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„Warum Deutschland einen starken Kapitalmarkt braucht“ – BankenDIALOG

25.11.2022Artikel
Christian Jung
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Zwei Präsidenten, zwei Minister – eine Meinung: „Wir brauchen einen starken Kapitalmarkt und eine europäische Kapitalmarktunion!“ – So könnte das Fazit des gestrigen Bankenverbands-Panels zum „Finanzstandort Deutschland“ lauten, zu dem Bundesbankpräsident Joachim Nagel, der Bankenpräsident und Deutsche Bank-CEO Christian Sewing sowie die hessischen Minister Michael Boddenberg (Finanzen) und Tarek Al-Wazir (Wirtschaft) nach Berlin gekommen waren. Das von der Geschäftsführerin des Bankenverbands Mitte, Sarah Schmidtke, moderierte Panel nutzten die Redner gleichwohl, um unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. So konnten die über 200 Gäste vor Ort und per Livestream eine interessante und facettenreiche Diskussion verfolgen. 

Aufzeichnung der Veranstaltung

Finanzstandort Deutschland – warum Deutschland einen starken Kapitalmarkt braucht.

Ohne starken Kapitalmarkt keinen „Green Deal“

„Wir stehen vor der Mammutaufgabe“, sagte Bankenpräsident Christian Sewing, „die gegenwärtige Inflation zu bekämpfen, gleichzeitig aber auch die langfristige Weiterentwicklung unserer Wirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren.“ Die enormen Summen, die zur Transformation der Wirtschaft gebraucht würden, erforderten ein Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Investoren. „Wir brauchen für die vor uns liegenden Aufgaben viel privates Kapital – nicht nur aus Deutschland und Europa, sondern auch aus anderen Teilen der Welt.“ Das Interesse ausländischer Investoren an Deutschland sei zwar durchaus hoch, doch müssten wichtige Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. „Europa ist ein Wachstumsmarkt“, meinte Sewing, doch „ohne Kapitalmarktunion wird der Green Deal nicht funktionieren.“ 

Gerade beim Ziel, den „grünen“ Finanzplatz Deutschland voranzutreiben, mahnte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir mehr Tempo an. „Wir haben in der Vergangenheit viel Zeit verplempert“, sagte er. Schließlich sei der Treibhaus-Effekt von wissenschaftlicher Seite schon vor Jahrzehnten vorausgesagt worden; ebenso hätten Weltbankberichte vor Jahrzehnten vor den finanziellen Schäden gewarnt, die nun in Folge von Umweltkatastrophen immer häufiger aufträten. „Wir brauchen ein anderes Mindset“, sagte der Minister, „und wir brauchen viel mehr privates Kapital, weil der Staat auf diesem Gebiet nicht alles allein machen kann.“

Kein wettbewerbsfähiger Standort ohne starken Finanzstandort

Auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel unterstrich die Bedeutung des Kapitalmarkts für die Finanzierung künftiger Aufgaben wie die Transformation und Digitalisierung der Wirtschaft. Und er ergänzte aus Bundesbank-Perspektive: „Ein Wirtschaftsstandort, der wettbewerbsfähig sein will, muss auch ein starker Finanzstandort sein. Ein stabiles Finanzsystem, stabile Preise und eine effiziente Bankenaufsicht sind dafür die wichtigsten Stützpfeiler.“ Die Regulierer hätten in den letzten Jahren einen guten Job gemacht, doch müsse weiter auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geachtet werden. Als konkrete Maßnahme plädierte Nagel dafür, alternative Formen der Finanzierung attraktiver zu machen und beispielsweise den Verbriefungsmarkt wiederzubeleben. Das nach der Finanzmarktkrise in Verruf geratene Finanzinstrument, bei dem Unternehmen ihre Forderungen verbriefen, könne unter anderen Voraussetzungen heute durchaus wieder eine größere Rolle spielen, um den hiesigen Kapitalbedarf zu decken.

