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„Digitaler Euro - nächster evolutionärer Schritt des Geldes“

06.02.2023Positionspapier
Tobias Tenner
Albrecht Wallraf
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Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft in nahezu allen Bereichen. Betroffen hiervon sind auch Geld- und Zahlungssysteme, was die Frage aufwirft, wie die Geldformen bzw. Zahlungsmittel der Zukunft aussehen werden. Die Antwort auf diese Frage ist von zentraler Bedeutung für die Banken in Deutschland und die Zukunft unseres Finanzsystems.

Inhalt

Executive Summary
Unsere Ziele
Heutige Zahlungsmittel
Chancen eines digitalen Euro 
Unsere Vorstellungen von einem digitalen Euro
Risiko durch Disintermediation
Risiken durch sinkende Erträge
Risiken durch Schwächung der Kunde-Bank-Beziehung
Schlussfolgerungen und Leitplanken für den weiteren Dialog


Executive Summary

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft in nahezu allen Bereichen. Betroffen hiervon sind auch Geld- und Zahlungssysteme, was die Frage aufwirft, wie die Geldformen bzw. Zahlungsmittel der Zukunft aussehen werden. Die Antwort auf diese Frage ist von zentraler Bedeutung für die Banken in Deutschland und die Zukunft unseres Finanzsystems.

Der Bankenverband befasst sich daher schon seit einigen Jahren mit diesem Thema und wie neue digitale Zahlungsmittel die Gesellschaft unterstützen sowie eine sinnvolle Ergänzung zum heutigen Zahlungsverkehr darstellen können. In diesem Positionspapier wird das Vorhaben der Europäischen Zentralbank (EZB), digitales Zentralbankgeld für Verbraucherinnen und Verbraucher in Form eines digitalen Euro auszugeben, näher untersucht.

Aus Sicht der privaten Banken ist klar: Ein digitaler Euro eröffnet die Chance, dass Europa seinen Zahlungsverkehr und die damit verbundenen Dienstleistungen selbstbestimmt gestalten kann. Erfolgreich kann ein digitaler Euro allerdings nur dann sein, wenn die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger abgedeckt werden. Deshalb sollte die Evolution des Geldes in einem breiten Dialog aus Gesellschaft, Politik, Zentralbanken und Marktteilnehmern vorangetrieben werden. Die privaten Banken wollen sich aktiv daran beteiligen und gehen mit folgenden Vorstellungen in die Diskussion:

  • Weiterentwicklung: Alleine die heute bestehenden Zahlverfahren zu kopieren, reicht nicht aus. Ein digitaler Euro sollte einen zusätzlichen Nutzen stiften, eine „bessere“ Form des Bargeldes darstellen.
  • Bankenbeteiligung: Mit ihrer Kundenexpertise sind die Geschäftsbanken dafür prädestiniert, einen digitalen Euro in den Verkehr zu bringen.
  • Marktnähe und Innovationsoffenheit: Ein digitaler Euro sollte die Bedürfnisse des Marktes befriedigen. Zudem gilt es, ein Fundament zu schaffen, das offen für Innovationen ist – in naher und in ferner Zukunft.
  • Risikominderung: Die Risiken, die damit einhergehen, ein neues Zahlungsmittel zu etablieren – vom Investitionsbedarf bis zu einem veränderten Geldmarkt –  sollten erkannt und eingedämmt werden.

Durch einen marktbasierten Ansatz, dem ein breit geführter Dialog vorausgeht, kann ein digitaler Euro eine wertvolle Ergänzung zu den bisherigen Zahlungsmitteln darstellen, obendrein die Attraktivität des europäischen Finanzplatzes deutlich erhöhen und einen wesentlichen Beitrag für mehr europäische Souveränität leisten.

