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Ossig: „Europa voranbringen – gerade in unsicheren Zeiten“

01.06.2022Artikel
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Pressestatement, Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Pressefrühstück in Brüssel am 1. Juni 2022.

Es gilt das gesprochene Wort!

Guten Morgen,

auch von meiner Seite herzliches Willkommen. Man hat in den vergangenen Jahren nicht immer das Gefühl gehabt, dass Brüssel die Hauptstadt Europas ist. Im Augenblick ist dieses Gefühl sehr stark.

Der Pulsschlag hier in Brüssel in diesen Wochen und Monaten extrem hoch: Russland-Sanktionen, Ölembargo, Energie- und Klimapolitik, Ukraine-Hilfe und eine ganze Reihe von Bemühungen, Europas Souveränität/strategische Autonomie zu stärken. 

Damit umreiße ich schon mal einige der Themen, die für uns Banken sehr wichtig sind. Hinzu kommen natürlich Themen, die die Banken unmittelbar berühren und auf die ich gleich noch eingehen werde: u.a. die Verhandlungen zur Bankenunion, aber auch Bankenpaket mit Umsetzung Basel III. Summa summarum denke ich: Der Zeitpunkt für dieses Gespräch ist gut gewählt.

EU allgemein

Zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen: Europa hat in den Wochen nach Kriegsausbruch großen Zusammenhalt gezeigt, das war ein echter Lichtblick. 

Ich denke, wir müssen von den herausforderndsten Zeiten seit langem sprechen. Politisch sowieso, aber auch ökonomisch. Gerade in diesen Zeiten ist die EU die beste Lebensversicherung, die wir haben. 

Wir registrieren aber auch, dass der Zusammenhalt in den letzten Wochen wieder nachgelassen hat und Bruchstellen sichtbar geworden sind. Die Verhandlungen zur sechsten Sanktionsrunde haben mehrere Wochen gedauert, das Ergebnis ist nur ein Minimal-Kompromiss.

Europa aber braucht Geschlossenheit – in Zukunft mehr denn je. Denn die Europäische Union muss künftig noch mehr in die Waagschale werfen als heute: mehr wirtschaftliche Kraft, mehr Innovationsgeist, mehr Krisenresistenz, mehr strategisches Denken, mehr Bereitschaft, ökonomische Macht in geopolitischen Einfluss umzuwandeln. Darum muss es gehen, dafür werden wir uns einsetzen. 

Finanzbinnenmarkt/Kapitalmarktunion

Bei alldem ist eines ganz zentral: Europa muss investieren und finanzielle Ressourcen in beispielloser Höhe mobilisieren. Das wird nur gelingen, wenn der Kontinent wirtschaftlich noch enger zusammenwächst. Schon heute ist der Binnenmarkt mit seinen rund 450 Millionen Menschen Kraftzentrum und Aushängeschild Europas. Sein Potenzial können und müssen wir noch besser nutzen, als dies bislang der Fall ist. 

Gilt in besonderem Maße für europäischen Finanzbinnenmarkt. Gerade ihn müssen wir stärken und weiter ausbauen. Bislang ist er noch weit davon entfernt, vollständig integriert zu sein; im Grunde müssen wir noch immer von 27 verschiedenen Märkten reden. Das muss sich ändern.  Nicht nur weil ein einheitlicher Markt mit einem einheitlichen Regelwerk notwendig ist, um die europäischen Banken zu stärken, um sie besser in die Lage zu versetzen, mit Wettbewerbern aus Nordamerika und Asien zu konkurrieren. Ein integrierter Finanzbinnenmarkt bringt große Vorteile für Verbraucher und Wirtschaft.

Davon abgesehen gilt: Für die großen Finanzierungaufgaben der Zukunft brauchen wir tief integrierte und gut funktionierende Kapitalmärkte. Kapitalmarktunion ist daher eine Schlüsselkomponente des europäischen Finanzbinnenmarktes - und zwar eine Kapitalmarktunion, die offen, global wettbewerbsfähig und für ausländische Investoren attraktiv ist. 

Ich weiß, das Thema Kapitalmarktunion schafft es selten bis nie in die Schlagzeilen. Aber glauben Sie mir, für den Wirtschafts- und Finanzstandort Europa ist dies ein Thema von überragender Bedeutung. Die Europäische Kommission richtet hierzu ja heute die Konferenz Capital Markets Union: investing for a stronger, prosperous and sustainable European Union aus.

