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Libra: Auf den ersten und zweiten Blick

04.05.2020Artikel
Tobias Tenner
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Anders als der Name Libra (lat. für „die Waage“) vermuten lässt, war die Reaktion von Politik und Aufsicht auf das erste White Paper der Libra Association, in dem sie die Einführung eines Libracoins forcierte, unausgewogen kritisch - vor allem bezüglich Stabilitäts- und Datenschutzrisiken. Auch der Bankenverband äußerte im Juli 2019 Bedenken im Papier „Facebooks Kryptowährung Libra – Fragen und Antworten“, wobei er den Bedarf nach einem programmierbaren Euro sah (siehe „Jenseits von Libra: Warum die Wirtschaft einen digitalen Euro braucht“ vom Oktober 2019).

Am 16. April dieses Jahres wurde eine zweite Version des White Papers veröffentlicht, in der Veränderungen des Libra-Designs vorgeschlagen werden. Welche Änderungen gab es und wurden die kritischen Stimmen adressiert?

Libra für nationale Währungen

Bereits in den ersten Zeilen referiert die Libra Association auf den Dialog mit Politik und Aufsichtsbehörden, den sie in den letzten zehn Monaten führten. Die vorgeschlagenen Änderungen im Design des Libra-Zahlungssystems gehen auf maßgebliche Bedenken der Regulierungsbehörden ein. So ist wohl die wichtigste Änderung, dass komplementär zum bereits im ersten White Paper vorgeschlagenen Libracoin über die Einführung von mehreren Single-Currency Stablecoins nachgedacht wird - zum Beispiel einen LibraUSD, einen LibraEUR oder auch einen LibraGBP. Diese Single-Currency Stablecoins können in Regionen genutzt werden, die bereits über eine stabile Währung verfügen. Der Libracoin der ersten Stunde bleibt bestehen: Die digitale Zusammensetzung aus den wichtigsten Single-Currency Stablecoins soll sich nun an IWF-Vorgaben orientieren. Der Libracoin eigne sich vor allem für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.

Wie stabil ist der Stablecoin in Krisen?

Hieran anknüpfend, plant die Libra Association die Libra Reserve krisenfester zu gestalten. Jeder Single-Currency Stablecoin soll mit einer in der gleichen Währung notierten Reserve aus Bargeld, Bargeldequivalenten und zu mindestens 80 Prozent aus sehr kurzlaufenden mindestens A1- bzw. A+-Staatsanleihen hinterlegt sein. Allein die Marktnachfrage soll über das Angebot der Stablecoins entscheiden. Etabliert sich Libra breit, bedeutet dies den Übergang zu einem Vollgeldsystem. Zudem ist geplant, einen Kapitalpuffer anzulegen, um Kredit-, Markt- und operationelle Risiken abzusichern. Zinserträge auf die Reserve sollen in den Kapitalpuffer fließen, die Kosten decken, niedrige Transaktionsgebühren sicherstellen und Wachstum und Adoption des Coin fördern.

Limitierter Zugang

Die dritte wichtige Veränderung im Libra-Konzept berücksichtigt die Einhaltung von Geldwäsche-, Terrorismusfinanzierungs- und Sanktionsvorgaben. Die Association und ihre Tochtergesellschaften sind verantwortlich für die Due Diligence seiner Mitglieder, die sogenannten Designated Dealers und Validatoren. Zudem kontrolliert sie die Geldmenge, etabliert Compliancestandards für Netzwerkteilnehmer und überwacht das Netzwerk. Designated Dealers haben das Recht Libra Coins zu kaufen, zu verkaufen und sie auf Börsen anzubieten – sie sind die Schnittstelle zum Markt.
Dagegen sind die Schnittstelle zum Kunden sogenannte Virtual Asset Service Providers, unter anderem Börsen und Aufbewahrungsstellen. Als fünfte Partei nehmen sogenannte Unhosted Wallets am Netzwerk teil, die Transaktions- und Saldobeschränkungen unterliegen. Sie sollen ermöglichen, den Service Libras auch ohne Provider in Anspruch zu nehmen. Die aufgezeigte Struktur weist auf eine zugangsbeschränkte (permissioned) Blockchain hin, in der nur ausgewählte Mitglieder des Netzwerks Transaktionen validieren können. Im ersten White Paper war perspektivisch geplant, zu einer zugangsunbeschränkten (permissionless) Blockchain überzugehen. Als Reaktion auf Bedenken der Regulierungsbehörden, verzichtet die Libra Association nun darauf.