Unsere Ziele

Der Bankenverband setzt sich seit geraumer Zeit[1] für die Entstehung moderner digitaler Geldformen bzw. Zahlungsmittel in Europa ein. Neben einem digitalen Euro für Verbraucherinnen und Verbraucher, ausgegeben durch die EZB in Form einer Retail Central Bank Digital Currency (Retail CBDC, nachfolgend digitaler Euro), umfasst dieses Spektrum auch die Weiterentwicklung privatwirtschaftlicher Angebote. Zu letzteren zählen wir beispielsweise eine tokenisierte Form des Giralgelds sowie kundenfreundliche Lösungen, mit denen ein digitaler Euro für Verbraucherinnen und Verbraucher nutzbar gemacht werden kann, etwa auf dem basierenden Zahlverfahren für Einzel- und Onlinehandel.[2]

Alle diese möglichen Zahlungsmittel zeichnet im idealen Fall aus, dass sie den „Geldfluss“ in einer digitalisierten Gesellschaft und Wirtschaft optimal unterstützen – effizient, sicher und souverän, das heißt, ohne einseitige Abhängigkeit von Anbietern außerhalb Europas. Wir verstehen sie als notwendige Ergänzung zu den bestehenden Zahlungsmitteln, ohne dass wir deren Bedarf und die ihnen zugrundeliegenden Angebote und Dienstleistungen in Frage stellen.

Das vorliegende Positionspapier soll sich insbesondere auf das gegenwärtig durch die EZB durchgeführte Projekt zur funktionalen Ausgestaltung eines digitalen Euro für Verbraucherinnen und Verbraucher beziehen. Im Sommer 2021 hatte der EZB-Rat entschieden, ab Oktober 2021 eine zweijährige Untersuchungsphase zum digitalen Euro zu starten.

Erfolgreich kann ein digitaler Euro für Verbraucherinnen und Verbraucher nur dann sein, wenn er den Bedürfnissen aller Marktteilnehmer gerecht wird und so ausgestaltet ist, dass er zur größtmöglichen wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Akzeptanz beiträgt. Dabei sehen wir in ihm einen nächsten wichtigen Schritt in der Evolution des Geldes. Deshalb sollten die Vor- und Nachteile der bisherigen Zahlungsmittel und die ihnen zugrundeliegenden Rahmenbedingungen bei der Ausgestaltung des digitalen Euro mitgedacht und -berücksichtigt werden.  

Heutige Zahlungsmittel

Zu den etablierten Zahlungsmitteln zählt an allererster Stelle das Bargeld. Das Bargeld zeichnet sich durch die hohe Akzeptanz aus, die ihm der Status als gesetzliches Zahlungsmittel verleiht, ferner durch seine Anonymität, seine Haptik und seine Krisenfestigkeit (z. B. im Falle eines Ausfalls von Strom- und Kommunikations­netzwerken). Diesen positiven Eigenschaften stehen allerdings ein hoher logistischer Aufwand sowie Sicherheitsrisiken aus Verlust und Diebstahl gegenüber.

Für den täglichen Bedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen hat die Kreditwirtschaft das Bargeld vor einigen Dekaden um digitale Zahlverfahren, insbesondere Kartenzahlungen, ergänzt. Ihre Vorteile sind unübersehbar: Ein hoher Komfort, zuverlässige elektronische Sicherungsverfahren (z.B. PIN bei Kartenzahlungen), reduzierte Verlustrisiken sowie eine Integrierbarkeit in digitale Geschäftsprozesse, wie dies zum Beispiel im E-Commerce geschieht oder bei kundenorientierten Add-Ons, etwa durch die Nutzung von Bonussystemen (bspw. Flugmeilen).

Digitale Zahlverfahren ergänzen Zahlungsmittel somit um wesentliche, im digitalen Kontext unverzichtbare Dienstleistungen. Gleichzeitig weisen digitale Zahlverfahren bei ihrem Einsatz im Einzelhandel auch Nachteile auf. Dazu zählen die gegenüber dem Bargeld geringere Akzeptanz in der Fläche, eine Fragmentierung zwischen den europäischen Mitgliedsländern durch unterschiedliche Zahlsysteme und nicht zuletzt die hohe Abhängigkeit von internationalen Kartensystemen und Zahlungsdienstleistern.

