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Corona – wie können wir Daten während und nach der Krise besser nutzen?

17.04.2020Artikel
Stephan Mietke
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Die aktuelle Corona-Pandemie führt uns vor Augen, welche Möglichkeiten moderne Technologien geschaffen haben, um Krisen analysieren, bekämpfen und bewältigen zu können. Mittels Aggregation von Daten und Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) etwa fanden Forscher Hinweise auf den Ausbruch einer neuen Krankheit in der chinesischen Provinz Hubei, noch ehe Experten der WHO diese kommen sahen. Möglich machte dies eine Software, die täglich über 100.000 Medien und offizielle Quellen in 65 Sprachen scannt, darunter regionale Nachrichten, offizielle staatliche Gesundheitswarnungen, Meldungen über Tier- und Pflanzenkrankheiten sowie entsprechende Foren und Blogs. Anhand anonymer, aggregierter Daten zum Beispiel über Flugrouten, Mobilfunkdaten und lokale Klimabedingungen kann sie globale Ausbreitungswege und -geschwindigkeiten von Infektionskrankheiten effektiv vorhersagen.

Solche Ansätze sind nicht neu, schon 2012 konnte Google die Ausbreitung einer Grippe durch Messung der Anhäufung von Google-Suchanfragen prognostizieren, damals allerdings noch mit schwankendem Erfolg. Seitdem hat sich die Menge der Daten, die jährlich neu erzeugt wird, knapp verzehnfacht. Parallel hierzu haben sich auch die Möglichkeiten der Übertragung und Verarbeitung fortlaufend weiterentwickelt, wodurch neue Potenziale für die Bewältigung von Krisen, aber auch für den normalen Alltag entstehen.

Daten gegen Corona

Nicht nur autoritär regierte Staaten wie die Volksrepublik China setzen auf die Auswertung von Daten im Kampf gegen die Verbreitung der Krankheit. Auch demokratische Länder wie Südkorea und Italien machen sich diese im Interesse und mit Unterstützung ihrer Bürger zunutze oder denken – wie aktuell die deutsche Bundesregierung – intensiv darüber nach, dies in Kürze zu tun. Denn Daten sind objektiv, lassen sich nahezu in Echtzeit erheben und bei Bedarf auch auf anonymisierter Basis auswerten. Mittels einer App können beispielsweise Kontakte zwischen Personen nachvollzogen werden, ohne dass Bewegungsprofile erstellt oder Identitäten offenbart werden müssen. So können potenziell Infizierte sofort gewarnt werden, wenn Personen in ihrem Umfeld erkranken. Moderne KI-Systeme sind in der Lage, aus der Fülle der Daten Zusammenhänge zu extrahieren, die wiederum Aufschluss über die Ausbreitung der Krankheit und die Wirksamkeit von Maßnahmen zu ihrer Eindämmung geben. Auf diese Weise kann die Ausbreitung von Pandemien oder anderer Krisen verlangsamt oder im besten Fall verhindert werden. Dies muss nicht zwingend einen Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen bedeuten, sofern die Auswertung auf Basis anonymisierter und aggregierter Daten erfolgt.

Automatisierte Kreditentscheidungen

Daten und KI-Methoden können aber auch dazu beitragen, die wirtschaftlichen Herausforderungen der aktuellen Krise zu meistern. So werden jetzt schnelle und stark automatisierte Kreditentscheidungen benötigt, um die Liquiditätsengpässe hunderttausender Unternehmen, Gewerbetreibender und Verbraucher zu überbrücken. Damit Banken dies bewerkstelligen können, brauchen sie aktuelle und verlässliche Daten über die Bonität und den akuten Finanzierungsbedarf der Kreditnehmer.

