Interview in der Börsen-Zeitung vom 6. Mai 2022 mit Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes.
Herr Ossig, nach dem Abschied von Herrn Krautscheid als Co-Hauptgeschäftsführer führen Sie den Bankenverband seit einigen Wochen alleine. Wie sieht sie Ihre Agenda aus?
Unsere Agenda wird im Moment durch die großen Krisen bestimmt: Die Pandemie, den Krieg in der Ukraine, der alles überschattet, und den Klimawandel. Wir erleben im Moment einen politischen Umbruch, der auch wirtschaftlich weitreichende Folgen hat. Unsere Agenda haben wir aufgeteilt in vier Säulen, von denen die erste die Regulierung betrifft: Wenn wir die Krise bewältigen wollen, brauchen wir die passenden regulatorischen Regeln. Denn wettbewerbsfähige Banken sind jetzt mehr denn je notwendig.
Diese Forderung ist nicht neu, der Verband erhebt sie seit langem. Was hat das mit dem politischen Umbruch zu tun?
Die Herausforderungen für unsere Wirtschaft haben sich durch Russlands Krieg verschärft. Der Finanzierungsbedarf ist weiter gewachsen. Deshalb ist und war es wichtig, dass bei der Umsetzung des Basler Kapitalregelwerk auf europäischer Ebene die Besonderheiten der europäischen Wirtschaft berücksichtigt werden. Das Thema Bankenabgabe ist ein weiteres wichtiges Thema. Und wir achten darauf, dass kleinere und mittlere Banken nicht über Gebühr durch Regulierung belastet werden.
Der zweite Punkt?
Der hat ebenfalls mit der Krise zu tun: Wir brauchen mehr Europa, wir brauchen einen europäischen Finanzbinnenmarkt. Der Krieg in der Ukraine hat in Europa eine neue Einigkeit, auch ein neues Momentum geschaffen. Das müssen wir jetzt nutzen, um Europa weiterzubringen. Die dritte Säule in unserer Agenda ist die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und deren Finanzierung - da verbringe ich momentan viel Zeit mit Gesprächen nicht nur mit den Standardsetzern, sondern auch mit den Kunden unserer Mitgliedsbanken. Hier müssen wir viel und klar kommunizieren, um Erwartungen von Aufsicht, Politik aber auch der Kunden gerecht zu werden, etwa was die Taxonomie betrifft: Wir wissen, dass die Taxonomie nur 20 bis 40 Prozent der Wirtschaftsaktivitäten in Europa abbildet. Das bedeutet aber nicht, dass Banken künftig 60 bis 80 Prozent aller wirtschaftlichen Aktivitäten nicht mehr finanzieren. Im Gegenteil: Banken finanzieren auch weiterhin Geschäft, das nicht unter die Taxonomie fallen. Hierfür brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen.
Damit eng verbunden ist die vierte Säule unserer Agenda: die Stärkung der Kapitalmärkte. Schließlich reden wir hier über einen Investitionsbedarf im hohen, dreistelligen Milliardenbereich. Die können wir nicht alleine mit öffentlichen Geldern bestreiten.
Gerade wenn es um europäische Themen geht, etwa die Sustainable-Finance-Strategie der Europäischen Union, die Kapitalmarktunion oder die Umsetzung von Basel III, äußert sich der BdB in der Regel zusammen mit den anderen kreditwirtschaftlichen Verbänden als Zusammenschluss Deutsche Kreditwirtschaft. Braucht man da in Deutschland noch fünf verschiedene Verbände oder sollte der BdB nicht vielmehr einen Schulterschluss suchen?
Die Vielfalt des Bankensystems in Deutschland mit seinen privaten Banken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen ist eine Stärke unseres Systems. Der BdB hat in diesem Jahr die Federführung in der Deutschen Kreditwirtschaft. Bei den meisten Themen haben wir große Übereinstimmung zwischen den Verbänden. Aber natürlich gibt es auch Themen, bei denen die Schnittmenge kleiner ist. Das ist auch nachvollziehbar. Dann machen wir uns auf die Suche nach Gemeinsamkeiten und vertreten diese auch klar. Und ich bin mir sicher, dass die Deutsche Kreditwirtschaft gute Kompromisse findet. Lassen Sie es mich so sagen: Kompromissfindung ist eine Kernkompetenz, wenn Sie in einem Verband arbeiten.
Soeben hat der Verband über eine Neustrukturierung der Führungsebene informiert und dabei vier Geschäftsbereichsleitungen eingeführt. Bisher gab es die Hauptgeschäftsführung und rund 30 Themengruppenleiter. Warum eine dritte Hierarchieebene?