Deshalb ist aus unserer Sicht die folgende Schlussfolgerung zwingend: Ein digitaler Euro sollte ein Zahlungsmittel werden, das die Vorteile von Bargeld und digitalen Zahlver­fahren so kombiniert, dass sie Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen erkennbare Mehrwerte bieten und zugleich entscheidende Impulse für den digitalen Binnenmarkt in Europa setzen kann.

Damit ein digitaler Euro diesem Anforderungsprofil gerecht wird, sollten für seine technische Ausgestaltung die optimalen Designkriterien ermittelt werden, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der mit ihm einhergehende Rollenverteilung zwischen der EZB und den privaten Marktteilnehmern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine ausgewogene Analyse der Chancen und Risiken. Für letztere ist eine öffentliche Diskussion in Gestalt eines breit angelegten Dialogs zwischen der europäischen Politik, dem Eurosystem, der Zivilgesellschaft und den Marktteilnehmern notwendig. An diesem möchten sich der Bankenverband und seine Mitglieder konstruktiv beteiligen und die aus unserer Sicht wichtigsten Anforderungen an einen digitalen Euro in die Überlegungen einfließen lassen.

Chancen eines digitalen Euro  

Die Einführung eines digitalen Euro eröffnet eine Vielzahl an Chancen, die durch die geänderten Bedürfnisse und Potenziale des digitalen Zeitalters überhaupt erst entstanden bzw. realisierbar geworden sind. Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen würden in mehrfacher Hinsicht von ihm profitieren: Durch seine bequeme Nutzbarkeit bei gleichzeitiger Anonymität des Zahlungsvorgangs, durch die innovativen technischen Möglichkeiten, die eine digitale Währung verspricht, langfristig zudem durch seine Einsatzmöglichkeiten auch außerhalb Europas. In politischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht wiederum sprechen die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität für die Einführung eines digitalen Euro.  

Angesichts der derzeit fragmentierten digitalen Zahlverfahren insbesondere im Einzelhandel würde die Nutzung eines digitalen Euro einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellen; als komfortables und risikofreies digitales Zahlungsmittel könnte er in europaweit nutzbare privatwirtschaftliche Zahlverfahren eingebettet werden. Ergänzt durch einen europaweiten gesetzlichen Annahmezwang, könnte sich ein digitaler Euro von bestehenden Zahlungsmitteln klar abheben und damit die Voraussetzung für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen, zumal bei Anonymität der Bezahlvorgänge eine der Kerneigenschaften des Bargelds in die Welt der digitalen Zahlungen transformiert würde. Eine Offline-Verfügbarkeit wäre eine weitere Option, die einen digitalen Euro von bisherigen digitalen Zahlungen abheben könnte. Darüber hinaus ließen sich im Zahlungsverkehr neue Anwendungsfälle entwickeln, die auf der Verknüpfung mit der digitalen Identität von Bürgerinnen und Bürgern beruhen.

Und auch aus einer übergeordneten Perspektive heraus bietet die Einführung eines digitalen Euro große Chancen. Durch die heutige Dominanz außereuropäischer Akteure bei digitalen Zahlverfahren ist eine zunehmende Abhängigkeit entstanden, die sich weiter verfestigt, sollte keine europäische Lösung entwickelt werden. Eine solche europäische Lösung in Gestalt eines digitalen Euro würde dagegen große Skaleneffekte für eine innereuropäische Zahlungsinfrastruktur ermöglichen. Durch eine eigene europäische Zahlungsinfrastruktur mit einem digitalen Euro, der interoperabel ist und damit auch die Möglichkeit von grenzüberschreitenden Zahlungen eröffnet, könnte Europa seine Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit sowohl nach innen als auch nach außen stärken.

Eine Weiterentwicklung bislang bekannter Bezahlarten sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls berücksichtigt werden. So ist die Programmierbarkeit von Zahlungen mithilfe von „Smart Contracts“ von wesentlicher Bedeutung, um die Innovations- und Zukunfts­fähigkeit Europas zu sichern.

