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Unsicherheit bleibt hoch

30.11.2020Artikel
Dr. Hendrik Hartenstein
Dietmar Schwarz
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Kräftige Erholung der Sommermonate …

Konjunkturbeobachter durchleben zurzeit ein Wechselbad der Gefühle: Nach der tiefen Rezession im ersten Halbjahr dieses Jahres hat sich die Wirtschaft in Deutschland – ähnlich wie in allen wichtigen Industriestaaten der Welt – im dritten Quartal spektakulär erholt. Bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) konnten hierzulande rund 2/3 des pandemiebedingten Wirtschaftseinbruchs ausgeglichen werden. 

… erhält im Jahresendquartal einen empfindlichen Dämpfer

Inzwischen ist Deutschland wirtschaftlich aber wieder in eisigere Zeiten geraten: Die in ganz Europa kräftig gestiegenen Infektionszahlen dämpfen – zusammen mit den neuerlichen Beschränkungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens – die Erholung im vierten Quartal dieses Jahres empfindlich. Aus heutiger Sicht ist in den letzten drei Monaten dieses Jahres wieder ein Rückgang der Wirtschaftsleistung gegenüber der Vorperiode zu befürchten. 

Das liegt zum einen an den angeordneten Einschränkungen in wichtigen Zweigen des Dienstleistungssektors, allen voran dem Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sowie weiten Teilen des Kultur-, Freizeit- und Eventgeschäfts. Aber auch der gesamte Tourismussektor sowie Flug-, Bahn- und Busunternehmen erleben einen erneuten Einbruch. Hinzu kommt die mit den Infektionszahlen gestiegene Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Bei den privaten Haushalten führt sie beispielsweise wegen der größeren Arbeitsplatzunsicherheit zu einer noch stärkeren Kaufzurückhaltung, und in den Unternehmen werden Investitionsvorhaben weiter aufgeschoben. Für die Banken in Deutschland wird sich beides in einer schwächeren Nachfrage nach Konsum- und Unternehmenskrediten niederschlagen.

Industriesektor weniger stark getroffen

Die neue europäische Infektionswelle wird auch die Exporte der deutschen Industrie in die europäischen Nachbarstaaten wieder dämpfen. Etwas gelindert wird dieser Effekt aber dadurch, dass sich die Konjunktur in China sehr stabil zeigt. Gerade in der für die deutsche Wirtschaft besonders wichtigen Automobilindustrie ziehen die Exporte nach China wieder an. Außerdem sind – anders als während des Lockdowns im Frühjahr dieses Jahres – derzeit keine Störungen der industriellen Lieferketten zu befürchten.

Tiefes Minus für das Gesamtjahr 2020 

Auf die BIP-Entwicklung im gesamten Jahr 2020 hat das noch laufende vierte Quartal dieses Jahres allerdings keinen entscheidenden Einfluss mehr. Unter der Annahme, dass sich das Minus beim BIP zum Jahresausklang auf etwa 1 bis 1 ½ % begrenzen lässt, wird die gesamtwirtschaftliche Leistung im Jahresdurchschnitt 2020 gegenüber dem Vorjahr um rund 5 ½ % sinken. Das würde in etwa dem Rückgang während der Finanzkrise entsprechen. Damals, im Jahr 2009, schrumpfte die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 5,7 %.

Hohes Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr

Mit einer weiterhin sehr hohen Unsicherheit ist der wirtschaftliche Ausblick für das kommende Jahr behaftet. Er steht und fällt mit dem Pandemie-Verlauf in Deutschland und den europäischen Nachbarstaaten sowie der Verfügbarkeit eines wirksamen Impfschutzes für breite Bevölkerungsschichten.

Können die sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen Anfang 2021 allmählich wieder gelockert werden und sollten sich die Infektionszahlen dann auf einem kontrollierbaren Niveau halten, dürfte die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland im ersten Vierteljahr 2021 wieder etwas wachsen. Daran würde auch die Tatsache nichts ändern, dass zum Jahresbeginn die temporäre Mehrwertsteuersenkung um drei Prozentpunkte wieder ausläuft. Eine zweite Rezession, also ein sinkendes BIP in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, könnte dann verhindert werden. Dieses Szenario wird dadurch gestützt, dass die Chancen auf einen zügigen Impfstart gestiegen sind und im nächsten Jahr die Verfügbarkeit von Impfstoffen wohl kontinuierlich steigen wird. 

Sollten die Impfungen rasch und erfolgreich anlaufen, würden im Jahresverlauf 2021 auch die Konsum- und Investitionszurückhaltung ein Ende finden. Zusammen mit gewissen Nachholeffekten wäre im Durchschnitt des kommenden Jahres dann ein recht ordentliches Wirtschaftswachstum von etwa 3 ½ bis 4 ½ % möglich. .

Das Abwärtsrisiko für diese Prognose liegt in einer ungünstigeren Pandemieentwicklung, vor allem aber in der Gefahr von Rückschlägen und zeitlichen Verzögerungen beim möglichen Impfschutz.

Aber: Belastungen durch Spätfolgen 

Die Chancen auf eine nennenswerte positive Konjunkturüberraschung sind hingegen recht begrenzt. Selbst bei einer schnellen und erfolgreichen Pandemiebekämpfung dürfte das Wachstumstempo in Deutschland 2021 nur schwer über die Schwelle von 5 % kommen. 

Das liegt zum einen daran, dass sich im kommenden Jahr verstärkt die verschiedenen Spätfolgen der Pandemie bemerkbar machen werden. Dazu gehören zum Beispiel die deutlich höhere Verschuldung von Unternehmen und öffentlichen Haushalten. Die höhere Staatsverschuldung macht es erforderlich, dass der Expansionsgrad der Fiskalpolitik gedrosselt wird – am besten über ein langsameres Ausgabenwachstum der öffentlichen Hand. Die Verschuldung der Unternehmen belastet deren Finanzkraft und wird tendenziell die Investitionsbereitschaft dämpfen. 

Hinzu kommen wirtschaftliche Bremseffekte durch eine, aller Voraussicht nach, steigende Zahl von Insolvenzen. Dies wird mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, dem abrupten Abschreiben von Investitionen und einem höheren Ausfall von Kreditforderungen einhergehen.

Außerdem kommen die kurzfristigen Folgen des strukturellen Wandels hinzu. Stichworte sind hier insbesondere Klimaneutralität, Energiewende und Digitalisierung. Diese strukturellen Änderungen werden – zumindest in der kürzeren Frist – zu nennenswerte Anpassungskosten in der Wirtschaft und bei den Konsumenten führen.