Durch die Lohnerhöhungen in diesem Jahr konnte die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten 2023 zwar annähernd gesichert werden, wie aus der vorläufigen Jahresbilanz hervorgeht, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung Anfang Dezember vorgelegt hat. Allerdings konnten die erheblichen Reallohnverluste der beiden Vorjahre durch die hohe Inflation damit nicht wettgemacht werden. Im Gegenteil: Dadurch, dass die Preise 2021 und vor allem 2022 deutlich stärker gestiegen waren als die Löhne, befinden sich die Tariflöhne preisbereinigt heute wieder auf dem Stand des Jahres 2016. In den 2010er Jahren hatten die Tariflöhne real kontinuierlich zugenommen.
Im Jahr 2023 steigen die Tariflöhne in Deutschland nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,6 Prozent; die Zuwachsrate ist damit mehr als doppelt so hoch wie 2022, als die Tariflöhne lediglich um 2,7 Prozent anstiegen. Allerdings erfolgen die hohen Tarifzuwächse vor dem Hintergrund einer nach wie vor sehr hohen Inflationsrate, die sich nach Schätzung auf 6,0 Prozent belaufen könnte. Hieraus ergäbe sich eigentlich ein durchschnittlicher Rückgang der tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne von 0,4 Prozent. „Eigentlich“ deswegen, weil die Wirkung der in vielen Branchen vereinbarten steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien damit noch nicht berücksichtigt wurde. Bei einem größeren Teil der Beschäftigten dürfte die finanzielle Bilanz daher positiver ausfallen.
Steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen
Was genau ist damit gemeint? In den meisten Tarifabschlüssen des Jahres 2023 wurden sogenannte Inflationsausgleichsprämien vereinbart. Dabei handelt es sich um steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, die den Beschäftigten, im Vergleich zu einer regulären Tariferhöhung, einen höheren Nettolohn und den Arbeitgebern niedrigere Arbeitskosten ermöglichen. Die Inflationsausgleichsprämien variieren je nach Tarifbereich zwischen 1.000 und 3.000 Euro und werden über einen Zeitraum von zwei Jahren in mehreren Tranchen oder auch als monatliche Zusatzzahlungen ausgezahlt.
Da die Steuer- und Abgabenersparnisse bei den Inflationsausgleichsprämien, je nach Steuerklasse und Haushaltskontext, sehr unterschiedlich ausfallen, sind sie in den Berechnungen zur durchschnittlichen Tariflohnentwicklung lediglich als Bruttoeinmalzahlungen berücksichtigt. Um die darüber hinaus gehenden Steuer- und Abgabenersparnisse der Inflationsprämie zu bewerten, hat das WSI-Tarifarchiv zusätzlich für einzelne Tarifbranchen Modellrechnungen durchgeführt – auf der Grundlage der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote.
Untere Tariflohngruppen profitieren
Ergebnis: Wenn der „Brutto-für-netto“-Effekt der Inflationsausgleichsprämien berücksichtigt wird, fallen die Tariflohnerhöhungen 2023 in einigen Branchen deutlich höher aus. Beispielsweise steigen die Tariflöhne im Öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) unter Berücksichtigung der Steuer- und Abgabenersparnisse um 9,8 Prozent, ohne diesen Effekt sind es 6,8 Prozent. Insgesamt, so die WSI, hätten die steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien 2023 in vielen Tarifbranchen dazu beigetragen, dass Reallöhne nicht nur gesichert, sondern teilweise auch deutlich angehoben werden konnten. Die Inflationsprämien haben obendrein eine deutliche soziale Komponente und führen zu einer überproportionalen Lohnerhöhung bei unteren Tariflohngruppen.
Bei der Berechnung der durchschnittlichen Tariferhöhungen hat das WSI-Tarifarchiv Tarifvereinbarungen für insgesamt 14,8 Millionen Beschäftigte berücksichtigt. Hierzu gehören sowohl Tarifabschlüsse aus den Vorjahren, die in diesem Jahr wirksam wurden, als auch die Neuabschlüsse aus dem Jahr 2023.
Aussicht 2024
Angesichts deutlich rückläufiger Inflationsraten, so die WSI-Experten, dürfte sich der Druck auf die Tarifvertragsparteien 2024 wieder etwas entspannen. Allerdings bestehe angesichts der Reallohnverluste der Vorjahre nach wie vor ein Nachholbedarf. Im Jahr 2024 starten Tarifverhandlungen in großen Tarifbranchen wie dem Bauhauptgewerbe, der Chemischen Industrie und – in der zweiten Jahreshälfte – der Metall- und Elektroindustrie.