Unsere Vorstellungen von einem digitalen Euro

1. Ein digitaler Euro sollte eine „bessere“ Form des Bargeldes für Privatkunden sein

Als ein nächster Schritt in der Evolution des Geldes sollte ein digitaler Euro die Vorteile aus Bargeld und digitalen Zahlverfahren miteinander kombinieren. Dafür sollte er europaweit als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt werden, jederzeit von jeder Person sicher verwendet werden können, offline verfügbar sein, als Verbindlichkeit gegenüber der Zentralbank eine hohe Wertgarantie besitzen und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten anonym einsetzbar sein. Auf keinen Fall darf er dabei die mit Bargeld verbundenen Sicherheits- und Logistikprobleme aufweisen. Ein digitaler Euro sollte mit einem Annahmezwang ausgestattet sein, der eine schuldbefreiende Wirkung entfaltet. Als eine Art Rohmaterial sollte er es den Geschäftsbanken obendrein ermöglichen, kundenorientierte Zahlverfahren und weitere auf ihm aufbauende Dienstleistungen zu entwickeln.

Zudem ist zwingend erforderlich, dass ein digitaler Euro den hohen europäischen Datenschutzanforderungen gerecht wird und dem Grundsatz der Datensouveränität von Nutzerinnen und Nutzern folgt.

2. Ein digitaler Euro sollte durch Geschäftsbanken in den Verkehr gebracht werden, Zahlungsverkehrsdienstleistungen sind Sache der Finanzdienstleistungsinstitute

Die wirtschaftliche Tragfähigkeit zur Verwendung und Bereitstellung sind Voraussetzung für einen erfolgreichen digitalen Euro. Dies bedeutet: Die Investitionskosten sollten grundsätzlich in angemessenem Rahmen gehalten werden – für die öffentlichen Institutionen wie auch für die privaten Akteure. Deshalb ist es notwendig, dass die Distribution eines digitalen Euro über die bestehenden Kundenbeziehungen der Geschäftsbanken erfolgt.

In der Praxis sollte dies so aussehen, dass die Banken für ihre Kunden eine Wallet bereitstellen, also eine digitale Geldbörse, in der ein digitaler Euro gehalten werden kann. Die Anbindung an das Girokonto als wesentliche Zahlungsverkehrsplattform wird dadurch vereinfacht; Mechanismen, um die als digitaler Euro gehaltenen Beträge zu begrenzen, lassen sich durch die Institute selbst umsetzen. Durch die Verknüpfung mit dem Girokonto könnten notwendige Dienstleistungen, wie die KYC-Prüfung bei der Eröffnung neuer Wallets, von den Geschäftsbanken in bewährten Prozessen erbracht werden. Auch die Durchführung geldwäscherechtlicher Prüfungen und gegebenenfalls weiterer rechtlicher Auflagen des Staates wären in der Folge möglich.

Basierend auf den heutigen Geschäftsbeziehungen kennen Geschäftsbanken den Bedarf der Kunden an digitalem Geld am besten – sowohl der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch der mit ihnen in Beziehung stehenden Unternehmen. An diesem Bedarf sollten sich die Anwendungsfälle für einen digitalen Euro ausrichten. Die Identifizierung und Priorisierung von Anwendungsfällen sowie die sich daraus ergebende technische Ausgestaltung der Kundenangebote sollten daher den Geschäftsbanken auf Basis der heute bereits bestehenden Geschäftsbeziehungen obliegen. Die Anschluss­fähigkeit an moderne Technologien sollte dabei über den Wettbewerb gelöst werden, um eine zügige Markteinführung zu ermöglichen.

Ein digitaler Euro sollte als Initiative der EZB, die im öffentlichen Auftrag handelt, einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen erbringen. Aufwendungen seitens der Privatwirtschaft, die mit dem Inverkehrbringen eines digitalen Euro verbunden sind, sollten grundsätzlich niedrig gehalten werden, weswegen Geschäftsbanken für ihren Beitrag zum Erreichen des öffentlichen Auftrags angemessen kompensiert werden sollten – dies ist notwendig, um den voraussichtlich hohen Investitionsbedarf fair verteilen zu können.

