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Gastbeitrag

Flexiblere Strategien für technologischen und gesellschaftlichen Wandel

09.04.2024Artikel
Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner
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Die günstigen Rahmenbedingungen der letzten eineinhalb Jahre haben die strukturellen Probleme der Finanzindustrie weitgehend überdeckt und den Banken so ein ansehnliches Profitabilitätswachstum ermöglicht. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass sich das bislang positive Makroumfeld langsam eintrübt. Der jüngste Zinserhöhungszyklus neigt sich vermutlich dem Ende zu, und auch die konjunkturellen Erwartungen sind – wie der aktuelle Deloitte CFO-Survey zeigt – eher zurückhaltend. Ein genauerer Blick auf die Survey-Ergebnisse für Real-Estate Unternehmen verrät, wie sehr sich der Immobiliensektor in der Krise befindet — eine ernste Bedrohung auch für Banken. Zudem sorgt der Anstieg geopolitischer Spannungen für eine Zunahme von Risiken und zwingt international ausgerichtete Unternehmen zur Neubewertung strategischer Pläne.

Margendruck in der Finanzindustrie nimmt wieder deutlich zu

Obendrein belastet der steigende Margendruck das Geschäft von Finanzunternehmen. Beispielsweise konnten Banken ihre Zinsen für vergebene Kredite schnell an die gestiegenen Zentralbankzinsen anpassen und so ihre Profitabilitätskennziffern erhöhen. Die Analyse des Makroumfelds unseres Banken- und Kapitalmarktausblicks 2024 zeigt jedoch, wie der intensive Wettbewerb nun zeitverzögert dafür sorgt, dass Zinssätze für Einlagen nachziehen und sich entsprechende Spreads wieder verringern.

Zu guter Letzt ist auch beim Thema Regulatorik viel Dynamik zu beobachten. Der Deloitte Financial Markets Regulatory Outlook 2024 gibt einen umfassenden Überblick aller relevanten Entwicklungen. Neben der Basel-Finalisierung steht für Finanzunternehmen unter anderem auch die Umsetzung der neuesten Anforderungen im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) vor der Tür, die Ressourcen binden und sich negativ auf die Produktivität auswirken. Klar ist deshalb: Wachstumsimpulse von außen sind in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Daher werden sich die eigenen Geschäftsaussichten nur durch proaktives Handeln stärken lassen.

Nachhaltigkeit und Digitalisierung bieten neue Chancen

Hierbei gilt es, die Wachstumsstrategie anhand der beiden drängendsten Themen der heutigen Zeit – Nachhaltigkeit und Digitalisierung – auszurichten. Zwar ergeben sich vielfältige Chancen in Bezug auf eigene Prozesse, das größte Potenzial liegt jedoch in der Unterstützung der Realwirtschaft. Ohne wesentliche Rückenstärkung aus der Finanzindustrie wird die Transformation hin zu digitalen und nachhaltigen Geschäftsmodellen kaum zu bewältigen sein.

Der technologische Wandel bietet dabei unzählige Möglichkeiten, interne Prozesse effizienter und das Angebotsportfolio innovativer zu gestalten. Allen voran ist hier das Thema generative KI zu nennen, welches zu maßgeblichen Umgestaltungen über alle Unternehmensbereiche hinweg führen wird. Neben der Automatisierung und Unterstützung von Arbeitsprozessen ergeben sich, wie in unserem Financial Services AI Dossier dargestellt, wichtige Use-Cases in der Betrugsprävention und Geldwäschebekämpfung sowie bei virtuellen Assistenten und in der Produktpersonalisierung. Auch im Risikomanagement und in anderen Bereichen, die durch ein hohes Maß an Datenanalyse gekennzeichnet sind, werden weitreichende Auswirkungen zu spüren sein.

Wie sich generative KI im Detail auf einzelne Geschäftsbereiche im Banking auswirken wird, kann man der Segment-Analyse des Deloitte Banken- und Kapitalmarktausblick 2024 entnehmen. Im Zahlungsverkehr wird die Technologie beispielsweise zu einer deutlichen Zunahme von Betrugsversuchen mittels sogenannter Deepfakes führen. Dabei werden realistisch wirkende Merkmale generiert, die bestehende Authentifizierungsmechanismen überlisten. Hierauf können und müssen Banken selbst mit KI-basierter Erkennungssoftware antworten.

