Der Klimawandel stellt nicht nur eine existenzielle Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft dar, er geht auch mit neuen Risiken für den Finanzsektor einher. Dass die Banken ein grundsätzliches Interesse daran haben, ihre Risiken zu kontrollieren, d.h. sie ordentlich zu messen und mit entsprechenden Maßnahmen wirksam zu begrenzen, versteht sich von selbst. Klimarisiken bilden hier keine Ausnahme.
Was aber ist das Besondere an Klimarisiken? Zunächst einmal sind Klimarisiken Risikotreiber, die sich auf die bekannten Risikoarten (z.B. Kredit-, Marktpreis- und operationelle Risiken) auswirken. Allerdings unterscheiden sie sich deutlich von anderen Risikotreibern. Zum einen fehlen bei Klimarisiken historische Daten, anhand derer sich das Risiko einfach modellieren lässt. Zum anderen muss für die Bewertung sehr weit in die Zukunft geschaut werden.
Klimarisiken – aber welche?
Die französische Nationalbank hat Klimarisiken mit dem Bild des „Grünen Schwans“ umschrieben. Zugrunde liegt das Konstrukt des Schwarzen Schwans, der Risikoereignisse beschreibt, die unerwartet eintreten und starke bis extreme Auswirkungen nach sich ziehen. Im Nachhinein lassen sich diese Ereignisse gut erklären, mit der Vorhersage aber ist es schwierig. Beim Grünen Schwan handelt es sich um ein ähnliches Phänomen: Wir wissen, dass Klimarisiken existieren, es ist aber ungewiss, wann und wie sie sich konkret materialisieren. Es besteht Handlungsbedarf, und dennoch ist es schwer, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, die die Risiken mindern. Keine einfache Ausgangslage also.
Grob lassen sich Klimarisiken in physische und transitorische Risiken unterscheiden. Zu den physischen Risiken zählen akute Ereignisse wie Stürme, Starkregen, Überflutungen, Waldbrände, aber auch dauerhafte Auswirkungen (chronische Risiken) wie steigende Meeresspiegel oder anhaltende Hitzeperioden. Die transitorischen Risiken resultieren aus dem Wandel der Wirtschaft, wenn bestimmte Geschäftsmodelle nicht mehr tragbar sind, weil Verbraucher ihr Verhalten ändern, die Preise für CO2 steigen oder neue Technologien alte verdrängen. Damit einher geht die Gefahr von „stranded assets“. Gemeint ist, dass Vermögenswerte plötzlich oder zumindest relativ schnell durch geänderte Umfeldbedingungen an Wert verlieren. Das betrifft u.a. Kohle- und Gaskraftwerke, aber auch Immobilien, wenn beispielsweise der energetische Standard für eine Vermietung nicht hoch genug ist.
Zurück zum Finanzsektor: Bei Klimarisiken geht es letztlich nicht nur um die durch physische und transitorische Risiken entstehenden direkten Auswirkungen auf die Bank (Outside-in-Perspektive), sondern auch um die Auswirkungen, die Unternehmen auf die Umwelt haben. Viele Banken betrachten schon heute auch diese sogenannte Inside-out-Perspektive. Sie analysieren ihre Portfolien und messen die CO2-Last ihrer Finanzierungen, die sie sukzessive bis zur Treibhausgasneutralität verringern wollen.
Bafin-Merkblatt, EZB-Leitfaden
In den letzten Jahren haben die Bankenaufsicht und die Regulatoren Klimarisiken mehr und mehr in den Fokus genommen. Ende 2019 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht, das sich an die von ihr beaufsichtigen Institute richtet. Ein Jahr später ist die Europäische Zentralbank (EZB) mit einem Leitfaden zu Klima- und umweltbezogenen Risiken gefolgt, der von den unter EZB-Aufsicht stehenden Instituten zu beachten ist. Beide Papiere formulieren die Erwartungshaltung der Aufsicht mit Blick auf die Berücksichtigung von Klimarisiken, wobei die BaFin auch Risiken aus sozialen und Governance-Aspekten adressiert und damit den Dreiklang „ESG“ komplettiert. Beiden Papieren ist gemein, dass sie bei Klimarisiken die Solvenz der Institute und somit die Outside-In-Perspektive im Blick haben. Und was die Fülle der regulatorischen Anforderungen angeht: Beide Leidfäden kommen zusammen auf fast 100 Seiten Text.
Wir wollten es noch genauer wissen: Wo haben BaFin-Merkblatt und EZB-Leitfaden weitere Gemeinsamkeiten, wo unterscheiden sie sich, und welche Institution ist mit ihren Anforderungen konkreter bzw. strenger? Zusammen mit unseren Mitgliedsbanken haben wir beide Leitfäden in einer Synopse gegenübergestellt (siehe unten). Die einzelnen Anforderungen wurden auf ihren Kern zusammengefasst und themenspezifisch geordnet. Durch die Gegenüberstellung der einzelnen Anforderungen können Unterschiede im Anforderungsumfang und der Granularität schnell identifiziert werden.
Banken und Aufseher auf gemeinsamen Lehrpfad
Klar ist: Die Leitfäden der Aufsicht berühren alle wesentlichen Elemente einer ordnungsgemäßen Geschäftssteuerung und des Riskmanagements. Was sie noch nicht beinhalten, sind konkrete Lösungen. Diese müssen von den Banken entwickelt werden, so dass sich über die Zeit ein Standard für ein angemessenes ESG-Risikomanagement entwickeln wird. Banken und Aufseher befinden sich deshalb bei ESG-Risiken auf einem gemeinsamen Lernpfad. Im Moment führt die EZB bei ihren Instituten sogenannte „deep dives“ zur Umsetzung ihres Leitfadens vor.
Für uns im Bankenverband geht die Arbeit weiter: Zusammen mit unseren Mitgliedern suchen wir nach Lösungen, wie Klimarisiken bestmöglich in die bestehende Risikomanagementwelt aber auch in die Geschäftsprozesse, z.B. bei der Kreditvergabe, integriert werden können. In den letzten zwei Jahren sind die Banken deutlich vorangekommen: Sie bauen die Datenbasis zu ESG kontinuierlich aus, entwickeln Verfahren, um Klimarisiken messbar und damit steuerbar zu machen, und sie integrieren ESG in ihre Strategien sowie in ihre Geschäftsprozesse. Für Banken ist das die beste Voraussetzung, um nicht unangenehm überrascht zu werden. Angst vorm Grünen Schwan muss dann kein Institut mehr haben.