Interview zur Konjunkturprognose der Chefvolkswirte der privaten Banken mit Stefan Schneider, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft- und Währungspolitik des Bankenverbandes und Chief German Economist, Head of Strategic Research, Deutsche Bank AG mit der Börsenzeitung vom 03. März 2021.
- Die Sorgen vor einer dritten Coronawelle steigen. Wie viel Lockdown verträgt die Wirtschaft bevor sie in eine Rezession rutscht oder nachhaltige Schäden entstehen?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Die wirtschaftlichen Folgen des aktuellen Lockdowns unterscheiden sich ja auch deutlich vom Lockdown im Frühjahr 2020. Große Bereiche der Industrie sind diesmal kaum betroffen. Außerdem profitiert die deutsche Wirtschaft davon, dass die Weltwirtschaft wieder Fahrt aufgenommen hat – besonders von der lebhaften Entwicklung in China. Dennoch: Je länger der Lockdown anhält, desto größer wird die Gefahr, dass in den unmittelbar betroffenen Sektoren langanhaltende Schäden bleiben, dass Unternehmen aufgeben und Beschäftigte entlassen müssen.
- Hat die Regierung genug und das richtige getan – mit dem Konjunkturpaket und Hilfsmaßnahmen wie die Erleichterung beim Kurzarbeitergeld oder die ausgesetzte Insolvenzantragpflicht?
Wenn man auf den Beginn der Pandemie schaut, heißt meine Antwort ganz klar Ja. Doch nach fast einem Jahr wird es nun endlich Zeit für differenziertere Maßnahmen. Das heißt konkret, dass wir bei den Hilfen weg vom „Prinzip Gießkanne“ müssen und uns stärker auf Hilfen für die unmittelbar Betroffenen konzentrieren sollten. Zudem sinkt der Nutzen durch die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht. Diese Regelung sollte nicht mehr weiter verlängert werden. Unternehmen, die untereinander in Lieferbeziehungen stehen, müssen wieder eine größere Sicherheit über die finanzielle Lage ihrer Kunden erhalten.
- Genug auch mit Blick auf die langfristigen Folgen, die die Coronakrise für die Schul- und Erwerbsbiografie von Frauen, Geringverdiener, Auszubildende und Jugendliche hat?
Bislang sind die Pandemiemaßnahmen überwiegend kurzfristige „Nothilfen“. Jetzt müsste politisch umgesteuert werden, um auch den möglichen längerfristigen Folgen der Pandemie zu begegnen. Mehr noch: Die Wirtschaftspolitik muss bei diesem Umsteuern auch den Strukturwandel immer mitdenken: also auf die Energiewende und das Vorantreiben der Digitalisierung setzen. Allerdings gilt trotz aller Härten, dass auch Eigeninitiative wohl mehr denn je gefordert ist. Der Staat hat nicht die Ressourcen, die Bürger für alle Widrigkeiten zu kompensieren.
- Rechtfertigt die Coronakrise, die Schuldenbremse über dieses Jahr hinaus auszusetzen?
Realistischerweise brauchen wir die Flexibilität der Schuldenbremse auch im kommenden Jahr noch. Die Gefahr eines zu starken Abbremsens wäre sonst zu groß. Es gibt ja auch immer noch große Unsicherheiten, wie es mit der Pandemie weiter geht. Grundsätzlich müssen wir uns aber darauf konzentrieren, dass wir die öffentlichen Haushalte mit einer Wachstumsoffensive konsolidieren, also aus den Schulden rauswachsen. Dazu brauchen wir vor allem gute Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen.
- Sind Steuererhöhungen der Ausweg aus den höheren Schulden, vielleicht sogar einen Covid-Soli?
Ich warne hier vor einer voreiligen, vor allem einseitigen Diskussion. Ein „COVID-Soli“ wäre ein rein defensiver Ansatz, um die angehäuften Schulden herunterzufahren. Wir sollten uns zunächst aber um offensive Wege bemühen: also für einen wirtschaftlichen Aufbruch sorgen, der uns dann bei der Haushaltskonsolidierung Rückenwind gibt.
Hier können Sie die Aufzeichnung der Vorstellung unserer Konjunkturprognose sehen: