Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und zuvor die Covid-Pandemie haben zu erheblichen Rückschlägen im Kampf gegen den Hunger in der Welt geführt. Dies hat der aktuelle Welternährungsbericht der fünf UN-Organisationen FAO, WHO, Unicef, WFP und IFAD deutlich gemacht, der vor einigen Wochen in Rom vorgestellt wurde. Konkret in Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass im Jahr 2022 122 Millionen mehr Menschen unterernährt waren als im Jahr 2019. Insgesamt litten im vergangenen Jahr 735 Millionen Menschen unter zu wenig Nahrung. Mehr als 43 Millionen Menschen im Jahr 2022 waren dabei am Rande des Verhungerns, berichtet das Welternährungsprogramm (WFP), 2019 waren es 27 Millionen.
Eine Vielzahl von Gründen
„Es gibt viele Orte auf der Welt, an denen der Hunger zunimmt“, vor allem wegen steigender Kosten nicht nur für Lebensmittel, sondern zugleich für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Energie, heißt es im Welternährungsbericht. Die Preise für Importe, von denen viele Entwicklungsländer abhängen, waren noch nie so hoch wie im vergangenen Jahr. Zudem hat sich die Ernährungslage in etlichen Regionen aufgrund von Einkommensverlusten durch Kriege, Konflikte und Naturkatastrophen verschlechtert. Schon heute trägt auch die Erderwärmung dazu bei, dass der Kampf gegen den Hunger schwieriger wird. Wissenschaftliche Modelle verdeutlichen, dass der Klimawandel die Bedingungen für die Produktion von Lebensmitteln in vielen Regionen dieser Welt verschlechtern wird, und zwar durch den Verlust von Bodenfruchtbarkeit, von Biodiversität und durch die Veränderung der Wasserversorgung.
Covid und der Krieg
Eine verheerende Rolle spielte auch die Covid-Pandemie. Der Ausbruch von Corona und die daraufhin von den Staaten verhängten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hatten in den Ländern des „Globalen Südens“ häufig zur Unterbrechung von lokalen Lieferketten geführt. Gerade die Versorgung in den großen Städten, die wesentlich auf informellen Strukturen beruht, war durch den Lockdown stark eingeschränkt. Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine wurden dann die globalen Handelsströme von Getreide, Düngemitteln und Energie unterbrochen. Zu Beginn des Krieges deckten noch mehr als 50 Länder über 30 Prozent ihres Bedarfs an Getreide aus Russland und der Ukraine. Durch den Krieg kam es zu Preisschocks: Die Preise für Weizen stiegen um fast 75 Prozent, die für Erdgas um über 100 Prozent und die Preise für Düngemittel für Kleinbauern vervielfachten sich.
Doch auch der längerfristige Trend zeigt nach unten: Heute gelten 30 Prozent mehr Menschen als unterernährt als im Jahr 2014. Vom Ziel, bis 2030 den Hunger auszumerzen – das war eines der im Jahr 2015 beschlossenen Vorhaben zur nachhaltigen Entwicklung –, ist die Welt weit entfernt. Nach jüngsten Prognosen des WFP werden 2030 noch 590 Millionen Menschen unterernährt sein. Ohne Krieg in der Ukraine wären es 23 Millionen weniger, ohne die Pandemie weitere 96 Millionen Menschen weniger, schätzt man.
Ernährungsunsicherheit
Die Welternährungsorganisation FAO verwendet eine Reihe von Indikatoren, um die Ernährungslage in der Welt zu beschreiben. Einer davon ist die „Nahrungs-Unsicherheit“, wovon auch Menschen betroffen sind, die fürs Essen andere grundlegende Bedürfnisse zurückstellen müssen und dann häufig zu den billigsten, wenig nahrhaften Lebensmitteln greifen müssen, wie hochverarbeitete Kost mit saturierten Fetten, Zucker und Salz. Sie sichern damit ihre Kalorienzufuhr, nicht aber den Bedarf an Nährstoffen. Nach diesem Oberbegriff, der von Unterernährung bis zu ungesunder Ernährung reicht, lebten in Afrika 61 Prozent der Menschen unter Ernährungsunsicherheit – ein gutes Drittel mehr als 2015. Die wachsende Verstädterung verstärke diesen Trend.
Doch Ernährungsunsicherheit betrifft nicht nur Länder im Globalen Süden. Im Jahr 2019 mussten 10 Prozent aller Haushalte in den USA (13 Millionen) so eingestuft werden. Eine gesunde Ernährung können sich weltweit unfassbare 3,1 Milliarden Menschen finanziell nicht leisten. Die Statistik ist genau unterteilt in verhungernde, hungrige, ernährungsunsichere und mangelernährte Menschen.
Viele Agrarprodukte verenden
Wie der Hunger wirkungsvoll bekämpft werden kann, ist eine Frage, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Doch eine Zahl zeigt auf, wo möglicherweise ein Ansatzpunkt liegen könnte: Ein Drittel aller produzierten Agrargüter endet, ohne je Menschen ernährt zu haben – als Abfall auf Feldern, in Lagerräumen, im Handel und in den Haushalten. Insgesamt sind das jährlich 1,3 Milliarden Tonnen.