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Raus aus dem Stillstand – Welche Wirtschaftspolitik brauchen wir jetzt?

03.06.2020Artikel
Christian Jung
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„Raus aus dem Stillstand – Welche Wirtschaftspolitik brauchen wir jetzt?“ Das war das Thema der zweiten Ausgabe des digitalen Veranstaltungsformats „Banken ON SCREEN“ des Bankenverbands. 

Weit über 100 Teilnehmer verfolgten online die Diskussion der geladenen Experten: im Berliner Studio Carsten Linnemann MdB, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU und Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aus Heidelberg und Köln zugeschaltet Danyal Bayaz MdB, Leiter des Wirtschaftsbeirats der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, sowie Michael Hüther, Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln. Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes und ebenfalls Panel-Teilnehmer, führte ins Thema ein, die Journalistin und Autorin Margaret Heckel moderierte die Veranstaltung. Immer wieder wurden auch die Fragen der Zuschauer gestellt.

In seiner Einleitung umriss Andreas Krautscheid die Kernfrage, um die es gehen sollte, und die – aktueller und besser im Timing geht es kaum – 200 Meter vom Berliner Studio entfernt, zeitgleich auch im Bundeskanzleramt vom Koalitionsausschuss beraten wurde: „Wie kommen wir jetzt aus dem Lockdown am schnellsten wieder heraus? Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind am besten geeignet, um die ökonomische Krise zu überwinden, die Deutschland und die gesamte Weltwirtschaft infolge der Covid-19-Pandemie erfasst hat?“

Konsum stimulieren oder Strukturreformen umsetzen?

Wäre dafür, so fragte Krautscheid, ein milliardenschweres Konjunkturprogramm zur Nachfragestimulierung der richtige Weg oder eher strukturelle Reformen, die helfen, den Wettbewerb und damit auch wirtschaftliches Wachstum zu beleben? Von der Moderatorin nach bevorzugten Maßnahmen gefragt, positionierten sich die geladenen Experten teilweise übereinstimmend, zum Teil aber auch kontrovers. So betonte Carsten Linnemann, dass man nun vorrangig jenen, meist mittelständischen Unternehmen helfen müsse, die durch den Lockdown dramatische Einnahmeausfälle von mehr als 80 Prozent zu verkraften hätten. Sie bräuchten unmittelbar Zuschüsse, um von ihren Fixkosten nicht erdrückt zu werden. Schnelle Hilfe zur Verbesserung ihrer Liquidität sei zudem durch einen verbesserten Verlustvortrag nötig, also die steuerliche Verrechnung ihrer aktuellen Verluste mit Gewinnen aus der Vergangenheit. Strukturelle Reformen wie etwa eine Senkung der Stromsteuer und das Auslaufen der EEG-Umlage könnten zudem wirtschaftliche Impulse setzen.

Während Danyal Bayaz branchenübergreifende Maßnahmen wie den steuerlichen Verlustrücktrag ebenfalls befürwortete, rückte er mit Blick auf Unterstützungsmaßnahmen des Staates stärker Unternehmen in den Vordergrund, die in innovativen, insbesondere für Ökologie, technischen Fortschritt und Infrastruktur relevanten Bereichen wie etwa Glasfaserausbau, Verkehrs- und Energieinfrastruktur sowie Umwelttechnologie angesiedelt sind. Schließlich, so Bayaz, müsse über die Förderung digitaler Bildung noch viel mehr „in Köpfe“ investiert werden, damit sich Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb mit den USA und China behaupten könnten. 

Für Michael Hüther kommt es neben der Anregung von Investitionen bei Digitalisierung, Dekarbonisierung und Infrastruktur vor allem auch auf einen starken Konjunktur- und Nachfrageimpuls an. Als wirksame Beispiele dafür nannte er eine befristete Mehrwertsteuersenkung auf 15 Prozent, eine Absenkung der Strompreise und ein Familienbonus. Solche Maßnahmen seinen notwendig, um die Konsumlaune der Bürger wieder zu entfachen und damit einen Anstoß zu geben, der Deutschland wirtschaftlich aus dem tiefen Tal der Tränen führen könne. Zudem plädierte er aus denselben Gründen für einen „Umweltbonus“, womit er die politisch umstrittene „Auto-Abwrackprämie“ ins Spiel brachte. 