Libra unter der Lupe

Insgesamt macht Libra einen signifikanten Schritt Richtung Politik und Regulierung. So werden beispielsweise Ausfall- und Wechselkursrisiken des Libras des ersten White Papers adressiert und der definierte Teilnehmerrahmen des Netzwerks macht die Einhaltung von Compliance-Vorgaben wahrscheinlicher. Offene Fragen bestehen jedoch beim Thema KYC. KYC (Know your customer) bezeichnet die insbesondere für Kreditinstitute vorgeschriebene Legitimationsprüfung von Neukunden, um Geldwäsche zu verhindern. Der KYC-Prozess ist kostenintensiv und es bleibt unklar, wie Prüfende finanziell dafür entlohnt werden. Abgesehen von den regulatorischen Fragen, besteht weiterhin die Gefahr, dass die Etablierung eines LibraCoin zur Währungssubstitution weg von schwächeren Währungen führt. Libra bietet an, dass in diesem Falle an der Einführung eines Single-Currency Stablecoin der betreffenden Währung gearbeitet werden „könnte“. Das Machtverhältnis scheint hier jedoch unausgeglichen.

Verlieren Zentralbanken ihre Autorität?

Besonders interessant ist das Angebot Libras, dass Zentralbanken ihr eigen emittiertes digitales Geld (CBDC) auf der Libra-Blockchain aufsetzen. Zum Beispiel wird offen angeboten, den LibraEUR durch einen EUR-CBDC zu ersetzen. Vermutlich ist das Ziel, globaler Zahlungsinfrastrukturanbieter zu werden und mit Rückhalt der Zentralbanken die kostenintensive Reserve aus Staatsanleihen verringern zu können. So kooperativ dieses Angebot scheint, so ist doch fraglich, ob es sinnvoll ist, eine derartige Netzwerkmacht in die Hände eines (privaten oder staatlichen) Konsortiums zu legen.

Libra und die Facebook-Daten

Es ist ein langfristiges Ziel der Libra Association, einen offenen Identitätsstandard zu schaffen. Es ist richtig, dass die Identität eines Nutzers (oder einer Maschine) in einem Zahlungsverkehrssystem eindeutig zugeordnet werden muss. Da Libra aber unter der Federführung Facebooks steht und somit aufgrund seiner Nutzerdaten eine erhebliche Marktmacht innehat, besteht die Chance, Standardsetzer für das Erstellen digitaler Identitäten zu werden. Käme es dazu, liegt direkt oder indirekt eine immense Menge an eindeutig identifizierbaren Nutzer- und Transaktionsdaten in den Händen eines Konsortiums. In einer Welt, in der predicitive algorithms und social targeting auf dem Vormarsch sind, ist diese Daten- und somit Machtkonzentration sehr bedenklich. Es braucht nicht den Vorfall um Cambridge Analytics, um zu erkennen, dass moderne Gesellschaften mit Gewalten- und Machtteilung sehr gut gefahren sind.

Fazit

Das Angebot Libras mag der Büchse der Pandora gleichen. In der griechischen Saga heißt es, dass Prometheus (der vorher Bedenkende) seinen Bruder Epimetheus (den nachher Bedenkenden) warnte, Pandora zu heiraten. Epimetheus widersetzte sich mit den bekannten Konsequenzen. Mit dem Angebot der Libra Association mag es sich ähnlich verhalten: So vielversprechend die Ankündigungen Libras klingen, müssen wir die langfristigen Auswirkungen auf unserer Geldordnung und Gesellschaft abschätzen – und womöglich promethische Vorsicht walten lassen.