Deutschland wird seine Klimaziele weder 2030 noch 2045 erreichen. Das geht aus einem regierungsinternen Bericht hervor, den die Bundesregierung alle zwei Jahre verfassen und an die EU-Kommission übermitteln muss. Darin analysiert ein Forscherteam um das Öko-Institut und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, ob die von der Regierung geplanten und beschlossenen Maßnahmen helfen, Emissionen einzusparen. Zum gleichen Ergebnis wie dieses Forscherteam kommt der Expertenrat für Klimafragen, der die Klimaschutzmaßnahmen im Auftrag der Bundesregierung unabhängig und wissenschaftlich überprüft hat. Es werde nicht genug CO2 eingespart, so die Kritik des Rats. Dem Gremium gehören fünf Natur- und Wirtschaftswissenschaftler an.
Überarbeitetes Klimaschutzgesetz von 2021
Zur Einordnung: Das Bundesverfassungsgericht entschied Anfang 2021, dass das damals existierende Klimaschutzgesetz unzureichend sei, um die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen langfristig zu gewährleisten. Die Regierung Merkel wurde daraufhin aktiv und beschloss gegen Ende ihrer Amtszeit ein verschärftes Klimaschutzgesetz. Wichtigste Änderungen gegenüber der alten Version: Die bis 2030 noch zulässigen jährlichen Emissionen wurden deutlich reduziert. Das Ziel der Netto-Null-Emissionen wurde um fünf Jahre vorgezogen auf das Jahr 2045. In der überarbeiteten Fassung gibt das Klimaschutzgesetz von 2021 nun einen konkreten Weg zum Klimaziel 2030 vor.
Ende März 2023 beschloss die Ampelkoalition dann, die mehrjährige Gesamtreduzierung der Emissionen stärker in den Vordergrund zu rücken und einen sektorübergreifenden Ansatz zu verfolgen. Bis dahin galt: Jeder einzelne der Sektoren, die maßgeblich für den CO2-Ausstoß verantwortlich sind, also Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft, musste einen eigenen CO2-Abbaupfad vorlegen und Maßnahmen einleiten, wenn die Etappenziele nicht erreicht wurden. Nach der Änderung bestehen die einzelnen Sektorziele zwar weiterhin, bei der Erreichung dieser Ziele werde den Sektoren allerdings mehr Flexibilität eingeräumt. Der Expertenrat für Klimafragen sieht diesen neuen Ansatz kritisch und warnt vor einer Abschwächung des Klimaschutzgesetzes.
Bis 2030 will Deutschland seinen Treibhausgas-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 senken. Bisher wurden rund 60 Prozent der insgesamt nötigen Emissionseinsparungen erreicht. Um das Ziel 2030 einzuhalten, muss Deutschland die Geschwindigkeit der Emissionsminderung in den verbleibenden Jahren also deutlich erhöhen. Doch die einzelnen Sektoren weisen große Unterschiede beim Stand der Emissionsminderung auf.
Problemsektor Verkehr
Das größte Problem bleibt der Verkehrssektor, der bis 2030 bis zu 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid zu viel ausstoßen wird – das entspräche ungefähr dem, was Autos, Lastwagen, Busse, Bahnen und Flugzeuge aktuell in 15 Monaten produzieren. Dieser Überschuss hängt zum einen damit zusammen, dass der Verkehr bis 2050 deutlich zunehmen wird. Zum anderen wird Deutschland laut Bericht nicht wie geplant der führende Markt für Elektromobilität: Statt der angestrebten 15 Millionen E-Autos werden bis zum Jahr 2030 allenfalls 8,2 Millionen auf den Straßen fahren, erwarten die Forscher.
Zugleich bemängeln sie, dass es an einer Perspektive fehle, wie der Verkehrssektor mehr CO2 einsparen könne. Bisherige Maßnahmen seien kaum wirksam, etwa das „Deutschlandticket“ im Nahverkehr, dessen Klimaeffekt mit deutlich weniger als einer Million Tonnen im Jahr nur gering sei. Mehr E-Autos könnten auf die Straße kommen, wenn deren Kauf bezuschusst wird, doch die Regierung lehne ab, den Kauf von E-Autos noch lange zu subventionieren. Das Wirtschaftsministerium hatte kürzlich angesichts der bereits einsetzenden Absatzkrise lediglich angekündigt, die Mittel für die seit 2023 gekürzte Kaufprämie noch einmal aufzustocken. Spätestens 2025 aber soll Schluss sein.