Um die Einführungskosten gering zu halten, sollten bestehende Initiativen genutzt werden. Die „European Payment Initiative“ (EPI) hat wertvolle Vorarbeit geleistet, um ein europäisches Zahlverfahren zu etablieren. EPI kann ein elementarer Baustein dafür sein, dass Geschäftsbanken einen digitalen Euro durch attraktive Angebote den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen in Europa zugänglich machen.

3. Ein digitaler Euro sollte aktuelle Marktbedürfnisse decken, Innovationen für die Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse ermöglichen und zweckmäßig sein

Der bestehende Wettbewerb im Zahlungsverkehr ist hoch und zeichnet sich durch differenzierte Kundenbedürfnisse und eine entsprechende Angebotsvielfalt aus. Ein digitaler Euro sollte also innovativ sein, um in diesem Wettbewerbsumfeld nachhaltig erfolgreich sein zu können. Der Privatsektor steht durch seinen wettbewerblichen Charakter für innovative und marktfähige Angebote; ihn sehen wir daher als den Treiber von Innovationen rund um den digitalen Euro. Aufgabe der EZB und des Gesetzgebers wird es sein, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Banken ausreichende Flexibilität bei der technischen Anpassung an neue Entwicklungen erlauben.

Schon bei seiner Einführung sollte ein digitaler Euro hohen technologischen Anforderungen gerecht werden. Die anonyme Einsetzbarkeit – darauf wurde bereits hingewiesen – ist eines seiner Kernelemente und hat insbesondere für Verbraucherinnen und Verbraucher eine enorme Bedeutung. Ein digitaler Euro sollte daher so ausgestaltet sein, dass die Datenautonomie der Nutzerin und des Nutzers der Maxime folgt: „So viel Privatsphäre wie möglich, soviel Geldwäschebekämpfung (und damit Minderung der Privatsphäre) wie nötig“.

Neben der Möglichkeit zur anonymen Einsetzbarkeit gehört die „Offline-Fähigkeit“ zu den Kernelementen des Bargelds – und sollte daher auch ein Charakteristikum des digitalen Euro sein. Das bedeutet, dass der Transfer eines digitalen Euro auch dann möglich ist, wenn weder das Mobiltelefon des Zahlers noch das des Zahlungsempfängers über eine aktuelle Internetverbindung verfügen. So würde ein digitaler Euro in Situationen einsetzbar sein, in denen heutige digitale Zahlverfahren nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sind.

Im Zuge der digitalen Transformation der Gesellschaft gewinnt darüber hinaus zunehmend die Programmierbarkeit von Zahlungen an Bedeutung. Die Möglichkeit, mittels eines digitalen Euro automatisierte Zahlungsauslösungen zu ermöglichen, würde perspektivisch Innovationen der Kreditwirtschaft fördern, beispielsweise um Transaktionsrisiken bei Privatkäufen zu reduzieren (z.B. Zug-um-Zug).

4. Ein digitaler Euro sollte durch seine Ausgestaltung Risiken beherrschbar machen

Die Einführung eines digitalen Euro geht nicht nur mit Chancen einher, sondern auch mit Risiken, deren Auswirkungen von der EZB bislang noch nicht hinreichend analysiert worden sind. Zu diesen Risiken zählen an vorderster Stelle Disintermediationsrisiken durch einen möglichen Einlagenabfluss und veränderte Refinanzierungsstrukturen der Kreditwirtschaft, aber auch das Risiko einer potenziellen Schwächung der Kunde-Bank-Beziehung jenseits der Angebote im Zahlungsverkehr. Diese Risiken dürfen das Finanzsystem nicht gefährden und sollten zeitnah analysiert und öffentlich diskutiert werden.

