Es gilt das gesprochene Wort
Lieber Hans-Walter, vielen Dank für Deine freundschaftlichen Worte – aber vor allem herzlichen Dank für alles, was Du in den vergangenen Jahren für den Bankenverband getan hast. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Du uns und mich in den kommenden Wochen des Übergangs weiter unterstützen wirst. Das freut mich sehr und wird eine reibungslose Übergabe sicherstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Gäste des Bankentages,
auch ich möchte Sie im Namen der privaten Banken herzlich begrüßen. Hans-Walter Peters hat ja bereits den Leitgedanken unserer Veranstaltung kurz skizziert: Es geht um Aufbruch!
Einen Aufbruch aus der Corona-Pandemie.
Einen Aufbruch in eine digitale und nachhaltigere Wirtschaft.
Einen Aufbruch in ein erfolgreicheres und noch stärkeres Europa.
Aufbruch bedeutet Veränderung und für viele Menschen auch Verunsicherung. Denn wer aufbricht, lässt immer etwas zurück. Aber Aufbruch bedeutet auch, dass etwas Positives entsteht – zum Beispiel Innovation und Wohlstand. Ich kann Bundespräsident Steinmeier nur zustimmen, der zu Ostern gesagt hat: „Aufs Können, nicht aufs Zweifeln kommt es jetzt an.“ Und ich fühle mich an Roman Herzog erinnert, der vor 24 Jahren seine berühmte „Ruck“-Rede hielt. Es hat etwas gedauert, aber nach der Jahrtausendwende haben wir uns in Deutschland zu wichtigen Reformen durchgerungen. Jetzt, meine Damen und Herren, brauchen wir einen neuen „Ruck“, in Deutschland und in Europa.
Für einen Aufbruch braucht es aber auch Menschen, die bereit sind, einen neuen Weg mitzugehen. Und Menschen, die Führung und Verantwortung übernehmen. Menschen, die sich nicht darauf konzentrieren, was kurzfristig populär, sondern was langfristig richtig ist. Menschen, die eine Richtung vorgeben. Das erfordert Mut, Visionen und Risikobereitschaft. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft.
Zu diesem Aufbruch müssen wir alle unseren Beitrag leisten. Auch ich will als künftiger Bankenpräsident den Aufbruch in Deutschland unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Banken nicht nur während der Corona-Krise Teil der Lösung sind – sondern dass wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, Deutschland und Europa zukunftsfähig zu gestalten.
Mir ist bewusst, welche Verantwortung wir Banken dabei tragen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Banken in der Mitte der Gesellschaft stehen – mit dem, was wir tun, für unsere Kunden wie für unsere Volkswirtschaft.
Für mich ist klar: Gewinn darf dabei kein Selbstzweck sein, Gewinn muss das Resultat einer sinnstiftenden Tätigkeit sein. Das gilt für jede einzelne Bank, das gilt für die gesamte Branche – wir müssen unserer Volkswirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes dienen.
Die Kernfrage lautet: Was muss geschehen, damit Deutschland und Europa nach der Corona-Krise wettbewerbsfähig bleiben?
Zunächst möchte ich feststellen: Unsere Ausgangslage ist besser, als wir glauben. Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland deutlich weniger gestiegen als anderswo. Und die Staatsverschuldung liegt mit weniger als 80 Prozent der Wirtschaftsleistung weit unterm Durchschnitt der G7-Länder. Das bedeutet, dass wir in Deutschland umso mehr Spielraum für Zukunftsinvestitionen haben – und das sollten wir nutzen.
Denn wir müssen erkennen, dass Deutschland und Europa die Krise jetzt zu langsam hinter sich lassen – und dass wir strukturelle Reformen anpacken müssen.
Um den richtigen Kurs einzuschlagen, brauchen wir eine ehrliche Bestandsaufnahme. Dazu zählen die klaffende Investitionslücke in Deutschland und Europa ebenso wie die Defizite in der digitalen Infrastruktur. Keine Frage: Wir brauchen eine Investitionsoffensive bei Zukunftstechnologien, beispielsweise bei künstlicher Intelligenz und nachhaltiger Wirtschaft.