Die Stigmatisierung des Kapitalmarkts beenden

Der hessische Finanzminister Michael Boddenberg sprach sich dafür aus, der teilweise bestehenden Stigmatisierung des Kapitalmarkts in der Gesellschaft entgegenzutreten. Politik und Finanzmarktakteure müssten besser erklären, warum der Kapitalmarkt für unsere Volkswirtschaft eine wichtige Funktion habe und keineswegs vor allem „zum Zocken“ da sei. Mit Blick auf die privaten Anlegerinnen und Anleger schlug Boddenberg konkret eine „Deutschland-Rente“ vor, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwei bis drei Prozent ihres Bruttolohns als Altersvorsorge dauerhaft auf dem Kapitalmarkt anlegen sollten. Das würde, so der Finanzminister, die Rente stabilisieren, die Teilhabe der arbeitenden Bevölkerung an der Entwicklung der Realwirtschaft ermöglichen und die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung für Kapitalmarktinstrumente erhöhen.

Internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken

Auf die nötigen Rahmenbedingungen am Finanzstandort angesprochen, lenkte auch Bankenpräsident Sewing das Augenmerk auf den internationalen Wettbewerb: „Wir müssen uns mit anderen Finanzmärkten, vor allem mit China und den USA messen, und da einiges aufholen, wenn wir in Europa wettbewerbsfähig bleiben wollen.“ Das betreffe zunächst die Regulierung, wobei Sewing in Übereinstimmung mit Bundesbankpräsident Nagel betonte, dass auf diesem Feld in den vergangenen Jahren sehr viel richtig gemacht wurde. „Wir waren davor klar unterreguliert“, meinte Sewing, „sonst hätte die Finanzmarktkrise nicht so stattfinden können, wie sie stattgefunden hat.“ Doch müssten wir heute aufpassen, dass das Pendel nicht zu stark in die Gegenrichtung ausschlage und die Balance zwischen Stabilität auf der einen und Wettbewerbsfähigkeit auf der anderen Seite gefährde. Zudem gelte es, die Attraktivität des Kapitalmarkts gegenüber ausländischen Investoren zu verbessern. Für sie bedeute es ein enormes Hemmnis, innerhalb der EU in 27 unterschiedliche Regelsysteme zu investieren. Schließlich, so Sewing, müssten die Banken selbst ihre Hausaufgaben noch besser erledigen, ihre Eigenkapitalrenditen stärken und auf eine engere Kundenbindung setzen. Das Ziel und die neuen Regeln zur Nachhaltigkeit böten eine große Chance, den Kontakt und das Gespräch mit den Kunden deutlich zu intensivieren. Die Bankberatung, so gab sich Sewing überzeugt, stehe damit vor einer Renaissance. 

Die Europäische Kapitalmarktunion voranbringen 

Es sei gut und von Vorteil, wenn heimische Banken die deutschen Unternehmen bei ihren Finanzgeschäften und Transaktionen ins Ausland begleiten könnten, gab Wirtschaftsminister Al-Wazir zu bedenken. Andererseits müssten viele nationale Vorhalte zugunsten einer stärkeren europäischen Zusammenarbeit aufgegeben werden. Die Verantwortung für einen gemeinsamen Markt bedeute eben gerade, dass man nicht mehr allein bestimmen könne. 

Ein Aspekt, auf den auch Bundesbankpräsident Nagel einging und dabei die Dringlichkeit einer Europäischen Kapitalmarktunion unterstrich. Die Fragmentierung der Märkte zu überwinden, die Rechtsgrundlagen, etwa beim Insolvenzrecht, zu harmonisieren und Marktintransparenz abzubauen, das seien die wesentlichen Voraussetzungen für einen effizienten und wettbewerbsfähigen europäischen Kapitalmarkt. – Ein Ziel, zu dem sich auch die anderen Teilnehmer des Panels klar bekannten.