Risiko durch Disintermediation

Das Risiko einer Disintermediation der Banken ist durch die Einführung eines digitalen Euro grundsätzlich gegeben – mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft. Bei einem umfangreichen Abfluss von Kundeneinlagen in einen digitalen Euro würde dem Bankensystem Zentralbankgeld in nennenswertem Umfang entzogen und direkt von den privaten Haushalten gehalten werden. Die Refinanzierung der Geschäftsbanken über Kundeneinlagen würde dadurch eingeschränkt. Geschäftsbanken müssten in diesem Fall auf andere, in der Regel teurere Refinanzierungsmöglichkeiten zurückgreifen. Dies hätte Konsequenzen für das Kreditgeschäft, da das Kreditangebot zurückgehen und/oder die Kreditkosten steigen dürften. Die EZB könnte den Geschäftsbanken in einer solchen Situation zwar zusätzliche Zentralbankliquidität bereitstellen. Hierdurch würde sie jedoch mehr Macht auf sich konzentrieren und einen größeren Einfluss auf den gesamtwirtschaftlichen Allokationsprozess ausüben.

Allerdings kann dem wirksam begegnet werden, wenn die Nutzung eines digitalen Euro zur Wertaufbewahrung für Privatkunden (Verbraucherinnen und Verbraucher) durch niedrige Obergrenzen stark begrenzt wird und für Unternehmen nicht möglich ist. Eine Verzinsung des digitalen Euro zum Ziel der Mengensteuerung durch die EZB sollte aufgrund ihrer unzureichenden Eignung und wegen der Fokussierung auf den Einsatz im Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden. Für Banken und Marktteilnehmer ist es unbedingt notwendig sich auf diese begrenzenden Instrumente verlassen zu können: Sie dienen nicht zuletzt auch dazu, im Falle einer Finanzmarktkrise eine Verschärfung der Krisensymptome und des Vertrauensverlustes durch unkontrollierbare Verschiebungen von Einlagen in den digitalen Euro zu verhindern.

Wichtig in diesem Zusammenhang aber ist, dass die Begrenzungen keine zwingende Einschränkung der Zahlungsverkehrsfunktion eines digitalen Euro darstellen: Sie können so gewählt werden, dass sie problemlos mit dem gewöhnlichen Konsumverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher in Einklang stehen. Darüber hinausgehende Transaktionsbeträge können durch Banken beispielsweise mittels sogenannter „Wasserfall-Mechanismen“, also durch die automatische Überweisung überschüssiger Bestände in digitalem Euro auf ein Girokonto, ermöglicht werden. Eine Einbettung in bestehende Zahlverfahren erscheint möglich.   

Risiken durch sinkende Erträge

Ein weiteres Risikofeld für die Banken stellen potenziell sinkende Erträge aus dem Zahlungsverkehr dar. Diese Erträge, die sich heute aus marktfähigen Angeboten im Rahmen eines intensiven Wettbewerbs generieren lassen, sind notwendig, um Anreize für kundenorientierte Innovationen zu schaffen und eine faire Aufteilung der im Zahlungsverkehr entstehenden Kosten zwischen allen Parteien der Wertschöpfungskette zu ermöglichen – zu diesen gehören Banken, Dienstleister und auch der Handel. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des hohen Investitionsaufwands, der mit der Einführung eines digitalen Euro einhergehen werden.

Im Umkehrschluss heißt dies, dass die Einführung eines digitalen Euro über künstlich niedrig gehaltene Kosten „zu Lasten” der Geschäftsbanken (und weiterer Dienstleister) ein Trugschluss ist: Ein digitaler Euro wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Banken langfristig tragfähige und zugleich innovative Geschäftsmodelle realisieren können. Ist dies nicht der Fall, werden die Angebote zum digitalen Euro keine Marktreife und keine Akzeptanz durch die Verbraucherinnen und Verbraucher erlangen. Die Kosten würden den ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen übersteigen, eine weitere Fragmentierung der europäischen Zahlungsverkehrsangebote wäre zu erwarten.

