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Geldpolitik auf den Prüfstand!

13.02.2020Artikel
Volker Hofmann
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Notwendig und überfällig war, dass die Europäische Zentralbank im Januar mit der Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie angefangen hat. Bislang gab es solch eine Überprüfung erst einmal, nämlich im Jahr 2003. Seither haben sich tiefgreifende Veränderungen – nicht nur auf den Finanzmärkten – ergeben: die Weltwirtschaft ist noch enger zusammengewachsen, die Finanzkrise löste viele Umbrüche aus und auch die demographische Entwicklung sowie die Digitalisierung treiben den Strukturwandel mit Macht voran. Dies alles hat direkte Auswirkungen auf Produktionsprozesse, Wirtschaftswachstum und Inflation. Hinzu kommt, dass sich auch die Geldpolitik selbst verändert hat, indem auf bis dato kaum oder gar nicht genutzte Instrumente zurückgegriffen wurde.

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Impressionen von der Veranstaltung Negativzinsen – geldpolitisches Kriseninstrument oder neue Normalität? am 13. Februar 2020 in Frankfurt am Main.

So befindet sich die Geldpolitik der EZB – abgesehen von einer kurzen Unterbrechung durch zwei Zinserhöhungen im April und Juli 2011 – seit mehr als zehn Jahren in einer beispiellosen Expansionsphase. In diesem Zeitraum wurden auch in Folge der europäischen Staatsschuldenkrise zum Teil „unkonventionelle“ geldpolitische Instrumente eingesetzt. Dazu gehören vor allem seit Juni 2014 der negative Zinssatz für die Einlagefazilität, also ein Zins, den Banken zahlen müssen, wenn sie Liquidität bei der EZB „parken“, und der umfangreiche Ankauf von Staatsanleihen zwischen März 2015 und Dezember 2018 sowie erneut seit November letzten Jahres.

Die lockere Geldpolitik hat in den Krisenjahren erheblich dazu beigetragen, die Finanzmärkte zu stabilisieren. Sie ist aber auch mit Risiken und schädlichen Nebenwirkungen verbunden, die mit Intensität und Dauer des expansiven geldpolitischen Impulses weiter zunehmen. So besteht die Gefahr von verzerrten Risikopreisen, fehlgelenkten Investitionen, Preisübertreibungen etwa auf den Immobilien- oder Anleihemärkten oder die Behinderung von Marktbereinigungen und Strukturwandel durch eine übergroße Liquidität. Das sind unerwünschte Folgen, die auf Dauer wie ein schleichendes Gift die Innovations- und Wettbewerbskraft einer Volkswirtschaft lähmen können. Hinzu kommt, dass die Negativzinspolitik in der breiten Öffentlichkeit auf zunehmende Verständnisprobleme stößt – und das nicht nur in Deutschland. Doch ohne einen starken Rückhalt in der Bevölkerung kann die Geldpolitik ihre Aufgaben nicht effizient erfüllen; hierzu bedarf es vielmehr eines umfassenden Vertrauens der Menschen.

Was hauptsächlich geprüft werden sollte

 Für nun anlaufenden „Strategic Review“, der bis Ende 2020 dauern soll, zeichnen sich drei Haupterfordernisse ab:

Erstens: Ein zentraler Grund für die fortgesetzt expansive Geldpolitik ist, dass die europäische Notenbank die Inflationsrate im Euroraum in den vergangenen Jahren als zu niedrig beurteilt hat. Das Inflationsziel der EZB von „unter, aber nahe 2 %“ wird demnach seit Jahren unterschritten. Minimalanforderung an die Überprüfung sollte es vor diesem Hintergrund sein, zu klären, wie dicht die Inflationsrate überhaupt an der Zwei-Prozent-Marke liegen soll.

Zweitens: Negative Leitzinsen sind ein geldpolitisches Kriseninstrument, das nur bei ernsthaften Deflationsrisiken eingesetzt werden und ursprünglich auch nur befristet zum Einsatz kommen sollte. Gleichwohl sind Negativzinsen ebenso wie das umfangreiche Programm zum Kauf von Vermögenswerten durch die EZB inzwischen zu einer Dauereinrichtung geworden.

Drittens: In der Debatte um eine zukünftige EZB-Strategie spielt inzwischen zudem die Frage eine gewichtige Rolle, ob und inwieweit die Zentralbank ihre Geldpolitik auch an Klima- und Nachhaltigkeitskriterien ausrichten sollte.