Rasante technologische Entwicklungen sind auch beim Thema digitale Vermögensgegenstände und Central Bank Digital Currencies (CBDC) zu beobachten: Neben dem Aufkommen privater Kryptowährungen ist die Arbeit am digitalen Euro in vollem Gange. Eine weite Verbreitung des digitalen Euro könnte das Einlagengeschäft von Banken schwächen, unsere Studie CBDCs als Tor zum Web3 zeigt jedoch, dass sich auch völlig neue Geschäftsmodelle ergeben werden. Innovativ zu bleiben wird – wie unser Industry Briefing zum Thema Banking-Innovation im Retail Segment zeigt – immer mehr von den Kunden erwartet.

Große Schritte sind auch im Bereich der Dekarbonisierung notwendig. Als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben muss die Finanzindustrie nicht nur selbst klimaneutral werden, sondern auch der Realwirtschaft die nötigen Finanzmittel für die Transformation hin zu Geschäftsmodellen mit Netto-Null-Emissionen bereitstellen. Unsere Studie The road to net-zero liefert wertvolle Erkenntnisse, wie die Finanzwirtschaft diesen Weg erfolgreich beschreiten kann.

Personalpolitik als Schlüssel zum Erfolg

Klar ist auch, dass diese enormen Aufgaben nicht ohne ausgezeichnetes Personal bewältigt werden können – insbesondere in der Finanzindustrie, deren Kern ihre Angestellten bilden. Der demographische Wandel macht die Suche nach und das Halten von exzellenten Fachkräften jedoch selbst zu einer immer komplexer werdenden Herausforderung. Verschärft wird diese Situation zudem durch die digitale Transformation, die Jobprofile im Finanzwesen immer IT-lastiger werden lässt. Entsprechend stehen Banken und Versicherungen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend in einer scharfen Konkurrenz zu hochprofitablen Tech-Unternehmen, die ebenfalls um die Gunst der besten IT-Fachkräfte ringen.

Es wird immer deutlicher, welche bedeutende Rolle eine zukunftsgerichtete Personalstrategie über die nächsten Jahre und Jahrzehnte spielen wird. Unternehmen, die sich nicht als attraktive Arbeitgeber positionieren können, droht ein eklatanter Personalengpass mit allen negativen Konsequenzen. Daher ist es essenziell, die wichtigsten Entwicklungen im Personalbereich stets im Blick zu behalten.

Unsere Human Capital Trends liefern hierzu einen umfassenden Überblick für die Finanzindustrie. Die Analyse zeigt klar, dass Angestellte heutzutage eine aktive Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen erwarten, bei der sie die Erzielung konkreter Ergebnisse und den „Sinn ihrer Arbeit“ erkennen können. Zudem müssen sich Unternehmen in Zukunft flexibler aufstellen. Personalentscheidungen sollten deshalb eher aufgrund von individuellen Erfahrungen und Fähigkeiten getroffen werden.

Die rasanten Entwicklungen in all diesen Bereichen machen deutlich, mit welcher Geschwindigkeit sich Wirtschaft und Gesellschaft wandeln. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, muss das Management daher eine äußerst aktive und anpassungsfähige Strategie verfolgen. Es reicht nicht aus, das Unternehmen lediglich zu verwalten, vielmehr sollte eine klare Vision entwickelt werden, wie die Realwirtschaft effizienter mit Kapital versorgt und bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen unterstützt werden kann. Der Einsatz neuester Technologien wird dabei in jedem Fall eine Schlüsselrolle spielen.

Über den Autoren: Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner, seit den neunziger Jahren in der Wirtschaftsprüferbranche tätig, ist Partner und der Financial Service Industry Lead von Deloitte. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung im Bereich von nationalen und europäischen Regelungen zur Fragen der Rechnungslegung, Aufsicht und Prüfung von national und international tätigen Finanzinstituten. Als Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre lehrt er seit 2005 an der Universität Osnabrück am Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfung und International Accounting.

Dieser Text ist eine Veröffentlichung unseres Partners Deloitte zum Bankentag 2024. Alle Informationen zum Bankentag 2024 finden Sie hier.