Der aktuelle Weltbank-Bericht „Poverty and Shared Prosperity“ kommt zu einem alarmierenden Befund: Die Armut in der Welt wird wieder größer. Nachdem über drei Jahrzehnte hinweg rund eine Milliarde Menschen der extremen Armut entrinnen konnten, hat sich der Trend inzwischen gedreht. So rutschten im Corona-Jahr 2020 70 Millionen Menschen wieder in die Gruppe der Ärmsten ab – das war der größte Anstieg, seit diese Zahl gemessen wird. Mehr als 9 Prozent der globalen Bevölkerung oder 700 Millionen Menschen leben nun in extremer Armut. Das heißt, sie haben weniger als 2,15 Dollar am Tag zur Verfügung. Auf diesen Wert hat die Weltbank die neue Armutsgrenze festgelegt, nachdem sie lange bei 1,90 Dollar lag.
Die Folgen der Covid-Pandemie
Doch nicht etwa diese höhere Grenze hat die Zahl der von extremer Armut Betroffenen nach oben schnellen lassen, sondern die Covid-Pandemie und ihre Folgen. Während es den Industrienationen gelang, durch große Ausgabenprogramme eine Ausbreitung von Armut zu verhindern, ist dies den ärmeren Schwellenländern nur in Teilen gelungen, den Entwicklungsländern gar nicht. Doch arme Bevölkerungsschichten büßten nicht nur Einkommen ein, sie trugen überdies die schwersten nichtmateriellen Folgen. Sie starben früher, waren länger und schwerer krank und hatten weniger Unterricht.
Millenniumsziel akut gefährdet
Dass es im Kampf gegen die weltweite Armut bald wieder Fortschritte gibt, ist gegenwärtig nicht zu erwarten, im Gegenteil: Der Krieg in der Ukraine mit den damit verbundenen Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel hat die Lage für arme Länder zusätzlich verschärft. Ohnehin haben die Erschütterungen durch Krieg und Pandemie die globale Wirtschaft zu einem Zeitpunkt getroffen, an dem sich das Wachstum bereits verlangsamt hatte und die Erfolge in der Bekämpfung der Armut geschrumpft waren. Seit 2015 etwa reduziert sich die globale Armut nur noch langsam. Auch deshalb erwarten die Autoren des Weltbank-Berichts, dass das große Millenniumsziel, die extreme Armut bis 2030 auszurotten, nicht mehr zu erreichen ist und stattdessen dann mehr als eine halbe Milliarde Menschen ein solches Dasein fristen werden
Extreme Armut konzentriert sich inzwischen in Gebieten, in denen sie besonders schwer auszurotten ist: in Konfliktzonen, in ländlichen Gegenden und südlich der Sahara-Wüste. In der Subsahara-Zone leben 60 Prozent der Ärmsten. Die dortigen Länder müssten bis 2030 ein Wirtschaftswachstum pro Kopf von 9 Prozent erreichen, um bitterste Armut zu beenden. Das gilt als unrealistisch. In der letzten Dekade verzeichneten sie lediglich ein Wachstum pro Kopf von 1,3 Prozent.
Der Weltbankbericht reiht sich ein in eine Reihe düsterer Prognosen der jüngeren Zeit: Zuvor hatte die Welthandelsorganisation WTO eine Stagnation beim Welthandel angekündigt, mit besonders schweren Folgen für arme Länder. Die Vereinten Nationen hatten kürzlich davor gewarnt, dass Zentralbanken mit der nahezu zeitgleichen Anhebung ihrer Leitzinsen eine weltweite Rezession auslösen könnten, die arme Länder besonders belasten würde.