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Schneider: „Die schwarze Null ist nicht haltbar“

23.09.2019Artikel
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„Die schwarze Null ist nicht haltbar“

Interview mit Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank, mit dem Tagesspiegel vom 23. September 2019.

Herr Schneider, Sie haben zusammen mit zwölf anderen Bankenökonomen untersucht, wie es der deutschen Wirtschaft geht. Rutschen wir tatsächlich in die Rezession? 

Wenn wir rein auf die Zahlen schauen, ja. Nachdem das Wachstum im zweiten Quartal um 0,1 Prozent zurückgegangen ist, werden wir im dritten Quartal wohl ein noch höheres Minus sehen. Damit sind wir technisch gesehen in der Rezession. Gleichzeitig fühlt es sich aber eher wie eine ausgeprägte Schwächephase an. Betroffen ist von der Rezession bislang nämlich vor allem die Industrie. Sie leidet stark unter der Unsicherheit durch den Zollkonflikt zwischen den USA und China und dem ungelösten Brexit. Auf der anderen Seite aber boomt die Baubranche. Auch der Konsum bleibt robust. Und am Arbeitsmarkt steigt die Beschäftigung sogar weiter.

Warum?

Betroffen ist von der Rezession bislang vor allem die Industrie. Sie leidet unter der Unsicherheit durch den Zollkonflikt zwischen den USA und China und dem ungelösten Brexit. Auf der anderen Seite aber boomt die Baubranche. Der Konsum bleibt robust. Und am Arbeitsmarkt steigt die Beschäftigung sogar weiter.

Woran liegt das? 

Am Fachkräftemangel und der demografischen Entwicklung. Die Konzerne reduzieren in wirtschaftlich mauen Phasen inzwischen eher die Arbeitszeit ihrer Angestellten über Kurzarbeit, anstatt Stellen zu streichen. Sonst fehlen ihnen die Fachkräfte, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Gesehen hat man das schon 2009. Damals ist die deutsche Wirtschaft um 5,7 Prozent geschrumpft – die Arbeitslosenquote aber ist trotzdem nur leicht gestiegen. Und im Vergleich dazu geht es der deutschen Wirtschaft heute noch gut. In diesem Jahr werden wir unterm Strich unseren Prognosen zufolge immerhin noch ein kleines Wachstum von 0,5 Prozent sehen.

Für das nächste Jahr gehen Sie dann bereits wieder von einem höheren Wert aus. Wie kommt das? 

Für 2020 sagen wir ein Wachstum von einem Prozent voraus, also doppelt so viel wie in diesem Jahr. Das klingt nicht schlecht, liegt aber vor allem daran, dass 2020 mehr Feiertage aufs Wochenende fallen und es weniger Brückentage gibt. Dieser Arbeitstageeffekt trägt im nächsten Jahr 0,4 Prozentpunkte zum Wachstum bei. Rechnet man das heraus, sieht man, dass sich die Wirtschaft auch im nächsten Jahr eher zäh entwickeln wird.

Und dabei haben Sie den Brexit noch gar nicht berücksichtigt. Was passiert, wenn die Briten Ende Oktober tatsächlich ohne Vertrag die EU verlassen sollten?

Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass ein harter Brexit Deutschland noch einmal einen viertel oder halben Prozentpunkt an Wachstum kosten könnte. Damit wäre das Wachstum dann auch im Jahresdurchschnitt nah an der Nulllinie. Dann würden wir über eine Rezession reden, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern die sich auch auf den Arbeitsmarkt niederschlagen könnte.

DIW-Chef Marcel Fratzscher sagt: Ein harter Brexit wäre besser als eine erneute Verschiebung. Sehen Sie das auch so?

Nein. Die deutschen Exporte ins Vereinigte Königreich gehen bereits seit zwei bis drei Jahren zurück. Daher sind die Folgen eines weiteren Hinausschiebens des Austrittstermins vermutlich gar nicht so schlimm, wie manche fürchten. Außerdem dürfte sich ein gewisser Gewöhnungseffekt einstellen. Ein harter Brexit hingegen hätte sehr viel schwerwiegendere Wirkungen auf die derzeit schon fragile Wirtschaft.

Ein weiteres Risiko sind derzeit die Angriffe Irans auf Ölanlagen in Saudi-Arabien. Welche ökonomischen Folgen haben die?

Insgesamt ist die Lage am Ölmarkt derzeit doch relativ entspannt. Wenn das nicht weiter eskaliert, dürften sich die Folgen in Grenzen halten. Aber das ist die rein ökonomische Sicht auf die Dinge, man weiß nie, ob der US-Präsident am Ende nicht doch anders handelt, als man es erwartet.

