Die deutsche Ratspräsidentschaft und die Finanzmarktthemen
Gastbeitrag mit Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen vom 15. Februar 2021.
Auf den ersten Blick mag es wie kleines Karo wirken, diese deutsche Ratspräsidentschaft an Erfolgen in der Finanzmarktregulierung zu messen: Alle Planungen wurden durchkreuzt, alle Überlegungen durch die beispiellosen Anstrengungen erschwert, der Corona-Epidemie auch europäisch gemeinsam Herr zu werden – und das fast ohne direkte Gespräche, fast ohne unmittelbaren persönlichen Austausch. Finanzmarktpolitik aus dem Homeoffice: Ja, die ist gelungen, und das zusätzlich zu den größten Brocken, die es zu bewegen galt. Der Corona-Wiederaufbaufonds, dessen Grundzüge die Bundesregierung bereits im ersten Halbjahr 2020 zusammen mit der französischen Regierung ausgearbeitet hatte, wurde gemeinsam mit dem mehrjährigen Haushalt kurz vor Jahresende endgültig in trockene Tücher gepackt. Die Bedeutung dieses Fonds für den Zusammenhalt Europas und den wirtschaftlichen Wiederaufschwung kann gar nicht hoch genug eingestuft werden.
Dass manche Vorhaben nicht mit der ursprünglich geplanten Intensität verfolgt werden konnten, weil alle Beteiligten ihre Agenda an die Corona-Lage anpassen mussten – geschenkt. Dennoch sind wichtige Themen vorangekommen, darunter eben auch die Finanzmarktregulierung. In Berlin und Brüssel hat man verstanden: Leistungsfähige Banken und Finanzmärkte sind unverzichtbar, um genügend Kapital zu mobilisieren, um den Unternehmen eine sichere Finanzierungsgrundlage zu verschaffen und um die Souveränität des europäischen Finanzplatzes zu sichern. Aus gutem Grund hatte die Bundesregierung daher zu Beginn ihrer Präsidentschaft angekündigt, ihre Schwerpunkte genau hier zu setzen. Wo stehen wir nach dieser Präsidentschaft, welche Bilanz können wir ziehen?
Beispiel europäische Kapitalmarktunion: Sie ist eines jener Projekte, die während der Krise noch einmal an Bedeutung hinzugewonnen haben. Insofern war es konsequent, dass die Kommission im vergangenen September einen neuen Aktionsplan veröffentlicht hat, mit vielen Einzelinitiativen, die in den kommenden Jahren in entsprechende Gesetzesvorschläge gegossen werden sollen. Das wäre für sich genommen noch kein Durchbruch, zumal der erste Aktionsplan der Europäischen Kommission schon 2015 präsentiert wurde. Unter deutschem Vorsitz haben sich die Mitgliedstaaten Ende letzten Jahres aber nun explizit darauf geeinigt, die Kommissionsvorschläge nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu forcieren.
Schwerpunkt: Finanzmarktregulierung
Mit anderen Worten: Das Thema „Kapitalmarktunion“ hat an Fahrt aufgenommen. Ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt wird nicht nur benötigt, um Finanzierungskapazitäten für den „Wiederaufbau“ sowie für die digitale und ökologische Transformation der Wirtschaft bereitzustellen. Eine Kapitalmarktunion ist auch die richtige Antwort auf den Brexit und das Ausscheiden des größten europäischen Finanzplatzes aus der EU. Die deutsche Regierung hat diesem Thema deshalb zu Recht große Beachtung geschenkt, und hier bleibt sie auch in der Pflicht.
Zu einem funktionierenden europäischen Finanzbinnenmarkt zählt neben der Kapitalmarktunion die Bankenunion. Auch hier wurden unter deutschem Vorsitz Weichen gestellt: Die Finanzminister wurden beauftragt, in den kommenden Wochen einen mehrstufigen Arbeitsplan zur Vollendung der Bankenunion ausarbeiten und diesen auf dem Juni-Gipfel der Staats- und Regierungschefs vorzustellen. Ob bis dahin schon ein Konsens in umstrittenen Fragen gefunden sein wird, muss sich zeigen; ein wichtiges Zeitfenster für das Ausloten von Kompromissen aber ist fixiert. Auf anderen Gebieten wurden in den sechs Monaten der deutschen Präsidentschaft bereits Fakten geschaffen: Parlament, Rat und Kommission haben sich auf Lockerungen in der Finanzmarktrichtlinie MiFID II verständigt. Die Reform im Schnellverfahren ist Teil des Capital Markets Recovery Package, das den EU-Finanzmarkt stärken und einen Beitrag zum Kampf gegen die Corona-Krise leisten soll.
Ein besonderes Augenmerk hat die Bundesregierung richtigerweise auf die Digitalisierung der Finanzmärkte gerichtet; genauer auf die Schaffung eines digitalen Finanzbinnenmarktes, auf dem sie bestehende Hemmnisse für grenzüberschreitende digitale Finanzdienstleistungen abbauen will. Dass in diesem Bereich künftig die Musik spielt und zahlreiche Dinge gesetzlich geregelt werden müssen, von Wettbewerbsfragen bis zum Verbraucherschutz, von Kryptowährungen bis zu standardisierten Finanzdaten, hat inzwischen jede und jeder begriffen. Hierzu hat die Kommission ihre Digital Finance-Strategie vorgelegt; ein politischer Konsens über diese Strategie, wie zunächst von der Bundesregierung angestrebt, muss nunmehr von der portugiesischen Präsidentschaft gefunden werden.
Die deutsche Ratspräsidentschaft hat sich mehr als wacker geschlagen – angesichts der überaus widrigen Umstände. Auf der Agenda standen zwar auch Themen wie Sustainable Finance und Geldwäschebekämpfung. Da sich die entsprechenden Initiativen der Kommission aber coronabedingt verzögert haben, werden sie erst in diesem Jahr veröffentlicht werden. Dennoch wurden sichtbare Fortschritte während der deutschen Präsidentschaft erzielt. Besonders wichtig: Die Leitidee, den europäischen Finanzmarkt zu stärken, scheint in der Politik auf breite Akzeptanz zu stoßen, die wichtige Rolle der Banken für die Finanzierung der Wirtschaft wird erkannt. Nun kommt es darauf an, das Tempo hochzuhalten, die auf den Weg gebrachten Vorschläge umzusetzen und Europa insgesamt stärker zu machen.