1. Inflationsziel anpassen

Das Mandat der EZB beschreibt als vorrangiges Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken, die „Preisstabilität zu gewährleisten“. Gleich zu Beginn der Währungsunion legte der EZB-Rat fest, dass „Preisstabilität“ gewährleistet sei, wenn der Harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Währungsunion mittelfristig unter 2 % liege. Nach einer Überprüfung der geldpolitischen Strategie im Jahr 2003 führte der EZB-Rat auch eine Art Untergrenze für die „Preisstabilität“ ein, die aber mit der Formulierung „unter, aber nahe 2 %“ bewusst nicht so exakt gesetzt wurde wie die Obergrenze.

Die EZB hat in den letzten Jahren ihr selbst gestecktes Inflationsziel schleichend zu einer Art Punktziel von 1,9 % verengt. Zudem hat sie vergleichsweise mechanistisch auf Zielunterschreitungen reagiert. In einem marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftssystem und einer Währungsunion aus 19 finanzpolitisch souveränen Staaten kann die Geldpolitik die allgemeine Preissteigerungsrate aber nur indirekt, mit einiger Verzögerung und insgesamt auch nur recht grob steuern. Dem sollte die EZB bei der Ausgestaltung ihres Inflationsziels Rechnung tragen und sich ein notwendiges Maß an Handlungsspielraum bewahren, um angemessen auf Sondereffekte oder sich ändernde Umfeldbedingungen reagieren zu können.

 Am besten wäre das zu erreichen, wenn das Inflationsziel mit einer hinreichenden Bandbreite, etwa zwischen 1 und 2 % ausgelegt wird. Dies wäre eine passende Symbiose aus der ursprünglichen Formulierung des EZB-Ziels von „unter 2 %“ und der im Jahr 2003 erfolgten Umformulierung in „unter, aber nahe 2 %“. Darüber hinaus sollten Abweichungen vom Inflationsziel keine automatischen Reaktionen der Notenbank auslösen. Angesichts der Erfahrungen aus der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, wonach leicht negative Inflationsraten – selbst über einen längeren Zeitraum hinweg – keine anhaltende Abwärtsspirale von allgemeinem Preisniveau, Konsum und Lohnerhöhungen auslösen, sollten Deflationsrisiken auch nicht überbewertet werden.

2. Negativzinsen nur als ultima ratio in Krisenzeiten 

Die Null-Prozent-Grenze stellt in der Zinspolitik nach wie vor einen besonderen Schwellenwert dar. Denn negative Zinsen stoßen auf erhebliche Verständnis- und Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit; die Gefahr von unerwünschten Nebeneffekten und Ausweichreaktionen ist besonders groß. Für die Geschäftsbanken im Euroraum stellt der negative Einlagesatz der EZB zudem eine Art „Sondersteuer“ dar, da sie den Minuszins kaum im breiten Einlagegeschäft an die Sparer weiterreichen können. So haben die Banken im Euroraum seit Beginn der Negativzinspolitik rund 25 Mrd. Euro für ihre Überschussliquidität an die EZB gezahlt. Auf die Banken in Deutschland entfielen davon allein im Jahr 2018 knapp 2,5 Mrd. Euro. Auf Dauer drückt diese Belastung die Profitabilität der Banken und wird letztlich auch ihre Kreditvergabemöglichkeiten beeinträchtigen.

Um die Nebenwirkungen der Negativzinspolitik auf die Geschäftsbanken zu lindern, hat die EZB Ende Oktober 2019 einen Staffelzins für die Überschussliquidität der Geschäftsbanken eingeführt. Für das Sechsfache ihrer Mindestreserve müssen die Banken nun keine Negativzinsen auf ihre Überschussliquidität mehr zahlen. Diese Minderung der Sonderlasten kam nicht nur sehr spät, sie fiel auch bescheiden aus. Denn die Ausgestaltung des Staffelzinses kompensiert im Grunde lediglich die zusätzlichen Lasten der Geschäftsbanken durch die neuerliche Zinssenkung für den Einlagesatz von -0,4 % auf -0,5 % im September 2019. Auch mit Staffelzins müssen die Banken im Euroraum daher weiterhin jährlich rund 5 Mrd. Euro als Negativzins an die EZB zahlen. Sollte die Überschussliquidität im europäischen Bankensystem mit dem neuen Kaufprogramm erneut steigen, könnte dieser Betrag sogar schnell wieder auf 6 oder 7 Mrd. Euro anwachsen.

