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Sewing: Die Transformation darf nicht am Haushalt scheitern

17.11.2023Artikel
Thomas Schlüter
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Gastbeitrag vom Vorsitzenden des Vorstands, Deutsche Bank AG und Bankenpräsident Christan Sewing, erschienen im Handelsblatt am 17.11.2023.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es weniger öffentliche Mittel für den Umbau der Wirtschaft. Höchste Zeit, mehr privates Kapital zu mobilisieren, fordert Christian Sewing.

Am Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht eine Schockwelle durch das Land geschickt. Das Urteil, wonach ungenutzte Haushaltsmittel aus der Coronapandemie nicht für den Klima- und Transformationsfonds umgewidmet werden durften, hat gravierende Folgen: Im Bundeshaushalt fehlen nun 60 Milliarden Euro für Klimaschutz und Digitalisierung.

Die Antwort darauf darf nicht darin bestehen, nur Investitionspläne zusammenzustreichen. Die Modernisierung unseres Landes ist überfällig und darf nicht scheitern. Deshalb gilt es, rasch andere Finanzierungsquellen zu erschließen. Privates Kapital spielt dabei die zentrale Rolle - und wenn wir es klug einsetzen, steckt im Urteil des Verfassungsgerichts sogar eine Chance für unser Land.

Woher aber kann dieses private Kapital kommen? Natürlich stehen die Banken bereit, wir wollen und werden unseren Beitrag leisten. Angesichts der enormen Summen, die investiert werden müssen, reichen Bankbilanzen aber nicht aus.

Wir brauchen auch internationale Investoren, die sich im großen Stil in unserem Land engagieren. Deshalb ist der Kapitalmarkt der Schlüssel, damit Deutschland und Europa die Transformation bewältigen und international Schritt halten können.

Spricht man mit ebendiesen Investoren, wird schnell klar: Kapital ist reichlich vorhanden. Und das Interesse an Deutschland und Europa groß. Schaut man aber auf die tatsächlichen Geldströme, stellt man fest, dass die großen Anleger vor allem in anderen Regionen der Welt aktiv sind. Woran liegt das?

Natürlich ist die Wachstumsdynamik in den USA oder vielen asiatischen Ländern ein gewichtiger Faktor für Investoren - aber beileibe nicht der einzige. Es liegt auch an den Marktstrukturen.

Große Fonds und Kapitalsammelstellen investieren vorzugsweise dort, wo es einen tiefen und liquiden Kapitalmarkt gibt. Sie wollen klare und möglichst einfache Regeln, damit sie schnell und flexibel handeln können. In der Europäischen Union mangelt es genau hieran. Die nationalen Kapitalmärkte sind zu klein, zu wenig Geschäfte werden abgewickelt.

Klar ist: Die EU muss die Rahmenbedingungen für Kapitalmarktgeschäfte verbessern. Wir fordern seit Jahren, diese Finanzierungssäule zu stärken, um die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln und Bankbilanzen zu verringern.

Wie wichtig Diversifizierung ist, haben uns die vergangenen Jahre gelehrt, als Lieferketten wegbrachen und ein Energieschock drohte. Diese Lehre sollten wir nun auch mit Blick auf die Finanzierungsquellen unserer Wirtschaft beherzigen. Aber es geht um viel mehr als darum, Risiken zu vermeiden. Die Kapitalmarktunion wäre das günstigste Wachstumsprogramm für Europa überhaupt. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, dass die grüne Transformation gelingen kann, die jedes Jahr allein in Europa Schätzungen zufolge Investitionen von einer Billion Euro erfordert.

Klar ist: Eine echte Kapitalmarktunion ist kurzfristig nicht zu erreichen. Wir können es uns allerdings nicht leisten, noch länger auf eine ideale Lösung zu warten - nach dem Karlsruher Urteil erst recht nicht. Wir brauchen jetzt wirksame Zwischenlösungen, um schnell mehr Kapital zu mobilisieren. 

Eine effektive Lösung liegt bereits auf dem Tisch und wird von Deutschland und Frankreich unterstützt: Verbriefungen sind ein einfaches Instrument, um mehr Kreditvergabe zu ermöglichen - auch an Unternehmen, die keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben. Über Verbriefungen lassen sich Kredite in handelsfähige Wertpapiere umwandeln.

In zahlreichen Regionen wächst das Volumen von Verbriefungen deutlich - nur eben nicht in der EU. Der europäische Verbriefungsmarkt macht gerade einmal ein Zwölftel des amerikanischen Marktes aus. Wir lassen hier erhebliches Potenzial ungenutzt. Die Gründe sind vielfältig: Unser Regelwerk ist viel zu kompliziert, die Prozesse dauern zu lange und sind zu teuer. Das müssen wir schnellstmöglich ändern und den Verbriefungsmarkt in der EU aktivieren.

Notwendig sind vor allem einfachere Regeln und größere Handelsvolumina. Nur ein liquider Markt wird große Staatsfonds und andere Kapitalsammelstellen dazu bringen, mehr Geld in Europa zu investieren.

Eine weitere Möglichkeit wäre ein privatwirtschaftlich organisierter Transformationsfonds, der heimischen und internationalen Investoren die Möglichkeit bietet, sich beim nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu engagieren. Von Bankenseite könnten wir über zwei Milliarden Euro in einen solchen Transformationsfonds einbringen, wenn wir die Mittel nutzen, die einst in den deutschen Bankenrettungsfonds eingezahlt wurden und dort auch nach seiner Ablösung durch eine europäische Lösung noch liegen.

Die Zeit drängt. Aktuell investieren wir in Deutschland nicht einmal die Hälfte dessen, was für die Transformation der Wirtschaft erforderlich ist. Wir müssen jetzt die Hebel für einen leistungsfähigeren Kapitalmarkt in Europa ansetzen. Nur so können wir die nötigen Mittel aufbringen, damit das deutsche und europäische Wirtschaftsmodell auch weiterhin erfolgreich sein kann. Das Karlsruher Urteil kann und sollte der Startschuss sein, hier endlich konsequent die richtigen Weichen zu stellen.

 

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Thomas SchlüterBereichsleiter Kommunikation, Pressesprecher für Regulierung der Finanzmärkte, Bankenaufsicht, Einlagensicherung