Für die Bearbeitung der großen Flut an Kreditanträgen in kürzester Zeit erweist sich eine Vorab-Kreditwürdigkeitsprüfung, ein sogenannter „pre-approved credit“, als großer Vorteil. Dabei ermitteln Banken auf Basis aktueller Daten vorausschauend die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden, auch ohne dass ein Kreditantrag gestellt wird. Auf diese Weise können sie Kredite sofort zusagen, wenn Bedarf entsteht. Voraussetzung hierfür ist ein laufender Einblick der Bank in alle notwendigen Daten des Kreditnehmers (Finanz- und Ertragssituation, Vermögensbestände, Forderungen etc.) oder aber die Möglichkeit, diese quasi auf Knopfdruck vom Unternehmen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Auch jenseits der aktuellen Krise würden Kunden davon profitieren, dass das aufwendige manuelle Zurverfügungstellen von Unterlagen und Nachweisen wegfällt und Kredit damit augenblicklich zur Verfügung gestellt werden können.

Digitalisierte Prozesse und standardisierte Schnittstellen

Damit sich datengetriebene Ansätze stärker durchsetzen und einen spürbaren Kundennutzen erzielen können, bedarf es vollständig digitaler Prozesse und standardisierter Schnittstellen, über die die notwendigen und regulatorisch geforderten Informationen in Echtzeit abgerufen werden können. Auch wenn die Zahlungsverkehrshistorie oder Bonitätsdaten von Auskunfteien heute bereits standardisiert zur Verfügung stehen, werden gerade für die Gewerbe- oder Unternehmensfinanzierung oftmals weitere Nachweise wie Identitätsdokumente, Registerauszüge, Einkommensnachweise, Steuerbescheide oder Bilanzinformationen benötigt, die häufig noch papierhaft oder per E-Mail übertragen werden. Mit dem „Digitalen Finanzbericht“ ist ein Standard entwickelt worden, der es Unternehmen bzw. ihren Steuerberatern seit 2018 ermöglicht, den Jahresabschluss direkt per XBRL-Datei bilateral an ihre Hausbank zu übermitteln. Dies minimiert die Fehleranfälligkeit und verbessert die Datenqualität.

Zur Beschleunigung der Prozesse bei der Aufnahme neuer Geschäftsbeziehungen könnte der Austausch von Identifizierungsdaten zwischen Banken oder ein zentraler KYC-Service für Firmenkunden dabei helfen, die regulatorischen Anforderungen an die Kundenidentifizierung und die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung schneller und effizienter abzuwickeln. Entsprechende Ansätze stehen noch am Anfang, könnten aber einheitliche Standards befördern und perspektivisch zu einem neuen Daten- und Identitätsökosystem werden, das auch für viele Anwendungsfälle außerhalb der Finanzwirtschaft, beispielsweise für den Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen oder für das Identitätsmanagement im Internet of Things, genutzt werden könnte. 

Pooling von Daten

Ebenso wichtig wie die durchgehende Digitalisierung der Prozesse ist es, alle möglichen Erkenntnisse einfließen zu lassen, die eine Aussage über die Solvenz des Kunden und die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Kredites zulassen. Gerade in außergewöhnlichen Situationen oder bei sehr speziellen Kundensegmenten, für die keine oder nur sehr wenige historische Erfahrungen in Form von Daten vorliegen, könnten zusätzliche externe Daten Banken dabei unterstützen, das Kreditrisiko in vertretbarem Rahmen zu halten. Mittels Pooling von Daten kann so eine kritische Masse erreicht werden, um valide Prognosen zu treffen, die für den einzelnen Kreditgeber mangels hinreichend großer Datengrundlage ansonsten nicht leistbar wären. 

Auf Basis dieser konsolidierten Datengrundlage könnten auch sogenannte Zweitrundeneffekte besser und schneller analysiert werden, um Aufschluss über wirtschaftliche Stressszenarien über mehrere Perioden hinweg zu erhalten. Daraus ließe sich im Idealfall ableiten, wo Kredite oder Staatshilfen jetzt besonderes benötigt würden, um langfristige negative Effekte auf andere Kreditnehmer oder ganz Branchenzweige zu vermeiden. Durch das Aggregieren und Anonymisieren der Daten wäre Sorge dafür zu tragen, dass der Schutz von personenbezogenen Daten oder von Geschäftsgeheimnissen gewahrt bleibt.