Vor zwei Jahren haben wir im Rahmen eines tiefgreifenden Change-Programms die Silo-Struktur der alten Geschäftsbereiche aufgebrochen. Es ist eine Struktur mit Themengruppen entstanden, die seitdem der gut eingestellte Motor des Verbandes ist und eine hohe Agilität mitbringt. Darauf bin ich sehr stolz. Klar ist aber auch, dass ich als Hauptgeschäftsführer nicht rund 30 Leiterinnen und Leiter von Themengruppen allein führen kann. Daher war es notwendig, Berichtslinien zu bündeln. Wir haben in den letzten Wochen eine neue Struktur erarbeitet, die nicht um handelnde Personen herumgebaut ist, sondern Themen und Effizienz im Fokus hat. Mir war es zudem sehr wichtig, dass die Führungsstruktur die Vielfalt von Fähigkeiten, die wir im Verband haben, widerspiegelt. Das neue Führungsteam ist deutlich diverser als dies oft in der Verbandswelt der Fall ist.
Zwei der vier Geschäftsbereichsleitungen sind mit Frauen besetzt worden.
Im Sommer kommt Henriette Peucker zu uns, sie steht für langjährige Erfahrung sowohl in der politischen Kommunikation und als auch im Finanzsektor – unter anderem bei Citigroup und der Deutschen Börse. Mit Miye Kohlhase haben wir eine sehr erfahrene Juristin und Bankerin mit Kapitalmarkt-Fokus und mit Hilmar Zettler ist ein ausgewiesener Experte für die Finanzmarktstabilität dabei. Kommunikation und Weiterentwicklung des Verbandes sind die wichtigen Themen von Oliver Santen im neuen Team. Ich freue mich über diese Mischung aus unterschiedlichen Fähigkeiten und Prägungen. Zudem treten wir in den vergangenen zwei Jahren deutlich moderner auf.
Wie sieht das aus?
Wir sind deutlich digitaler geworden – das zeigt sich in der Vielzahl unserer Online-Events, die wir regelmäßig veranstalten. Wir haben im Verband ein TV-Studio aufgebaut und setzen in der internen wie externen Kommunikation stärker auf Videos. Wir haben drei Etagen des Verbandsgebäudes komplett umgebaut – mehr Platz für Begegnung und Austausch. Wir wollen eine Plattform für Dialog sein, übrigens in einem völlig veränderten politischen Umfeld. Wenn Sie sich den Bundestag anschauen, dann stellen Sie fest, dass 38 Prozent der Abgeordneten neu im Bundestag sind, bei den Regierungsparteien fast 50 Prozent. Der Bundestag ist im Schnitt über zwei Jahre jünger, deutlich weiblicher und auch digitaler geworden. In Berlin hat sich unglaublich viel getan. Darauf muss auch die Verbandsarbeit reagieren. Zudem wollen wir unsere Aktivitäten in der Finanzbildung für junge Leute neu ausrichten und ausbauen. Ich bin davon überzeugt, dass es jede Mühe wert ist, mit jungen Menschen direkt in den Dialog zu treten und zu sagen „Ihr müsst Euch in der Finanzwelt auskennen, wenn ihr später selbstbestimmt durchs Leben kommen wollt“.
Apropos digital: Ende März ist das Digital Finance Forum des Finanzministeriums zusammengetreten. Da sitzt Herr Schmalzl vom Sparkassenverband DSGV drin, nicht aber ein Vertreter vom BdB. Ist der Verband da short?
Das Digital Finance Forum bildet persönliche, keine institutionellen Mitgliedschaften ab. Wir sind uns einig in der deutschen Kreditwirtschaft, dass von den handelnden Personen nicht nur die Interessen der eigenen Institutsgruppe vertreten werden, sondern die Vielfalt der deutschen Kreditwirtschaft.
In der Führung des Verbands haben Sie jetzt geballten Sachverstand aus Großbanken versammelt, im Präsidium haben Sie diese mit Präsident Christian Sewing ohnehin. Wo bleibt die Vertretung der Interessen der zahlreichen kleineren Banken?
Eine wichtige Frage! Für uns ist es entscheidend, dass die Regional- und Privatbanken genauso wahrgenommen werden wie die Großbanken. Ihre Interessen werden auch in den Gremien stark repräsentiert, im Präsidium etwa durch Emmerich Müller vom Bankhaus Metzler. Ich selbst komme ja auch nicht aus einer Großbank, sondern von einer Auslandsbank.
