Wir brauchen nicht nur finanzielle Hilfen, sondern dringend auch Perspektiven, endlich wieder dauerhaft und möglichst umfassend arbeiten und wirtschaften zu können.

Dass zuletzt eine zaghafte Exitstrategie aus dem Lockdown für regionale Inzidenzen unter 50 mitgedacht wurde, ist wichtig. Allerdings geht das für uns nicht weit genug. Tourismus darf kein dauerhafter Spielball der Coronapolitik sein. Wir brauchen politische Verlässlichkeit und Planbarkeit. Und wir brauchen kurz- und mittelfristige Strategien, mit denen die Politik nicht nur einzelne Betriebe wieder öffnet, sondern das Reisen insgesamt wieder möglich macht – innerhalb Deutschlands genauso wie ins Ausland. Sichere Reisekorridore zwischen Regionen und Ländern, deren Infektionsgeschehen den Austausch von Gästen zulässt, wären ein sinnvoller Baustein. Auch muss die unsinnige zehntägige Pflichtquarantäne für Reiserückkehrer aus Risikogebieten ein Ende finden. Ein aktuelles Urteil aus Münster zeigt, wie unverhältnismäßig sie insbesondere dann ist, wenn das Infektionsgeschehen im Urlaubsland geringer ist als hierzulande. Wir müssen zurück zu Coronatests dieser Reisenden, wie sie sich im Sommer bewährt haben. Wenn die vorhandenen Testkapazitäten nicht reichen, müssen sie ausgebaut werden, statt mit dem Mangel unverhältnismäßige Maßnahmen dauerhaft zu begründen. 

Eine Rückkehr zu weitgehender Reisefreiheit wäre auch gesellschaftlich wünschenswert

Die aktuelle Tourismuskrise hat nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern auch gesellschaftliche: Tourismus und Veranstaltungen, Freizeitparks und Mobilität, das Reisebüro nebenan und Restaurants als öffentliche Wohnzimmer machen Deutschland lebenswert. Der Verlust dieser kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Werte ist keine Fiktion. Er hat bereits begonnen. Großstädte waren in den letzten Monaten gespenstisch leer, weil Geschäftsreisende und ausländische Touristen fehlten. Das hält die touristische Infrastruktur auf Dauer nicht aus. Aber auch in ländlichen Regionen steht zu befürchten, dass Restaurants, Mobilitäts- und Freizeitanbieter dauerhaft schließen müssen. Damit würde sich auch die Lebensqualität im „ländlichen Raum“ deutlich verschlechtern. So gefährdet touristischer Stillstand nicht nur Existenzen und Arbeitsplätze, er könnte unser Land auch insgesamt „ärmer“ machen.

Im Sinne von Gesellschaft wie Tourismusbranche brauchen wir deshalb schnellstens Lösungen, die trotz Corona dauerhaft ein Maximum an öffentlichem Leben, Reisen und Freizeit ermöglichen. Die Stigmatisierung von Tourismus muss ein Ende finden. Und es gilt, eine neue Balance zwischen gesundheitlicher Prävention, volkswirtschaftlicher Prosperität und kultureller Vielfalt zu finden. Denn bei aller Hoffnung auf die Impfstoffe ist abzusehen, dass wir noch einige Monate mit dem Virus leben müssen.