Wie meistern wir diese Herausforderung? Vier Hebel sind aus meiner Sicht entscheidend.
Erstens sollten Europas Regierungen öffentliche Investitionen stärken. Weltweit haben die Staaten gewaltige Programme aufgelegt, um die Folgen der Pandemie abzufangen. Die Vereinigten Staaten haben massive Konsumhilfen aufgelegt, die für dieses Jahr verblüffende Wachstumsraten versprechen - deren Effekt aber schnell wieder verpuffen wird. In Europa können wir dagegen auf funktionierende Sozialsysteme und bewährte Instrumente wie die Kurzarbeit bauen – und müssen den Menschen nicht undifferenziert Schecks nach Hause schicken. Wir sollten der Versuchung kurzfristiger Effekte nicht erliegen, sondern einen erheblichen Teil der europäischen Rettungspakete langfristig investieren. Damit dauert es vielleicht ein wenig länger, bis sich die Wirtschaft erholt. Aber langfristig verbessern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit. Europa sollte den Anspruch haben, der innovativste Kontinent der Welt zu werden. Die Lissabon-Agenda aus dem Jahr 2000 war der richtige Ansatz – es fehlte dann nur die Führung, um sie entschlossen umzusetzen.
Zweitens müssen wir mehr privates Kapital mobilisieren. Für die Investitionsoffensive spielen leistungsfähige Banken eine Schlüsselrolle. Dafür muss der Finanzsektor deutlich ertragsstärker werden. In erster Linie sind die Banken selbst gefragt. Notwendig ist aber auch eine Regulierung, die Stabilität und Ertragskraft miteinander verbindet. Die europäische Bankenunion zu vollenden ist dafür ein entscheidender Schritt. Und dazu gehört auch eine europäische Einlagensicherung, wie sie der Bundesfinanzminister vorgeschlagen hat. Wir privaten Banken sind bereit dafür.
Klar ist aber auch: Diese Jahrhunderttransformation zu einer digitalen und nachhaltigeren Wirtschaft lässt sich nicht allein über die Bankbilanzen finanzieren. Ohne einen funktionierenden Kapitalmarkt in Europa bleibt die digitale und nachhaltige Transformation Stückwerk. Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen: Der „Green Deal“ ist direkt verknüpft mit der Kapitalmarktunion, das eine funktioniert nicht ohne das andere. Wir brauchen eine breitere Basis für die Finanzierung von Investitionen, einschließlich mehr Wagniskapital für junge Unternehmen. Notwendig ist ein Kapitalmarkt, der nicht 27 Spielregeln für ein und dasselbe Produkt, für ein und dieselbe Transaktion vorschreibt. Dafür zu kämpfen, lohnt sich: nicht als Selbstzweck für uns Banken, sondern für Europa insgesamt.
Drittens brauchen wir einen Schulterschluss von privater und öffentlicher Finanzierung, um Schlüsselindustrien gezielt zu fördern. Es geht um Investitionen, die entscheidend für den künftigen Erfolg der Wirtschaft sein werden – etwa bei Infrastruktur, Mobilität oder grünen Technologien. Es geht um staatliche Förderprogramme, die noch viel stärker darauf ausgerichtet sind, private Investitionen zu mobilisieren. Vergessen wir nicht: Der erste in Europa zugelassene Impfstoff ist in Deutschland entwickelt worden – gerade weil hier innovatives Unternehmertum und kluge staatliche Förderpolitik erfolgreich zusammengewirkt haben.
Viertens muss sich Europa geopolitisch behaupten.
Einige Beobachter sagen, dass die Pandemie eine Art Kipppunkt für die Weltwirtschaft gewesen sein könnte: China habe die Krise sehr viel effizienter und besser in den Griff bekommen als die transatlantische Welt. Ganz gleich, ob das richtig ist oder nicht – der Eindruck, dass ein autokratisches System modernen Demokratien überlegen sein könnte, hat weitreichende Konsequenzen. Denn die Stabilität unserer Demokratie hängt entscheidend davon ab, ob sie das Wohlstandsversprechen für die große Mehrheit der Bürger einlösen kann und dauerhaft wettbewerbsfähig ist.
