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PRO und KONTRA: Digitale Medien in der Schule

17.10.2018Artikel
Prof. Dr. Julia Knopf
Prof. Dr. Ralf Lankau
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PRO: Digitale Medien in der Schule

Von Prof. Dr. Julia Knopf, Lehrstuhl Fachdidaktik Deutsch, Universität des Saarlandes, und Leiterin des Forschungsinstituts Bildung Digital

Smartphone, Tablet, Computer – Digitale Medien gehören selbstverständlich zum alltäglichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen. Vor allem Jugendliche nutzen die Geräte zur Kommunikation in ihrer Peer-Group, zur Informationsbeschaffung und als Freizeitbeschäftigung. Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass digitale Medien das gesamte Leben von Kindern und Jugendlichen ausfüllen. Digitale Medien sind einer von vielen wichtigen Bestandteilen ihres Alltags.

Teil der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen

In bildungspolitischen Kontexten wird die Nutzung digitaler Medien im Unterricht kontrovers diskutiert. Worin sich alle einig sind: Die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen spielt sowohl in den Fachdidaktiken als auch in den übergeordneten Bildungsstandards eine wichtige Rolle. Guter und moderner Unterricht muss ernst nehmen, was die Schülerinnen und Schüler bewegt und womit sie sich außerhalb der Schule beschäftigen. Das heißt: Digitale Medien müssen in den Unterricht integriert und als Gestaltungschance begriffen werden. 

Darüber hinaus stellt der Diskurs um digitale Medien analoge und digitale Angebote häufig komplementär gegenüber. Nicht selten entsteht so der Eindruck, als würden  sich die Konzepte gegenseitig kategorisch ausschließen – als solle aus einem altbewährten analogen Unterricht ein nur noch digitales Unterhaltungsangebot werden. Kritiker befürchten, das Klassenzimmer könnte zur Unterhaltungsabteilung eines Elektronikmarktes avancieren. Doch liegt gerade in der Erweiterung des didaktischen Handwerkszeuges einer Lehrkraft der elementare Vorteil digitaler Medien. Apps, Videos und neueste Technologien eignen sich in besonderer Weise zur Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts. Kurz: So verschieden die Kinder sind, so verschieden sind auch ihre Fähigkeiten und ihre kognitiven Zugänge zu einem Lerngegenstand. 

Deshalb sind plurale und vielfältige Lernmethoden und -technologien notwendig. Digitale Medien, denen intelligente Technologien zugrunde liegen, vermögen eine wesentlich schnellere und einfachere Anpassung an das jeweilige Fähigkeitsniveau als ein für jedes Kind anderes Arbeitsblatt. Das bedeutet mitnichten, dass ein Kind ein Tablet bekommt und im Unterricht auf sich alleine gestellt ist. Die Arbeit mit digitalen Medien erfordert stets inhaltliche Anschlusskommunikation und eine reflektierte Auseinandersetzung in der Gruppe.

Nicht Ersatz, sondern sinnvolle Ergänzung

Digitale Medien ersetzen nicht das Arbeitsblatt, die Handschrift oder gar die Lehrkraft, sondern dienen als eine von vielen verschiedenen Möglichkeiten, die die Lehrkraft nutzen kann. Der Fokus der schulischen Arbeit bleibt immer der gleiche: Die Vermittlung fächerspezifischer Kompetenzen. Apps für den Mathematikunterricht, um dynamische Beziehungen an der Stellenwerttafel deutlich zu machen, oder Bilderbuch-Apps mit integrierter Vorlesefunktion zählen genauso zum Handwerkszeug einer Lehrkraft wie Arbeitsblätter oder Lehrwerke.

Digitale Medien sollen demnach nicht um jeden Preis in den Unterricht integriert, sondern sinnvoll eingesetzt werden. Erachtet eine Lehrkraft ein digitales Angebot für nicht sinnvoll, so ist es stets legitim, andere Möglichkeiten zu wählen. Aufgabe der Lehrkräfte sowie der didaktischen Forschung ist deshalb die Entwicklung flexibler didaktischer Konzepte, in denen sowohl analoge als auch digitale Angebote berücksichtigt werden.

