Aktuelle empirische Studien zum Thema „Financial Literacy“ der jungen Generation belegen zwei auf den ersten Blick gegenläufige Tendenzen: Die Corona-Krise mit ihren negativen Folgen im Bildungsbereich hat dem Finanz- und Wirtschaftswissen der jungen Leute nicht gutgetan – entsprechende Kenntnisse sind teilweise deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig zeigt sich in Teilen der jungen Generation eine gestiegene Nachfrage nach digitalen Finanzprodukten sowie Geldanlagen in Aktien und anderen Wertpapieren. Beide Trends führen deutlich vor Augen, wie dringlich eine solide Finanzbildung insbesondere bei jungen Menschen ist. Die müsste vor allem in den Schulen geleistet werden. Auch die Etablierung eines „Finanzführerscheins“ nach österreichischem Vorbild könnte einen Beitrag leisten.
Interesse vorhanden – Wissen weniger
Gerade wird Inflation wieder zu einem großen Thema für Sparen und Vermögensaufbau. Doch vier von zehn der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland ist nicht einmal der Begriff „Inflationsrate“ bekannt, geschweige denn, dass sie wüssten, wie hoch diese ist: Neun von zehn jungen Befragten können auch nicht ungefähr die Höhe der Inflationsrate zum Zeitpunkt der Befragung benennen. Das ist nur ein Beispiel aus der aktuellen Jugendstudie des Bankenverbandes, das die Defizite im Wirtschafts- und Finanzwissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen belegt.
Unterrichtsausfall und längere Phasen rudimentären Homeschoolings haben während des Corona-Lockdowns noch zur Vergrößerung der Wissenslücken beigetragen. So wusste vor drei Jahren ein Viertel der im Rahmen der Studie befragten Schülerinnen und Schüler nicht, was eine Aktie ist – jetzt mussten bei dieser Frage sogar 41 Prozent passen. Und war schon bei der letzten Erhebung nur vier von zehn Schülern und Schülerinnen bekannt, dass die Europäische Zentralbank für die Preisstabilität in der Euro-Zone zuständig ist, so hat sich dieser Anteil mit 83 Prozent nun glatt verdoppelt. Auch andere Studien bestätigen den Befund. So ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage unter jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 29 Jahren, dass mehr als die Hälfte der Befragten weder etwas mit dem Begriff „Rendite“ noch mit „vermögenswirksamen Leistungen“ anzufangen wusste.
Dabei sind junge Menschen durchaus an Finanz- und Wirtschaftsthemen interessiert. Nahezu drei Viertel (71%) der befragten 14- bis 24-Jährigen gaben in der Jugendstudie des Bankenverbandes an, für sie seien Informationen zu Geldangelegenheiten wichtig (53%) oder sehr wichtig (18%). Eigentlich sind das sehr gute Voraussetzungen, um mit einem passenden Informations- und Bildungsangebot die jungen Menschen zu erreichen.
Zeit für den „Finanzführerschein“
An solchen Angeboten mangelt es aber nach wie vor. In den Schulen kommt die Vermittlung von Wirtschafts- und Finanzmaterien seit Jahren kaum vom Fleck. Nicht selten scheitern Fortschritte schon an ideologischen Vorurteilen, mit Wirtschafts- und Finanzthemen würden „neoliberale“ Inhalte transportiert und einer „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“ das Wort geredet. Oft sind aber auch strukturelle und fachliche Versäumnisse ausschlaggebend. Wie sollen etwa Wirtschaftsthemen angemessen in den Unterricht einfließen, wenn es nicht genügend fachdidaktisch solide ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer gibt? Geht es mit der Wirtschaftsbildung an allgemeinbildenden Schulen im bisherigen Schneckentempo weiter, müssen noch viele Generationen von Schülern und Schülerinnen ohne das nötige Rüstzeug ins Berufsleben entlassen werden.
Eine sehr willkommene Ergänzung, um die ökonomischen Kenntnisse insbesondere bei jungen Menschen zu verbessern, stellt daher die Idee eines „Finanzführerscheins“ dar, wie sie in vielen OECD-Ländern diskutiert und in einigen bereits umgesetzt wird. Österreich hat es vor kurzem vorgemacht. Teil dieser Initiative ist eine Qualifikation, eben ein „Finanzführerschein“, der dem Inhaber ein gewisses Maß an Finanzkompetenz bescheinigt und den nicht nur junge Menschen erwerben können. Kern des Vorhabens, das von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis aus mehreren Ministerien, der Österreichischen Nationalbank, der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung und anderen getragen sowie von einem „Finanzbildungsrat“ begleitet wird, ist ein Onlineportal, das Informationen rund um das Thema Finanzbildung bündelt. Es soll über Jugendliche und junge Erwachsene hinaus nahezu die gesamte Bevölkerung ansprechen, um Finanzwissen an möglichst viele Menschen zu vermitteln.
Wertpapierboom bei jungen Anlegern erfordert auch mehr Kenntnisse
Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Der Bedarf an konkreten Kenntnissen zu Finanzen und Kapitalmarkt ist auch und gerade vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung wichtig, dass immer mehr junge Menschen in Deutschland über das Smartphone per Apps oder via Onlinebroker auf dem Kapitalmarkt unterwegs sind, um in Fonds, Aktien oder gar Kryptowährungen zu investieren. Abgesehen davon, dass mittlerweile über die Hälfte der jungen Befragten (55%) ihre Geldgeschäfte größtenteils online erledigen, belegt die Jugendstudie auch, dass der Besitz von Aktien und anderen Wertpapieren unter jungen Erwachsenen stark zugenommen hat. Gegenüber der Erhebung von 2018 ist der entsprechende Anteil der jungen Befragten von 9 Prozent auf inzwischen nahezu ein Viertel (23%) gestiegen. Zugleich können sich gut zwei von drei Befragten ohne Wertpapiere vorstellen, künftig Geld in solche Anlagen zu investieren.
Das ist in Zeiten von Niedrig- und Negativzinsen ein gutes Zeichen, gerade mit Blick auf die Altersvorsorge. Diese spielt bei jungen Menschen tatsächlich eine immer größere Rolle. Ausweislich einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung machen sich drei Viertel der 18- bis 32-Jährigen Sorgen um das sinkende Rentenniveau. Heißt: Die junge Generation weiß sehr wohl, dass sie von der gesetzlichen Rente allein später kaum wird leben können. Hinter der Klimakrise und der Corona-Pandemie findet sich befürchtete Altersarmut auf der persönlichen Problemagenda der jungen Leute bereits an dritter Stelle. Verständlich also, dass sie nach neuen, lukrativeren Wegen suchen, um Vermögen aufzubauen.
Das ist sehr zu begrüßen, allerdings braucht man auch dafür das nötige Finanzwissen. So einfach es heute geworden ist, mit dem Smartphone einen ETF-Sparplan einzurichten, digital Aktien zu ordern oder in eine Kryptowährung zu investieren, so evident sind die dabei lauernden Gefahren, die man nicht unterschätzen darf. Dies gilt umso mehr, als längst nicht alles seriös ist, was im Internet oder auf dem Grauen Kapitalmarkt an Anlageprodukten feilgeboten wird.
Man kann es drehen und wenden, wie man will, an einer grundlegenden Finanzbildung gerade junger Menschen geht kein Weg vorbei, wenn diese als souveräne Verbraucher und Finanzmarktteilnehmer bestehen sollen. Deutschland muss hierfür deutlich mehr als bisher tun – innerhalb und außerhalb der Schulen!