Die geopolitischen Spannungen nehmen weiter zu – sowohl im Verhältnis der beiden Supermächte USA und China als auch in Bezug auf andere regionale Konfliktherde. Wirtschaftsbeziehungen werden dabei zunehmend in internationalen Konflikten instrumentalisiert. Viele Stimmen fordern eine De-Globalisierung und die Welt droht wieder stärker in regionale Märkte fragmentiert zu werden.
Strategische Handlungsfähigkeit ausbauen
Angesichts dieser Entwicklungen bleibt die Stärkung der Europäischen Union (EU) auf globaler Ebene die richtige politische Strategie für Deutschland und die weiteren Mitgliedstaaten. Denn allzu häufig ist die EU noch nicht in der Lage, ihre globalen Interessen wirksam zu vertreten. Stattdessen scheint Europa oft uneins und wenig handlungsfähig. Es fehlt z.B. an einer gemeinsamen sicherheits- und geopolitischen Strategie und klaren Handlungslinien. Die EU darf sich nicht auseinander dividieren, wenn es von außen ökonomisch unter Druck gesetzt wird, sei es durch Sanktionen oder Boykottaufrufe von Drittstaaten. Stattdessen muss sie ihre außen- und wirtschaftspolitische Strategiefähigkeit stärken. Nur so kann sie auf Augenhöhe mit den anderen Weltregionen verhandeln und kooperieren und dabei ihr eigenes Wirtschafts- und Wertesystem effektiv schützen.
Die Vergemeinschaftung wichtiger Politikbereiche ist dafür ein probates Mittel. Die vergemeinschaftete Außenhandelspolitik ist in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel. Sie ist keine Selbstverständlichkeit und im Einzelfall oft Folge harter Verhandlungen. Im Ergebnis aber ermöglicht sie der EU die gemeinsamen Interessen ihrer Mitgliedstaaten im globalen Wettbewerb kraftvoll zu vertreten. Für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft ist eine solch starke Position im Handel von höchster Bedeutung; denn sie schafft Arbeit, Wohlstand und Stabilität in der ganzen EU.
Gemeinsame Regeln für Kapitalmarkt- und Bankenunion
Das Prinzip vergemeinschafteter EU-Politik sucht man auf anderen Politikfeldern oft noch vergebens. In der Außen- und Sicherheitspolitik, der Energiepolitik, aber auch in Bereichen wie der Abstimmung internationaler Finanzmarktregulierung gehen die Mitgliedstaaten oft unterschiedliche Wege und erschweren damit die Bildung einer einheitlichen Position der EU. Dabei wäre ein gemeinsamer Antritt auch hier der Schlüssel zum Erfolg. Denn damit wäre nicht nur ein größeres Gewicht der EU in internationalen Gremien und Verhandlungen verbunden, sondern es wäre dann überhaupt erst möglich, eine Strategie zu entwickeln, die zum Vorteil der ganzen EU gereichen würde. Dies gilt im Bereich der Rohstoffsicherheit und Digitalisierung ebenso wie für den Banken- und Kapitalmarkt.
Auch in Zukunft werden Kredit und Kapital – insbesondere auch in digitaler Form – eine entscheidende Rolle für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft und für jeden Einzelnen spielen. Um ihre Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit zu wahren, müssen EU und europäische Wirtschaft allzu einseitige Abhängigkeiten von ausländischen Finanzmärkten und -infrastrukturen vermeiden. Für die europäische und ebenso die nationale Politik bedeutet dies, dass die Projekte Kapitalmarkt- und Bankenunion mit Entschiedenheit vorangetrieben und die Banken- und Finanzmärkte innerhalb der EU gestärkt werden müssen. Hierzu sind starke, effiziente und innovative Banken eine unverzichtbare Voraussetzung.