Das von der Kommission im November 2021 veröffentlichte Kapitalmarktpaket ist ein wichtiger Schritt, aber es müssen noch weitere Schritte folgen. Insbesondere im Bereich der Verbriefungen. Die Verbriefung ist eine Art Brücke zwischen der Kreditvergabe der Banken und der Einbeziehung des Kapitalmarkts in die Finanzierung der Wirtschaft. Wir müssen erreichen, dass Verbriefungen ihr Stigma verlieren, das ihr nach Finanzmarktkrise angeheftet wurde.

Bankenunion/EDIS

Fortschritte erhoffen wir uns auch bei der Weiterentwicklung der Bankenunion. Bei diesem Thema wird in Öffentlichkeit in erster Linie an europäische Einlagensicherung gedacht. Die Bankenunion aber geht deutlich darüber hinaus.

Aus unserer Sicht ist das Thema Marktintegration und damit die Schaffung eines einheitlichen europäischen Bankenmarktes das zentrale Element der Bankenunion. Hier spielt die Musik. Hier liegt viel Potenzial brach, das wir ausschöpfen müssen. Das bedeutet vor allem, die Märkte zu harmonisieren und grenzüberschreitendes Geschäft deutlich zu erleichtern. Nur so können Skaleneffekte gehoben werden, die den Banken aber vor allem auch den Kunden zugutekommen. 

Beratungsgesellschaft Copenhagen Economics hat vor zwei Jahren berechnet, dass stärkere Integration des EU-Bankenmarktes Kostenvorteile von langfristig rund 95 Mrd. Euro pro Jahr im europäischen Bankensektor zur Folge haben könnte. Grund hierfür: eine höhere Effizienz, ein intensiverer Wettbewerb, ein besserer Kapitalfluss. Integrierter EU-Bankenmarkt würde zudem bedeuten: Kredite für Unternehmen und Verbraucher fließen zuverlässiger und stärker – und zwar unabhängig von der Lage des Finanzsektors im jeweiligen Heimatland.

Vor diesem Hintergrund sind wir ganz deutlich: Der Vorschlag von Eurogruppenchef Donohoe beim Thema Marktintegration reicht um Längen nicht aus. Er wird den Anforderungen nicht gerecht, die ein moderner, einheitlicher europäischer Bankenmarkt an die europäische Gesetzgebung stellt. Deswegen kommen wir beim Thema Vollendung der Bankenunion aktuell zum Ergebnis: Besser keine Lösung als eine schlechte Lösung!

Die Vollendung der Bankenunion ist wichtig für ein starkes Europa, keine Frage. Aber die Inhalte müssen stimmen. Das gilt auch bei der Einlagensicherung. Dem Ziel einer europäischen Einlagensicherung stimmen wir zu. Aber das Zielbild muss eben auch realitätstauglich sein. 

Die Pläne von Paschal Donohoe, vor allem die in der zweiten Phase vorgesehene europaweite Vergemeinschaftung von Risiken, sind zu diesem Zeitpunkt zu hochgesteckt. Sie dürften die politische Einigung erheblich erschweren. Daher nützen sie gerade niemandem. Das ist schade, denn eine Einigung zumindest auf die Grundzüge der ersten Phase, Stichwort Liquiditätsunterstützungssystem, wären wichtig. 

Erlauben Sie mir zum Thema Bankenunion noch eine letzte Bemerkung: Wir haben aktuelle Äußerungen aus dem Lager der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zum Thema europäische Einlagensicherung mit großem Interesse vernommen. In vielen Punkten liegen wir gar nicht weit auseinander. Möchte aber auch betonen: Wenn sich die Mitgliedstaaten auf weitere Fortschritte bei EDIS einigen, dürfen und sollten diese Fortschritte nicht an den Institutssicherungssystemen der Verbünde scheitern.

Eine Ausnahme von Institutssicherungssystemen wäre zum einen aus wettbewerblicher Sicht problematisch. Sie würde aber auch dem Gedanken eines einheitlichen, harmonisierten Binnenmarktes widersprechen. Wer wirklich einen Heimatmarkt Europa will, der kommt um einheitliche Regeln für alle nicht drumherum. Nationale Sonderregeln darf sich gerade  Deutschland als Motor der europäischen Idee nicht erlauben.

Übrigens eignet sich die Opposition der Verbünde nicht als Muster für eine David-gegen-Goliath-Geschichte, hier die kleinen Sparkassen und Volksbanken, die unter einer europäischen Einlagensicherung leiden würden, dort die großen privaten Institute als große Profiteure. Mal abgesehen davon, dass die Mehrzahl der Mitglieder in unserem Verband kleine und regionale Institute sind: Die Verbünde inklusive der Landesbanken bilden die größten Finanzgruppen in Deutschland und stehen für 80 Prozent der Einlagen. Klein geht anders.