In den kommenden Jahren muss sich Europa wirtschaftlich und politisch bewähren, um ein Zukunftsmodell zu bleiben. Eine neue systemische Allianz für Demokratie, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und fairen Wettbewerb muss unsere Antwort sein. Nur dann wird Europa eine Chance haben, die Standards zu prägen. Oder aber wir werden uns den Standards unterordnen müssen, die uns andere diktieren – politisch und wirtschaftlich.
Dass die USA unter Präsident Joe Biden als konstruktiver Spieler auf die Weltbühne zurückgekehrt sind, ist ermutigend. Denn wir sind und bleiben eine transatlantische Wertegemeinschaft.
Aber wir sollten uns bewusst sein: Die aktuellen Herausforderungen wird Amerika nicht für uns lösen. Um als transatlantischer Partner gehört zu werden, müssen wir Europa vom Kontinent der Selbstzweifel zu einem Kontinent der Selbstbehauptung entwickeln. Dabei können wir auf die Solidarität und den Handlungswillen aufbauen, den wir mit dem Pakt „Next Generation EU“ demonstriert haben. Dieser Fonds ist nicht zuletzt das Verdienst von Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission, und es ist eine besondere Ehre, dass auch sie heute auf unserem Bankentag sprechen wird.
Weitere Schritte für ein stärkeres Europa sollten nun folgen:
- Dazu gehören eine Verteidigungsunion und eine eigenständige Außenpolitik. Es ist oft die Rede davon, dass Europa im Konflikt zwischen den USA und China zwischen den Stühlen sitze. Dabei wird übersehen, dass die Welt noch weitaus größer ist – und welches Potenzial wir haben, wenn wir eigene Brücken in Wachstumsregionen wie Indien oder Afrika bauen.
- Dazu gehört, dass der Euro seine angedachte Rolle als Leit- und Reservewährung ausfüllen sollte. Auch dabei wird uns ein gestärkter europäischer Kapitalmarkt helfen.
- Dazu gehört ein echter Binnenmarkt nicht nur für Waren, sondern auch für Dienstleistungen.
- Und dazu gehören schnellere Entscheidungen und konsequentes Handeln – auf allen staatlichen Ebenen. In China, so heißt es, bestimmt der Staat den Kurs, in Amerika die Privatwirtschaft – in Europa aber viel zu oft die Bürokratie. Wir sollten alles tun, um das zu ändern.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Mit diesen vier Hebeln bringen wir Europa auf den richtigen Kurs für das 21. Jahrhundert. Es ist ein Kurs, der Mut erfordert. Ein Kurs, für den es alle Unterstützung der Wirtschaft braucht – und den wir Banken mit aller Kraft unterstützen wollen. Uns Banken kommt eine zentrale Rolle zu. Wir sind der Transmissionsriemen zwischen Finanzmärkten und Unternehmen, wir kanalisieren Investitionen. Dafür brauchen wir ein funktionierendes Bankensystem, das den Kunden in Deutschland zur Seite steht und gleichzeitig Exporteure in die Welt begleiten kann. Das heißt: Wir brauchen solide regionale Banken, aber auch internationale Großbanken in Deutschland, um diese Rolle auszufüllen. Dafür stehen wir als Bankenverband ein.
Dieser Kurs braucht aber auch politische Führung. Und so ist es mir eine besondere Ehre, nun einen Redner anzukündigen, der für Geradlinigkeit, klare Worte und eben Führung steht.
Verehrter Herr Bundespräsident, vor gut einem Monat haben Sie in einer Rede gesagt, dass uns mehr Pragmatismus guttäte, „weniger querdenken, mehr geradeaus laufen“. Ich glaube, wir alle können uns hinter diesem Satz vereinen. Und man könnte sinngemäß ergänzen: statt querzudenken sollten wir vor allem nach vorne denken und einen Aufbruch wagen. In diesem Sinne sind wir auf Ihre Gedanken und Ausführungen sehr gespannt.
Herr Bundespräsident, wir freuen uns auf Ihre Rede und schalten nun hinüber ins Schloss Bellevue.