Prognosen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Rückgang der Artenvielfalt sind ebenso eindeutig wie alarmierend: Bis zum Ende des Jahrhunderts drohen bis zu eine Million Arten zu verschwinden; in Deutschland gelten 33 Prozent der Wirbeltiere sowie 31 Prozent der Pflanzen als gefährdet. Weltweit haben die Bestände der im WWF-Living-Planet-Report untersuchten Arten seit 1970 durchschnittlich um 69 Prozent abgenommen. Bereits zwischen 1900 und 2000 hatte die Erde rund 75 Prozent der Pflanzenvielfalt verloren. Vor allem menschliche Aktivitäten wie Umweltzerstörung, Ressourcenübernutzung und der Klimawandel sind dafür verantwortlich.
Massive Auswirkungen auf die Wirtschaft
Die Biodiversitätskrise bedroht auch den Wohlstand der Welt: Mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von rund 44 Billionen US-Dollar sei gefährdet, schreibt die Umweltorganisation WWF-Deutschland. Schon wenn wenige ausgewählte Leistungen der Natur nicht mehr verfügbar sind, könnte dies vom Jahr 2030 an jährliche Kosten von mehr als 2,7 Billionen Dollar verursachen – so eine Studie der Weltbank. Dies entspräche einem Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung von circa 2,3 Prozent.
Woher rührt dieser Effekt? Menschen und Unternehmen sind in erheblichem Maße von den Ressourcen und Leistungen der Natur abhängig. Natürliche Lebensräume und Arten versorgen uns mit Nahrung und Trinkwasser, liefern Grundstoffe für Arzneien und Fasern für Kleidung, reinigen das Wasser und die Luft. Sie bieten Schutz vor Stürmen und Überschwemmungen und sie regulieren das Klima. Umgekehrt strapaziert unser Wirtschaften die Ökosysteme und deren Leistungsfähigkeit.
Was machen die Unternehmen?
Der WWF Deutschland und die internationale Unternehmensberatung Bain & Company haben vor diesem Hintergrund erstmals untersucht, wie das Thema Biodiversität bei deutschen Unternehmen verankert ist, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Zukunftschancen sich daraus ergeben. Dafür wurden unter anderem 22 Führungskräfte branchenführender Unternehmen aus allen wichtigen Wirtschaftszweigen interviewt. Ergebnis: Deutsche Konzerne sind sich der Risiken der Biodiversitätskrise für ihre Geschäftstätigkeit ganz überwiegend bewusst.
Die meisten Unternehmen haben nach der Studie von WWF Deutschland und Bain & Company erste Schritte unternommen, um negative Auswirkungen auf die Biodiversität zu verringern, etwa im Rahmen von Pilotprojekten oder dadurch, dass sie Beschaffungskriterien festgelegt haben. Doch nur etwa die Hälfte hat sich messbare Ziele zum Schutz der biologischen Vielfalt gesteckt. Auch ist das Thema Biodiversität längst noch nicht überall in den Führungsetagen angekommen. Im Rahmen des „Carbon Disclosure Project“ gab etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen an, die Vorstandsebene oder Geschäftsführung sei damit befasst. In den meisten Unternehmen fehle es daher bislang an einem systematischen Management zum Schutz biologischer Vielfalt.
Innere Motivation als Hauptantrieb
In der Studie wurden untersucht, aus welchen Beweggründen sich die Unternehmen dafür einsetzen, die Artenvielfalt zu erhalten. Insgesamt nannten 75 Prozent der Befragten innere Motivation als Hauptantrieb. 62 Prozent der Führungskräfte wiesen darauf hin, dass sie Risiken reduzieren wollten. Etwa ein Viertel der Befragten beabsichtigt, sich gegen zukünftige Vorschriften zu schützen. Lediglich 5 Prozent gaben an, dass Druck von Finanzinstituten oder Investoren sie dazu veranlasse, die Natur zu schützen. Darüber hinaus betrachten bisher nur wenige Unternehmen (19 Prozent) mögliche Wettbewerbsvorteile als Anreiz, Maßnahmen zur Eindämmung der Biodiversitätsrisiken zu ergreifen.
Auf die Frage nach den größten Herausforderungen beim Schutz der Biodiversität gaben 95 Prozent der Führungskräfte an, dass das Fehlen standardisierter Messgrößen und Ansätze ein Hindernis darstelle. Dies erschwere die Umsetzung von Maßnahmen entlang der gesamten Lieferkette. 52 Prozent sehen den Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Ressourcen im Unternehmen als das zweitgrößte Hindernis an, sich für den Schutz der Biodiversität einzusetzen.