Medienkompetenz in der Schule lernen

Hinzu kommt, dass sich durch die alltägliche Nutzung digitaler Medien der Vorgang der Informationsbeschaffung von Kindern und Jugendlichen verändert hat. Digitale Medien ermöglichen einen direkten und schnellen Austausch und eine Fülle verschiedener Informationskanäle. Die Auseinandersetzung mit fremden, vielfältigen Einstellungen und Meinungen erfordert eine ausgeprägte Medien- und Reflexionskompetenz, die nicht ausschließlich Zuhause gelernt werden kann. 

Gerade in der Kombination von Information und Reflexion bergen digitale Medien das Potential, meinungsbildend und demokratiefördernd zu wirken. Dieses Potential können die Nutzenden jedoch nur ausschöpfen, wenn eine umfängliche Kenntnis über Chancen und Schwierigkeiten der Technologien besteht. Medienpädagogische Projekte zu Themen wie Fake News oder Cybermobbing bereiten Kinder und Jugendliche auf eine Zukunft mit digitalen Medien vor, in der sie im weiteren Verlauf ihres Lebens zwangsläufig und ganz selbstverständlich leben und arbeiten werden. 

Wichtig ist: Digital Native zu sein, bedeutet lediglich von Anfang an mit der Präsenz digitaler Medien aufzuwachsen. Es bedeutet nicht, von Geburt an eine Kompetenz im Umgang mit diesen zu besitzen. Daher ist es überaus wichtig, auch den Schulunterricht zu nutzen, um diese Kompetenz auf- beziehungsweise auszubauen. Digitale Medien schaffen hierzu die Möglichkeit, dies auf individuellere, differenziertere und lebensweltnähere Weise als der rein analoge Unterricht zu tun.


KONTRA: Digitale Medien in der Schule nur mit klaren Regeln

Von Prof. Dr. phil. Ralf Lankau, Lehrstuhl für Mediengestaltung und -theorie, Hochschule Offenburg

Wenn man Forderungen aus den Arbeitgeber-, IT- und Wirtschaftsverbänden, oder gleichlautende Verlautbarungen aus dem Wissenschafts- und den Kultusministerien verfolgt, scheint es für Bildungseinrichtungen nur noch ein Ziel zu geben: Volldigitalisierung. Idealiter als Frühdigitalisierung. Programmieren schon im Kindergarten. Einmaleins und ABC nur noch mit PC (BMBF 2016). Das aber lebenslang (life long learning). Prenatal bis postmortal: Alles digital.

Dabei wird selten nach Lebensalter oder Schulformen unterschieden oder nach Fachinhalten bzw. (Aus-) Bildungszielen differenziert. Es wird nicht einmal gefragt, ob und ggf. welche Lehr- und Lernprozesse sich überhaupt digital abbilden lassen. Die "Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft" der Bundesregierung ist stattdessen bereits verbal militärisch-hierarchisch formuliert. Dabei haben Fünfjahrespläne und Zwangsdigitalisierung des “nur noch mit PC“ den Charme von Margot Honecker als Ministerin für Volksbildung der DDR. China macht es vor. Roboter als Erzieher für Kindergartenkinder.

Déjà-vu der Technikversprechen

Argumente pro Digitaltechnik sind dabei seit 1984 (Einführung von PC an Schulen) identisch. Alle Schulen bräuchten Computer, müssten ins Netz für „modernen, innovativen Unterricht“, Deutschland würde sonst abgehängt usw. Déjà-vu. Die Geschichte der Unterrichtsmaschinen und Automatisierungsversuche der Lehre hat Claus Pias aufgezeigt. Dort steht in Kurzform bereits das eigentliche Ziel: „Wie bekommt man mit möglichst wenig Ressourcen möglichst viel Stoff möglichst schnell in die Köpfe?“ Ausgeblendet wird, dass nach mehr als 40 Jahren Erfahrung mit Computern in Schulen ein Mehrwert der Digitaltechnik nicht belegt werden kann, im Gegenteil. Das zeigen alle relevanten Studien von PISA bis zur OECD-Studie – und bei genauer Lektüre sogar Studien, die zunächst das Gegenteil behaupten.