Für Lastwagen hat die Regierung die Kaufprämie bereits bis 2028 verlängert. Gerade Schwerlaster auf der Fernstrecke sind für einen Großteil der Emissionen verantwortlich. Von ihnen aber werde frühestens 2030 eine erwähnenswerte Zahl mit Elektroantrieben fahren, heißt es im Bericht. Den größten Klimaeffekt sehen die Experten darin, Kohlendioxid einen klaren Preis zu geben und Fahrzeuge mit klimaneutralen Antrieben steuerlich zu bevorzugen.
Einsparungen im Gebäudebereich
Der Gebäudebereich ist mit einem Anteil von ca. 40 Prozent der Bereich, in dem die meisten CO2-Emissionen in Deutschland verursacht werden: Neben dem Energieverbrauch für Warmwasser und Heizwärme fallen hier die verbauten sogenannten grauen Emissionen für den Bau sowie möglichen Rückbau von Gebäuden ins Gewicht. Das geplante Heizungsgesetz, mit dem der Umstieg auf Wärmepumpen, Fernwärme und Biomasse vollzogen wird, helfe, die Klimaziele im Gebäudebereich 2030 „beinahe“ zu erreichen, so die Experten. Allerdings ist der Gesetzentwurf zuletzt deutlich entschärft worden, weswegen die Emissionsminderungen geringer ausfallen werden als zuvor geplant. Auch deshalb bleibe bis zum Jahr 2030 eine Lücke von 35 Millionen Tonnen CO2 bestehen.
Energie: Volle Kraft voraus für die Erneuerbaren
Mit den größten Beitrag zur Emissionsreduzierung leistet der Sektor Energie. Hier sind die Ziele für die kommenden Jahre sehr ambitioniert. Während Deutschland bislang rund die Hälfte seines jährlichen Stromverbrauchs aus regenerativen Energiequellen bezieht, sollen es bis 2030 mindestens 80 Prozent im Jahr werden. Um das zu erreichen, müssen die Kapazitäten von Wind- und Solarenergie in den nächsten sieben Jahren weit mehr als verdoppelt werden. Da die Energieerzeugung aus Wind und Sonne stark vom Wetter abhängig ist und Solarstrom naturgemäß nur tagsüber generiert werden kann, müssen gleichzeitig die Speichermöglichkeiten für Energie ausgebaut werden.
Vor einigen Monaten hat die Bundesregierung konkrete Ausbauziele gesetzlich festgeschrieben. Das größte Potential bestehe im Bereich der Solarenergie. Mit einem Zubau von rund 22 Gigawatt (GW) pro Jahr soll die Photovoltaikleistung bis 2030 auf insgesamt 215 GW erhöht werden. Windanlagen sollen mit einer Gesamtleistung von 115 GW an Land installiert werden. Zusätzlich plant die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft auszuweisen. Allerdings war die Bereitstellung dieser Flächen in der Vergangenheit häufig ein politisches Streitthema, weshalb der Ausbau der Windenergie schleppend verläuft.
Viele Einzelmaßnahmen
Insgesamt hat die Politik vieles auf den Weg gebracht, zuletzt hatte die Bundesregierung rund 130 Maßnahmen unter der Überschrift „Klimaschutzprogramm“ vorgelegt. Zum Teil wurden dabei bereits umgesetzte, zum Teil geplante Vorhaben aufgelistet. Doch sie alle zusammen reichen laut Expertenrat eben nicht aus, um die gesetzlich vorgeschriebenen Klimaziele zu erreichen. Nach Auffassung des Rates sollte die Regierung u.a. ein besseres Monitoring und Controlling der beschlossenen Maßnahmen verwirklichen. Auch sei ein „gesamtgesellschaftlicher Prozess“ sinnvoll, um die anstehenden Konflikte auszuhandeln.