Die Chancen, dass es gelingt, Europa mehr Durchschlagskraft zu verleihen, stehen nicht schlecht. Europa ist mit seiner marktwirtschaftlichen, demokratischen und freiheitlichen Ausrichtung fest in der westlichen Wertegemeinschaft verankert. Die EU ist ein kaufkräftiger Markt und produktiver Investitionsstandort mit knapp 450 Mio. Bürgerinnen und Bürgern und einer effektiven gemeinsamen Außenhandelspolitik. Allerdings bestehen noch erhebliche Herausforderungen: Die außen- und wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit muss erhöht werden. Die EU darf die für ihr Wirtschaftsmodell erforderlichen Infrastrukturen und Daten nicht Dritten überlassen. Sie benötigt mehr Kapazitäten und Entscheidungssouveränität in wichtigen Themenfeldern. Der Finanzbinnenmarkt muss vertieft werden, auch damit der Euro seine Rolle als internationale Leitwährung verteidigen und ausbauen kann. Im Bereich der Digitalisierung müssen eigene Regulierungsstandards wie DORA oder technische Standards wie GAIA-X gesetzt werden. Dabei sollte sich die EU aktiv in die globale Arbeitsteilung einbringen und die eigene Exportstärke nutzen, gleichzeitig jedoch ein für Drittstaaten offener Markt bleiben und auf multilaterale Institutionen zur Regelung von Konflikten setzen. Souveränität und Offenheit sind dabei kein Widerspruch, erfordern aber kluges politisches Handeln.
EU-Sanktionspolitik verbessern und Globalisierung neu ausrichten
Sanktionen können ein wirkungsvolles Instrument der Außenpolitik sein. Wichtig ist, dass sie mit einem klaren Ziel verbunden sind, der sanktionierte Staat die Bedingungen für ihre Beendigung erfüllen kann und die Sanktionen in diesem Fall wieder aufgehoben werden. EU-weit sollten Sanktionen zügig und einheitlich umgesetzt werden. Problematisch wird es für die europäische Wirtschaft einschließlich der Banken, wenn US- und EU-Sanktionsregime mit Blick auf Inhalte und Ziele auseinanderlaufen. Die EU sollte daher entschlossen für eine bessere Abstimmung von Sanktionen mit Staaten wie den USA, aber auch der UN eintreten.
Die Globalisierung hat international und in Deutschland zu großen Effizienz- und Wohlfahrtssteigerungen geführt und die weltweite Armut merklich reduziert. 17 Prozent der deutschen Wertschöpfung finden über globale Wertschöpfungsketten statt. Die Corona-Pandemie hat globale Lieferketten einer besonderen Prüfung unterzogen, denn die Pandemie sowie die zu ihrer Eindämmung beschlossenen gesundheitspolitischen Maßnahmen haben für die Weltwirtschaft einen synchronen Angebots- und Nachfrageschock ausgelöst. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen stellt sich die Frage, wie zu hohe Abhängigkeiten in den Außenhandelsbeziehungen reduziert werden können und die Globalisierung resilienter gestaltet werden kann.
Ein drastischer Rückbau globaler Lieferketten wäre dabei die falsche Entscheidung, da sie erhebliche Wohlfahrtsverluste nach sich ziehen würde. Um die Resilienz der deutschen Wirtschaft gegen Schocks zu verbessern, könnte hingegen eine Erhöhung der Lagerhaltung und eine Diversifizierung der bestehenden Lieferketten geeignet sein. Neuem Protektionismus sollte die deutsche Wirtschaftspolitik allerdings entschieden entgegentreten. Sie sollte sich weiterhin für Multilateralismus einsetzen, auf internationalen Plattformen aktiv bleiben und versuchen, internationale Gremien und Organisationen, insbesondere die WTO, zu stärken. Sie sollte vor allem auch ihre Anstrengungen für eine stärkere internationale Kooperation in den Bereichen Klima- und Umweltpolitik, Steuerpolitik, Regulierung der Finanzmärkte und Reform der Europäischen Union intensivieren, um die Offenheit der Märkte für Waren, Dienstleistungen und Kapital aufrecht zu erhalten.