Zielgerichtete Hilfen nötig – aber welche? 

„Die Autobranche ist für Deutschland enorm wichtig, weswegen es in diesem Bereich einen zusätzlichen Impuls von etwa fünf Milliarden Euro geben sollte“, meinte Hüther. Dem widersprach Linnemann deutlich: Die Menschen konsumierten derzeit weniger, weil sie hochgradig verunsichert seien. Wichtiger als Kaufanreize, die nur zu Mitnahmeeffekten führten, seien in dieser Situation Maßnahmen, die den Bürgern mehr Sicherheit und bessere Planungsperspektiven gäben. Ein zentraler Punkt sei in diesem Zusammenhang für viele Familien die Rückkehr zu einem regelmäßigen Kita- und Schulalltag. Darin stimmte Bayaz überein, sprach sich aber auch noch einmal dafür aus, auch in der Automobilbranche besonders zukunftsorientierte, umweltschonende und technologisch wichtige Bereiche wie Batteriezellforschung, Autonomes Fahren u.ä. staatlicherseits zu fördern.

Auch Krautscheid wies auf die Verunsicherung in der Bevölkerung hin, worauf bereits der hohe Anstieg der Sparguthaben hindeute. „Die Menschen werden auch zusätzliches Geld vom Staat nicht ausgeben, wenn sich nicht gleichzeitig die Rahmenbedingungen und die Stimmungslage ändern“, meinte er. Die Politik stehe vor einem schwierigen Spagat: Einerseits gelte es, das Sicherheitsniveau und die Vorsicht in der Bevölkerung mit Blick auf eine mögliche zweite Epidemiewelle hoch zu halten, gleichzeitig müsse aber auch eine gewisse Normalität erzeugt werden, in der Konsum und Konjunktur wieder Fahrt aufnehmen können. 

Auf Krautscheids Hinweis, dass aufgrund der höheren Verschuldung des Staates wie der Unternehmen kaum Spielraum für Investitionen bliebe und die Gefahr bestehe, dass aus der Liquiditätskrise später eine Insolvenzkrise werden könnte, brachte Hüther den Vorschlag in die Diskussion ein, dass man die Tilgungsraten auch für die vergebenen KfW-Kredite steuerlich abzugsfähig gestalten sollte. Gleichzeitig verteidigte Hüther noch einmal sein für einen Chef eines arbeitgebernahen Instituts überraschend deutliches Plädoyer für nachfrageorientierte Konjunkturspritzen mit dem Argument, dass damit alle anderen notwendigen Strukturreformen keineswegs falsch oder überflüssig seien.

Europäische Dimension der Krise als Chance

Am Ende waren sich denn auch alle Diskutanten einig, dass das Konjunkturprogramm der Bundesregierung tatsächlich eine Mischung beider Komponenten enthalten dürfte. Ebenso wichtig wie die nationalen Maßnahmen sei allerdings eine Begleitung auf europäischer Ebene. Europa, so Hüther, habe in der ersten Phase der Pandemie die Möglichkeit verschenkt, in Sachen Grenzregime, Versorgung mit Schutzausrüstung und Festlegung allgemeiner Sicherheitsmaßnahmen gemeinsam zu handeln. Wirtschaftlich müsse es jetzt enger zusammenarbeiten. Dabei sei die von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron gestartete deutsch-französische Initiative zum wirtschaftlichen Wiederaufbau zu begrüßen. Dass die europäische Fiskalunion ausgerechnet mit dem Schuldenthema an Dynamik gewinne, sei nicht optimal, biete jetzt aber die Chance wichtige Zukunftsfragen Europas zu diskutieren: Welche Rolle spielen künftig die Nationalstaaten, welche Rolle das Europäische Parlament? Was nun unter der Überschrift der schnellen Hilfe für krisengeschüttelte Mitgliedstaaten beschlossen werde, so zeigte sich Hüther überzeugt, werde Europa tiefgreifend verändern – nicht zuletzt werde damit auch über die Machtfrage in der Europäischen Union mitentschieden.