Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung vom 23. April 2024 mit Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes.
„Navigieren durch unruhige Zeiten“ lautet der Titel des 23. Deutschen Bankentages, der heute am Berliner Westhafen stattfindet. Diese unruhigen Zeiten können wir tagtäglich spüren, ein kurzer Blick in die Tageszeitungen, Newsportale oder Nachrichtensendungen reicht dafür aus. Ob es die Kriege und Krisen vor unserer Haustür sind, die ungewisse Zukunft der Vereinigten Staaten, die wirtschaftliche Stagnation in Deutschland oder der Kampf gegen den Klimawandel – die Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gewaltig.
Banken spüren unruhige Zeiten
Auch die Banken bekommen diese unruhigen Zeiten zu spüren. Die hohen Energiekosten belasten ihre Unternehmenskunden ebenso sehr wie die schwache Konjunktur, die lähmende Bürokratie und die Unsicherheit darüber, ob globale Spannungen und Abschottungstendenzen das Exportgeschäft weiter beeinträchtigen könnten. Viele in den Weltmarkt integrierte Unternehmen bemühen sich darum, ihre Lieferketten und Kundenmärkte zu diversifizieren und setzen dabei auch auf die Unterstützung ihrer Hausbank. Zugleich wächst die Bereitschaft, aus Kostengründen im Ausland zu investieren, ist doch der Standort Deutschland speziell für energieintensive Branchen inzwischen teuer und fast schon unattraktiv geworden.
Bilder vom Bankentag 2024
Unruhig scheinen die Zeiten auch zu sein, wenn wir an die Zukunft der Alterssicherung denken. Der demografische Wandel, den wir schon heute auf den Arbeitsmärkten zu spüren bekommen, wird in den kommenden Jahren das Rentensystem an seine Belastungsgrenze und darüber hinaus treiben. Doch unruhige Zeiten setzen eigentlich ein gehöriges Maß an Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit voraus. Letzteres trifft auf die demografische Entwicklung gerade nicht zu: Dass immer weniger Erwerbstätige in Deutschland immer mehr älteren Menschen die Rente finanzieren müssen ist seit langem bekannt. Dennoch hat das Thema in den politischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Das mag auch damit zu tun haben, dass sich die Politik lange Zeit auf der halbwegs sicheren Seite wähnte. Mit der Einführung der Riester-Rente wurde schließlich schon vor über 20 Jahren der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die staatliche Altersvorsorge in vielen Fällen nicht genügen wird, um ein auskömmliches Einkommen im Ruhestand zu garantieren. Einige Korrekturen bei der gesetzlichen Rentenversicherung, die die Lasten zwischen den Generationen gerecht verteilen sollten, darunter die Anhebung des Renteneintrittsalters, und vor allem die über die vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich gestiegene Erwerbsbeteiligungsquote sorgten dafür, dass der Rentenbeitragssatz bis heute halbwegs stabil geblieben ist. Da aus dem Bundeshaushalt ohnehin Jahr für Jahr rund 100 Milliarden Euro in die Rentenkasse fließen (und scheinbar genügend Mittel zur Verfügung stehen), glaubte man sich obendrein noch die Rente mit 63 sowie die Mütterrente leisten zu können.
Vor einer Zerreißprobe
Doch spätestens mit dem bevorstehenden Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsleben steht das staatliche Rentenversprechen vor einer Zerreißprobe und muss grundlegend neu justiert werden. Da sich die Demografie allerdings auch dann nicht überlisten lässt, wird man um eine Erkenntnis nicht herumkommen: Nur wenn die Chancen und Renditemöglichkeiten des Kapitalmarkes genutzt werden, können die Bürgerinnen und Bürger ausreichend Vermögen für das Alter aufbauen. Die Riester-Rente war in dieser Hinsicht ein zaghafter Anfang, doch die in sie gesetzten Erwartungen hat sie aus unterschiedlichen Gründen nicht erfüllen können. Neue Lösungen sind notwendig.
Anfang März hat die Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag vorgestellt, der zum einen darauf abzielt, das Rentenniveau konstant auf dem heutigen Level zu halten, zum anderen den Aufbau eines Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung vorsieht. Während die Stabilisierung des Rentenniveaus auf Kosten der jüngeren Beitragszahler geht und deshalb von vielen Fachleuten zu Recht kritisiert wird, fällt das Urteil über das Generationenkapital gemischter aus. Aus dem Bundeshaushalt sollen bis 2035 Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge auf dem Kapitalmarkt investiert werden – die ab 2036 anfallenden jährlichen Erträge fließen dann in die Rentenkasse. Allgemeiner Tenor: Der Ansatz stimmt, aber eine nennenswerte Entlastung ist dadurch nicht zu erwarten.
Vor allem aber: Eine Stärkung der privaten Altersvorsorge ist in dem Gesetzespaket nicht enthalten. Durch überproportional steigende Beiträge in die staatliche Rentenversicherung als Folge des eingefrorenen Rentenniveaus werden die jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sogar noch einmal weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, um privat vorzusorgen.
Dabei ist es keineswegs so, dass die Politik das Thema nicht auf dem Schirm hätte. Schon im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde festgehalten, dass nicht nur die Einführung einer kaptalgedeckten Komponente in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern explizit auch die Stärkung der Privatvorsorge geprüft werden solle. Ende 2022 hat die Bundesregierung dann beschlossen, eine „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ einzusetzen, die im Januar 2023 zum ersten Mal zusammenkam und sechs Monate später ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Die darin enthaltene konkrete Empfehlung für ein zusätzliches förderfähiges Altersvorsorgedepot, das verschiedene Wertpapiere wie Aktien, aktiv gemanagte und auch passive Fonds wie ETFs enthalten kann, könnte breiten Bevölkerungsgruppen den Zugang zum langfristigen Vermögensaufbau erheblich erleichtern.
Ob die Bundesregierung die richtigen Ansätze der Fokusgruppe für eine einfache, flexible und bequeme private Altersvorsorge noch in dieser Legislaturperiode umsetzen wird, ist allerdings ungewiss. Obgleich niemand an verantwortungsvoller Stelle in der Politik bestreiten wird, dass eine Stärkung der privaten Altersvorsorge alternativlos ist, scheinen die mentalen Hürden, den Kapitalmarkt stärker zu nutzen, bei vielen nahezu unüberwindbar zu sein.
Blick nach Europa
Wenn von Regierungsmitgliedern allerdings demonstrativ hervorgehoben wird, dass der „maßgebliche Teil der Altersvorsorge“ auch in Zukunft die gesetzliche Rente sei, steigert das nicht unbedingt die Bereitschaft der Menschen, privat vorzusorgen. Wir sollten die Chance erkennen und nutzen, die der Kapitalmarkt insbesondere für unsere Altersvorsorge bringt. Dies ist auch ein Thema für die europäische Ebene, denn ein stärkerer und tieferer europäischer Kapitalmarkt würde auch der privaten Altersvorsorge zugutekommen.
Möglicherweise sind die hierzulande stark ausgeprägten Berührungsängste mit dem Kapitalmarkt Symptom einer Gesellschaft, die Risiken scheut und auf das Altvertraute setzt. Doch es hilft nichts: Aus vielen Gründen müssen wir in Deutschland ein neues Verhältnis zum Kapitalmarkt gewinnen, wird er doch auch gebraucht, um die nötigen finanziellen Ressourcen für die Transformation unserer Wirtschaft zu mobilisieren. Bei der Altersvorsorge reicht schon ein Blick in andere europäische Länder, um gute Anschauungsbeispiele dafür zu finden, wie der Kapitalmarkt effizient genutzt werden kann.