Risiken durch Schwächung der Kunde-Bank-Beziehung

Doch die Missachtung marktwirtschaftlicher Mechanismen hätte nicht nur zur Folge, dass Erträge aus den Zahlungsverkehrsangeboten wegfallen und kundenorientierte Weiterentwicklungen dadurch erschwert werden. Es geht um noch mehr: Der Zahlungsverkehr ist heute als Anker für die Kunde-Bank-Beziehung in die digitale Kontoführung integriert und unterstützt dadurch weitere Dienstleistungen – vom digitalen Haushaltsbuch über Anlage- und Sparprodukte bis hin zur Kreditvergabe. Sollten die von der EZB und dem Gesetzgeber zu schaffenden Rahmenbedingungen eine solche Einbettung nicht ermöglichen, könnte dies zu einer grundsätzlichen Schwächung der Kunde-Bank-Beziehung und somit langfristig zu einer geringeren Innovationsfähigkeit und einem Rückgang kundenorientierter Angebote der Kreditwirtschaft führen.

Deshalb soll noch einmal darauf hingewiesen werden: Eine mögliche fehlende Akzeptanz durch die Verbraucherinnen und Verbraucher auf der einen Seite und die erheblich eingeschränkte Möglichkeit der Geschäftsbanken, notwendige Investitionen zu tätigen, auf der anderen Seite könnten zum Scheitern eines digitalen Euro und damit zu potenziell schwerwiegenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Finanzsektors und das Vertrauen in europäische Angebote führen.

Allen hier skizzierten Risiken ist allerdings gemein, dass sie durch die richtigen Rahmenbedingungen wirksam entschärft werden können. Wichtig hierbei: Die über viele Jahrzehnte etablierte Rollenverteilung zwischen Zentral- und Geschäftsbanken sollte gewahrt werden. Zentralbanken können fördernde Rahmenbedingungen setzen, doch die Übersetzung in positive Markteffekte kann nur durch die private Wirtschaft erfolgen. Wird ein solcher „marktfähiger“ Ansatz hingegen nicht eingeschlagen, könnte sich die etablierte Rollenverteilung verschieben und dadurch strukturellen Risiken die Tür geöffnet werden – mit negativen Auswirkungen auf unser Geld- und Währungssystem sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft.

Schlussfolgerungen und Leitplanken für den weiteren Dialog

Nur ein „marktfähiger“ Ansatz kann die mit der Einführung eines digitalen Euro verbundenen Risiken wirksam reduzieren und die europäische Souveränität sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken. Die in den vorherigen Abschnitten skizzierten Anforderungen an einen digitalen Euro hinsichtlich

  • seiner Ausgestaltung als „digitale Banknote“ und gesetzliches Zahlungsmittel,
  • der Nutzbarmachung des Innovationspotenzials der Kreditwirtschaft, nicht zuletzt durch kundenorientierte Zahlverfahren,
  • der Einführung wirksamer Mechanismen, um negative Auswirkungen auf die Refinanzierungsstruktur und Kreditvergabe der Banken zu verhindern, insbesondere von robusten Obergrenzen, durch die eine nicht nachhaltige Nutzung zur Wertaufbewahrung vermieden wird, sowie  
  • einer fairen Aufteilung der mit der Erreichung eines gesamtgesellschaftlichen Ziels verbundenen Kosten 

sollten als Leitplanken für die weiteren Aktivitäten der EZB und des Gesetzgebers sowie für die öffentliche Diskussion dienen.

 

[1] Oktober 2019: https://bankenverband.de/themen/programmierbarer-digitaler-euro/; Juni 2020: https://bankenverband.de/themen/europas-antwort-libra/; Juli 2021: https://die-dk.de/digitaler-euro/; Dezember 2022: https://die-dk.de/themen/stellungnahmen/positionspapier-zum-digitalen-euro-weichenstellung-die-europas-zahlungswesen-grundlegend-verandern-konnte/

[2] Weiterhin hat der Bankenverband auf die Notwendigkeit zur Schaffung einer Wholesale CBDC hingewiesen, die im Sinne einer weiteren Evolutionsstufe von Zentralbankreserven DLT-basierte Geschäftsprozesse im Interbankenbereich unterstützen kann.

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Juliane Weiß

Pressesprecherin für Regulierung der Finanzmärkte, Einlagensicherung, Finanzbildung, Steuern, Geldwäsche und Finanzfritzen/Instagram

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