Apropos Trump: Glauben Sie, es wird in absehbarer Zeit eine Einigung im Handelskonflikt geben?

Rational betrachtet kann Trump kein Interesse daran haben, den Konflikt weiter eskalieren zu lassen. Untersuchungen der amerikanischen Notenbank zeigen, dass der Handelskonflikt die US-Wirtschaft schon jetzt etwa dreiviertel Prozentpunkte Wachstum im Jahr kostet. Vor dem Wahljahr 2020 kann Trump sich das eigentlich nicht leisten. Aber bei ihm weiß man ja nie.

Deutschland spürt die Unsicherheit schon jetzt mit dem schwächeren Wachstum. Braucht die Bundesrepublik ein Konjunkturprogramm?

Im Moment gibt es dafür keinen Anlass. Wir haben am Arbeitsmarkt noch immer mehr oder weniger Vollbeschäftigung. Auch die staatlichen Investitionen steigen kräftig. Ein Konjunkturprogramm hielte ich deshalb aktuell für überzogen. Wenig Verständnis habe ich hingegen dafür, dass die Bundesregierung trotz Konjunkturschwäche noch immer strikt an der schwarzen Null festhalten möchte.

Warum ist die schwarze Null ein Problem? 

Zum Problem wird sie im Wirtschaftsabschwung werden. Solange es wirtschaftlich läuft, ist es gut, die schwarze Null zu halten und auf neue Schulden zu verzichten. Wenn sich die Wirtschaft aber weiter abschwächt, wird es aufgrund niedrigerer Steuereinnahmen und steigender Ausgaben beispielsweise am Arbeitsmarkt zu Defiziten im Bundeshaushalt kommen. Dies ist übrigens schon dieses Jahr so, kann aber noch durch die Auflösung von Rücklagen aufgefangen werden. Im Abschwung durch Sparen die schwarze Null zu verteidigen, würde diesen nur verstärken und wäre nicht zuletzt angesichts der insgesamt relativ entspannten Lage der Staatsfinanzen der falsche Weg.

Während über die schwarze Null noch gestritten wird, ist bereits klar, dass die Bundesregierung den Solidaritätsbeitrag für einen Großteil der Deutschen abschaffen will. Zu Recht? 

Nein. Ich halte es für problematisch, dass der Soli nicht für alle, sondern nur für 90 Prozent der Deutschen abgeschafft werden soll. Ausgenommen von der Abschaffung werden auf diese Weise die höheren Einkommensgruppen, in denen es aber auch viele kleinere Unternehmer und Selbstständige gibt, deren Unternehmen die Entlastung durchaus helfen könnte.

Halten Sie es denn nicht für gerecht, dass Topverdiener den Soli weiterhin zahlen sollen?

Nein. Die Höhe des Solis hängt vom Einkommen ab. Entsprechend viel haben die Topverdiener in der Vergangenheit an Solidaritätsbeiträgen eingezahlt. Da wäre es doch nur gerecht, wenn auch für sie nun der Soli gestrichen würde. Wenn die Regierung eine stärkere Umverteilungspolitik betreiben möchte, dann bitte transparent und nicht über eine derartige Behelfsmaßnahme.

Von der Politik zur Geldpolitik: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Einlagenzinsen für Banken weiter ins Minus gedrückt. Haben Sie dafür Verständnis?

Ebenfalls nein. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in der Eurozone insgesamt derzeit robuster als in Deutschland. Auch droht keine Deflation, womit man ein schnelles Eingreifen der Notenbanker hätte rechtfertigen können. Die EZB geht mit diesem Schritt auf Nummer sicher: Sie handelt lieber zu früh als zu spät. Dabei hat ihre Politik erhebliche Nebenwirklungen.

Kann die EZB denn mit ihrer noch lockeren Geldpolitik überhaupt noch etwas ausrichten?

Das ist fraglich. Unternehmen werden jetzt wohl kaum nur deshalb einen Kredit aufnehmen, weil die Zinsen noch einmal zehn Basispunkte niedriger ausfallen. Die Sparer wiederum verunsichert diese Geldpolitik. Einerseits werden sie dazu angehalten, privat fürs Alter vorzusorgen. Andererseits bekommen sie dafür nichts mehr.

Müssen auch Kleinsparer bald mit Minuszinsen rechnen?

Das glaube ich nicht. Dafür ist die Konkurrenz der Banken untereinander zu groß.

Die Fragen stellte Carla Neuhaus, Stellvertretende Ressortleiterin Wirtschaft.

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Dr. Kerstin Altendorf

Pressesprecherin für Nachhaltigkeit im Finanzsystem, Volkswirtschaft und Kapitalmärkte

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