JP Morgan ist nicht gerade eine kleine Bank.
Das ist sicherlich richtig, aber JP Morgan ist in Deutschland eine Auslandsbank. Heute steht die Bank für 400 Milliarden Euro Bilanzsumme in Deutschland – zu meiner Zeit arbeiteten vielleicht 100 Leute in einem Büro am Frankfurter Börsenplatz. Proportionalität und eine angemessene Regulierung für mittelgroße und kleine Institute stehen bei uns weit oben auf der Agenda. Wir haben vor drei Jahren die Bankenakademie gegründet, welche sowohl Umsetzungsthemen, gerade bei kleinen und mittelgroßen Instituten, begleitet und die Vermittlung von Wissen bei unseren Mitgliedern unterstützt. Und unser Präsident Christian Sewing ist ein Großbanker, aber sein Vorgänger Hans-Walter Peters war ein Privatbanker.
Sie sprachen den Krieg in der Ukraine als dominierenden Faktor an. Wie halten es die deutschen Banken mit der Umsetzung der Sanktionen?
Wir stehen ohne Wenn und Aber hinter dem Sanktionsregime. Zuallererst sind die Banken derzeit damit beschäftigt, die Sanktionen so umzusetzen, wie sie die EU beschlossen hat. Und das gelingt ihnen gut. Für uns ist wichtig, dass dabei zwischen Europa, den USA und Großbritannien eine enge Abstimmung herrscht hinsichtlich der Ausgestaltung der Sanktionsregime.
Gibt es denn Probleme?
Die gibt es immer dann, wenn die Regeln nicht klar formuliert sind, oder wenn unterschiedliche Auslegungen möglich sind, wenn etwa nicht ganz klar ist, welche Informationen über einen Kunden beschafft werden müssen. Da müssen Banken immer vorsichtig sein, damit sie auf der sicheren Seite stehen. Sie wissen aus der Vergangenheit, dass man sich dabei schnell die Finger verbrennen kann. Denken Sie nur an das Thema Sanktionen im Hinblick auf Iran etc., wo ein Teil der Komplexität aus den auseinanderlaufenden Sanktionsregime herrührte.
Die Commerzbank kassierte 2015 eine Milliardenstrafe der US-Behörden.
Daher sind die Banken sehr aufmerksam, wenn es darum geht den Regeln und Anforderungen zu entsprechen.
Bundesbank-Vorstandsmitglied Joachim Wuermeling hat deshalb schon die Befürchtung geäußert, Banken könnten zu viel des Guten tun und Sanktionsbestimmungen weiter auslegen, als sie eigentlich auszulegen sind.
Zunächst einmal hat Joachim Wuermeling anerkannt, dass die Banken die Sanktionen sehr gewissenhaft und korrekt umsetzen. Richtig ist aber auch: Wenn Banken mit Unklarheiten konfrontiert sind, müssen sie zurückhaltend sein und sich manchmal auch gegen eine Transaktion entscheiden.
Ist das ein flächendeckendes Problem?
Ich sehe hier kein flächendeckendes Problem. Die Umsetzung der Regelwerke ist für die Institute sehr komplex. Banken gehen bei diesem Thema sorgfältig und genau vor.
Man war ja überrascht zu hören, dass etwa die VTB Bank Europe überhaupt nicht sanktioniert ist. Dasselbe gilt für die Sberbank. Hätte dies nicht längst geschehen müssen?
Das ist eine politische Entscheidung, und es ist nicht unser Job zu kommentieren, wie Sanktionen ausgestaltet werden.
Der Krieg in der Ukraine wird sich noch lange auswirken. Generell scheint schon jetzt eine Abwicklung der Globalisierung stattzufinden. Erleben wir gerade das Ende des Geschäftsmodells der weltweit agierenden Universalbank?
Ich sehe nicht das Ende der Globalisierung. Es ist klar, dass wir Lektionen ziehen müssen aus den Entwicklungen nicht nur im Hinblick auf Russland, sondern auch auf die Pandemie. Globale Lieferketten sind fragiler geworden. Das wird zu einer Veränderung von Produktionsketten, auch von Handelsströmen führen. Das heißt aber nicht, dass wir die globale Vernetzung der Wirtschaft grundsätzlich zurückfahren werden. Auch der deutsche Mittelstand ist international sehr aktiv, und es ist eine ganz wichtige Aufgabe gerade der privaten Banken, diese Kunden in ihrem internationalen Geschäft zu begleiten.
Das Interview führte Bernd Neubacher.