Die Alternative kulminiert in wenigen konkreten Fragen. Was soll am Rechner denn genau gelernt werden? Erreichen Schüler/innen Lernziele besser mit Rechnern oder mit Buch und Skript? Oder: Wozu müssen Rechner im Netz sein? Welche Daten entstehen dabei, was passiert damit? Wer sichert Daten minderjähriger Schutzbefohlenen (das sind Schüler/innen juristisch) bei Online-Anwendungen? Daten sind die „Währung des 21. Jahrhunderts. Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist der rechtliche Rahmen zum Datenschutz. Und die Praxis?

Lernen ist ein individueller und sozialer Akt, kein technischer

Vor allem aber: Lernen lässt sich nicht automatisieren, wenn Verstehen gemeint ist und nicht nur Reproduktion wie beim Bulimie-Lernen. Mit Internet, Web und App werden keine Lehrmittel bereit gestellt wie in einer Bibliothek, sondern es wird eine technische Infrastruktur mit permanentem Rückkanal aufgebaut, die schon heute ersichtlich vor allem der Vermessung, Kontrolle und Steuerung von Menschen dient. Ziel sind Nutzerprofile. Die – auch psychometrische – Vermessung des Einzelnen ist die Basis automatisierter Beschulungs- und Prüfsoftware. Vordergründig wird mit einer besseren Ausstattung der Schulen argumentiert. Die „hidden agenda“ sind Automatisierung und Standardisierung, Kommerzialisierung und Privatisierung der Bildungseinrichtungen nach angelsächsischem Vorbild der Global Education Industries (GEI). Das gilt für Fünfjährige (Fritz Breithaupts „Talking Method“) ebenso wie für Erwachsene (HPI-Schul- und Bildungscloud mit Bildungsbuddy). Learning Analytics ist der Fachbegriff dafür. Big Data is teaching you. 

Was tun?

Alternativen können hier nur angedeutet werden. Stichworte sind: Stärkung der föderalen und lokalen Strukturen statt Zentralisierung. Schulen gehen vom Netz und arbeiten offline mit Open Source-Programmen. Damit kann man alles lernen, von der Text- oder Bildbearbeitung über Videoschnitt bis zum Programmieren, ohne Daten ins Netz zu verlieren. Die Länder bauen in Rücksprache mit den Schulen Bildungsserver mit staatlich geprüftem Lehrmaterial auf, parallel zu analogen Schulbibliotheken. Lehrkräfte wie Schüler/innen greifen über verschlüsselte Verbindung auf diese – nichtkommerziellen – Angebote nach Bedarf zu, ohne dass Lern- oder Persönlichkeitsprofile generiert werden. Nach Artikel 106 Absatz III kann der Bund solche dezentralen und datensparsamen Konzepte ohne Änderung des Grundgesetzes (wie bei der Unterstützung des Bundes bei den Integrationskosten über pauschale Anteile am Umsatzsteueraufkommen) schon jetzt finanziell unterstützen. Die konkrete Mittelverteilung obliegt dann den Schulen vor Ort. Nur das ist sinnvoll. Dort weiß man, was fehlt und wo investiert werden muss.

Empfohlen seien zwei Bücher. Richard Münch: Der bildungsindustrielle Komplex (Beltz) und Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus (Campus). Wer sie gelesen hat, wird weder Schulen noch andere Sozialeinrichtungen „digitalisieren“ wollen. Dann erweisen sich auch Slogans wie „Digital first. Bedenken second.“ als Ausdruck politischer Verantwortungslosigkeit, sofern wir demokratische und humane Gesellschaften erhalten wollen. Eine der wichtigsten Aufgaben dabei ist, dass Kinder und Jugendliche zu selbständigen und selbstverantwortlichen Menschen werden. Das gelingt nicht, wenn man sie auf das Arbeiten am Display konditioniert und ihnen Maschinen sagen, was sie als nächstes tun sollen.