Gegenwärtig wird im Euroraum weniger als die Hälfte der Überschussliquidität vom negativen Einlagezins freigestellt, in Japan beispielsweise liegt dieser Anteil bei 90 %. Die unerwünschten Nebenwirkungen von Negativzinsen auf den Bankensektor sollten daher entweder durch eine Erhöhung des Multiplikators für den Freibetrag, einen zusätzlichen Freibetrag, der sich an der individuellen Überschussliquidität einer Bank orientiert, oder einen positiven Zinssatz für die von den Banken bei der EZB zu haltenden Mindestreserven gemildert werden.

 Generell sollten negative Leitzinsen nur als geldpolitisches Kriseninstrument, und damit als ultima ratio zur Bekämpfung von ernsten Deflationsrisiken eingesetzt werden. Und: Für ein solches Kriseninstrument müsste stets auch ein klares Ausstiegsszenario aufgezeigt werden.

3. Grüne Geldpolitik zeitgemäß, aber mit Stolpersteinen

Der Klimawandel hat auch geldpolitische Implikationen. Wetterextreme stellen Risiken für Unternehmen und Volkswirtschaften dar und können zu empfindlichen Ausschlägen beim Wirtschaftswachstum und der Inflation führen. Mit der Absicht, den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen, haben Nicht-Regierungsorganisationen und Wissenschaftler die EZB bereits aufgefordert, Anleihen von kohlenstoffintensiven Unternehmen aus ihrem Kaufprogramm von Vermögenswerten auszuschließen. 

Die Geldpolitik der EZB auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit auszurichten, birgt allerdings Gefahren. In dem Maße, in dem die Geldpolitik mit allgemeinen politischen Zielen beladen wird, würde sich die Notenbank auch einem stärkeren politischen Druck aussetzen; die Unabhängigkeit der Notenbank im bislang bewährten Maße aufrechtzuhalten, wäre um ein Vielfaches erschwert. 

Eine ähnliche Gemengelage droht, wenn die EZB die Maßgabe der Marktneutralität bei ihren geldpolitischen Maßnahmen aufgäbe. Sollte die EZB klimafreundlichen Unternehmen Privilegien einräumen, zum Beispiel im Rahmen ihres Anleihekauf­programms, wäre die Abgrenzung zu einer aktiven Industrie- oder Strukturpolitik kaum mehr möglich. Für eine solche Politik hat die EZB aber weder das rechtliche Mandat, noch unterliegt sie den dafür erforderlichen politischen Kontrollmechanismen. 

Die mit Abstand effizienteren Handlungsmöglichkeiten für den Klimaschutz liegen im Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik, etwa mit einheitlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen für den gesamten Markt. Die EZB könnte insofern klimapolitische Ziele im Rahmen ihres „Nebenmandats“ verfolgen, das ihr im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zugeschrieben wird: „Soweit es ohne Beeinträchtigung der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das EZSB [darüber hinaus] die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen.“

In dem Maße, wie zum Beispiel die EU-Kommission klimapolitische Ziele besonders hervorhebt, sollten auf diesem Gebiet auch die Handlungsmöglichkeiten der EZB zunehmen. Allerdings gilt auch dann die eindeutige Ziel- beziehungsweise Aufgabenhierarchie, wonach die Orientierung am „Nebenmandat“ nur möglich ist, wenn das Ziel der Preisstabilität als gewahrt gilt.

Transparenz und Vermittlung der Geldpolitik zentral

Bleibt zum Schluss noch die Vermittlung der Geldpolitik und der Strategie in der Öffentlichkeit. Hier sollte die EZB so transparent wie möglich agieren. In dem Maße, wie sie, etwa durch ein Inflationsband, eine größere Flexibilität erhält, steigen auch die Kommunikations- und Transparenzanforderungen gegenüber den Marktakteuren, der Wissenschaft und der breiten Öffentlichkeit. Mit der Modifikation des Inflationsziels sollten die Währungshüter daher umfassende Informationen zu den Voraussetzungen und Mechanismen von Deflationsspiralen veröffentlichen. Auch unterschiedliche geldpolitische Auffassungen im EZB-Rat sollten transparent gemacht werden. In ihrer Außenkommunikation sollte die EZB schließlich stärker hervorheben, dass Phasen negativer Leitzinsen eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Das setzt allerdings voraus, dass die EZB bald tatsächlich eine Perspektive für den Ausstieg aus der Negativzinspolitik aufzeigt.

Mit dem Positionspapier zur Überprüfung der EZB-Geldpolitik möchte der Bankenverband die öffentliche Diskussion zur Geldpolitik konstruktiv begleiten.