Kreditvergabe/Bankenpaket/Basel 

Meine Damen und Herren, ich sagte es, Europa muss in den kommenden Jahren investieren, und zwar so viel investieren wie noch nie. Allein für den Green Deal werden Aber-Milliarden Euro fließen müssen, und das ist ja noch nicht alles, der Investitionsbedarf geht noch weit darüber hinaus. Dieses Geld muss und wird zu einem großen Teil privates Geld sein.

Natürlich werden wir auch staatliche Investitionen benötigen, aber ich warne davor, das Thema öffentliche Verschuldung zu unterschätzen. Bei nun steigenden Zinsen wird es eine neue Dringlichkeit bekommen. 

Weil wir also vor allem privates Kapital mobilisieren müssen, ist nicht nur die Kapitalmarktunion so wichtig. Genauso wichtig ist, dass die Banken Kredite vergeben können und ihre Kreditvergabefähigkeit nicht beschnitten wird. Der Engpassfaktor ist hier das Eigenkapital. Damit wäre ich dann bei meinem letzten Punkt, ehe wir in die Diskussion einsteigen können: Bankenpaket und Umsetzung des Baseler Regelwerks in Europa.

Ich weiß, man sollte in diesen Zeiten mit Kriegsmetaphern zurückhaltend sein, aber der angekündigte Berichtsentwurf des Berichterstatters des Europäischen Parlamentes zur Umsetzung von Basel hat voraussichtlich eine ziemliche Sprengkraft. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Vorschlag könnte der europäischen Wirtschaft erheblich schaden. Und das in einer höchst prekären Lage. 

Der Vorschlag der Kommission war um Kompromisse bemüht, der geplante Berichtsentwurf ist es laut Vorabinformationen des Berichterstatters nicht. Die Kommission hatte Übergangsfristen vorgesehen, die absolut notwendig sind, um negative Folgen des Basel-Übereinkommens abzufedern und den gewünschten Kapitalanstieg über einen längeren Zeitraum zu strecken. 

Nur zur Erinnerung, was die Übergangsregelung vorsieht: Ungeratete Unternehmen mit guter Bonität sollen bei der Berechnung des Outputfloors mindestens bis 2032 ein reduziertes Risikogewicht von 65 Prozent erhalten. Dieser Kompromiss ist umso wichtiger, als sich das wirtschaftliche Umfeld in den letzten Jahren deutlich verkompliziert hat.

Der Berichterstatter will Unternehmen mit mehr als 500 Millionen Euro Umsatz von dieser Übergangsregel nun ausnehmen. Das bedeutet: Sollten diese Unternehmen kein externes Rating erhalten, würde die Kreditvergabe schon in absehbarer Zeit deutlich erschwert. Hunderte Unternehmen allein in Deutschland bekommen dadurch ein Problem – und da sprechen wir meist von Unternehmen deutlich unterhalb der Schwelle zu Großkonzernen. [u.a. Miele, Melitta, Bofrost]

Europäische Ratingagenturen haben gar nicht die notwendigen Kapazitäten, um so viele Unternehmen zu raten. Und ob es sinnvoll ist, wenn wir uns nun von den großen amerikanischen Ratingagenturen abhängig machen, wage ich mal zu bezweifeln. Den Besonderheiten des europäischen Marktes werden sie nicht immer gerecht. Und die Erfahrungen der Finanzmarktkrise sprechen auch nicht dafür, dass ausgerechnet Ratingagenturen nun den Ausschlag darüber geben sollen, welches Risikogewicht Unternehmen erhalten. 

Auch was die Immobilienkredite anbelangt, sind wir für die Beibehaltung der europäischen Übergangsregelung aus dem Kommissionsvorschlag. Dieser Vorschlag sah vor, dass die Risikogewichte für Finanzierungen mit nachweislich geringem Risiko angepasst werden können. Die nun vom EP-Berichterstatter geplante Verknüpfung mit dem Thema Nachhaltigkeit sehen wir als nicht sinnvoll an. Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen in der Regulierung. Punktuelle Anpassungen in Übergangsregelungen sind daher nicht zielführend.

Basel ist ein zentrales Thema für die deutschen und europäischen Banken, über das sich noch einiges sagen ließe. Es geht nicht zuletzt um die Frage, wie wir die Investitionen von morgen finanzieren können. 

An dieser Stelle möchte ich es aber dabei bewenden lassen und freue mich nun auf Ihre Fragen.

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Thomas Schlüter

Bereichsleiter Kommunikation, Pressesprecher für Regulierung der Finanzmärkte, Bankenaufsicht, Einlagensicherung

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