Bankenverband kritisiert zu komplexe ESG-Regeln-Chancen für Transformation nutzen
Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes Heiner Herkenhoff fordert eine Vereinfachung des ESG-Regelwerkes. Er ruft zugleich dazu auf, auch die Chancen der Wirtschaft im Blick zu behalten, die mit der grünen Transformation verbunden sind.
Fragen der Börsen-Zeitung an Heiner Herkenhoff, Bundesverband deutscher Banken, zum Positionspapier „Nachhaltigkeit fördern, Wachstum sichern“:
Herr Herkenhoff, in der Politik und der Öffentlichkeit ist Klimaschutz längst kein bestimmendes Thema mehr. Auch im anstehenden Bundestagswahlkampf dürfte Nachhaltigkeit nicht so sehr im Fokus stehen. Warum braucht es jetzt also ihr neues Positionspapier „Nachhaltigkeit fördern, Wachstum sichern“ von Seiten der Banken?
Uns treibt schon seit längerem die Frage um: Wie bekommen wir wieder mehr wirtschaftliches Wachstum? Dazu gehört aber auch die Frage, wie wir es schaffen, bei der Transformation mehr Fahrt aufzunehmen und gleichzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz dafür zu behalten. Für uns ist klar: Nachhaltigkeitsziele durch wirtschaftliches Schrumpfen – also „De-Growth“ - zu erreichen, ist der falsche Weg. Ohne ein robustes Wirtschaftswachstum und ohne die damit verbundenen Investitionen und Innovationen lösen wir weder das Problem der globalen Erderwärmung noch andere wichtige gesellschaftliche Herausforderungen. Das geht nur, wenn es uns gelingt Schritt für Schritt Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch weiter zu entkoppeln.
Auch wenn die Themen Nachhaltigkeit und Transformation im Moment wenig Aufmerksamkeit genießen, so darf man bei aller berechtigten Kritik am Umfang und Detaillierungsgrad der Regulierung – und die haben wir auch - das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Das Klima verhandelt nicht. Die Hochwasser in Deutschland und Spanien zeigen deutlich, dass der Klimawandel gravierende Folgen hat. Das belegen auch die Statistiken der Versicherer. Für uns in Europa bietet sich die Chance, Lösungen anzubieten. Nachhaltige Innovationen Made in Germany können auf dem globalen Markt weiter erfolgreich sein.
Gibt es Vorbilder für Ihren Debattenbeitrag von anderen Banken- oder Branchenverbänden?
Wir stehen damit nicht allein. Als Beispiel fallen mir sofort die Net-Zero Committments zahlreicher – auch deutscher - Banken ein. Uns ist sehr wichtig, an der Seite unserer Unternehmenskunden den Pfad in Richtung Netto-Null zu gehen. Dafür reicht es nicht aus, nur die Wirtschaftsbereiche bei der Stange zu halten, die bereits grün sind. Wir müssen viel dynamischer werden, um auch die Branchen zu erreichen, die heute noch zu den großen „Verschmutzern“ gehören. Das geht mit den richtigen Rahmenbedingungen und Instrumenten. Dann wird unsere Marktwirtschaft zum Motor der Transformation und der gesellschaftliche Rückhalt für mehr Klimaschutz wächst.
Ist das neue Leitbild auch als Kritik an der Klimapolitik zu verstehen, wie sie in den vergangenen Jahren in Brüssel und Berlin betrieben wurde?
Das Ziel stimmt, es hapert bei der Umsetzung. Genau hier setzen wir mit unserem Grundsatzpapier an. Klimaschutz und Wirtschaftswachstum sind keine Gegensätze. Sie sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Doch die derzeitigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind nicht optimal. Wir brauchen vor allem mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit.
Zudem ist die Finanzmarktregulierung gerade im Bereich ESG hochkomplex, teilweise widersprüchlich und überfordert die Unternehmen. Das ist kontraproduktiv, denn dadurch gerät das eigentliche Ziel aus dem Blick, den Klimawandel zu stoppen. Daher drehen sich unsere Vorschläge auch alle um die Frage, wie Regulierung ausgestaltet sein sollte, dass sie Anreize setzt und nicht die Finanzierung der Transformation ausbremst, im schlimmsten Fall sogar Abwehrreaktionen auslöst.
Der Bankenverband setzt bei der grünen Transformation insbesondere auf Wirtschaftswachstum, technologische Innovationen und eine CO2-Bepreisung. Ist in Deutschland angesichts der aktuellen strukturellen Probleme in der Wirtschaft dann überhaupt eine ambitionierte Nachhaltigkeitspolitik möglich?
Ich habe den Eindruck, dass derzeit viele bisherige Gewissheiten hinterfragt werden, und das zurecht. Wenn wir es jetzt angehen, und die Wachstumskräfte in Deutschland stärken, kann in der derzeitigen Krise des Wirtschafts- und Investitionsstandorts eine Chance liegen – auch für die nachhaltige Transformation. Weltweit arbeiten Unternehmen daran, innovative Technologien zur Dekarbonisierung, zu mehr Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Diese Dynamik müssen wir gerade in Deutschland verstärken, so dass wir künftig über Geschäftsmodelle verfügen, die gute Lösungen anbieten, die auch international gefragt sind. Ich bin mir sicher, dass wir dieses Potenzial in Deutschland haben, wir müssen es aber entfalten.
Sie fordern, das komplexe Sustainable-Finance-Regelwerk noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Plädieren Sie für eine Abschaffung der EU-Taxonomie?
Regulierung setzt Impulse und stößt so auch Veränderungsprozesse an – sie ist ein Puzzleteil auf dem Weg zu mehr Klimaschutz. Gut gemacht stellt sie ein gemeinsames Verständnis über den Begriff von Nachhaltigkeit her, bietet Kriterien für die richtige Messung und Bepreisung von Risiken und sorgt für mehr Transparenz zu Klima- und Umweltaspekten.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Das derzeitige ESG-Regelwerk ist selbst für Experten kaum mehr zu verstehen. Es ist zu komplex, zu detailliert und in Teilen zu wenig steuerungsrelevant. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag stimmt nicht. Inkonsistenzen und Redundanzen müssen identifiziert und, wo immer es geht, beseitigt werden. Kurzum, das Regelwerk muss so vereinfacht werden, dass es handhabbarer und gleichzeitig wirksamer wird.
Wie kann der enorme Finanzierungsbedarf für die Transformation gestemmt werden? Und welche Rolle spielen dabei in Zukunft die Banken?
Die Finanzierung der Transformation kann nur durch eine Kombination aus privatem und öffentlichem Kapital gelingen. Banken unterstützen durch entsprechende Fremdkapitalangebote, Projektfinanzierungen und die Vermittlung an den Kapitalmarkt. Insgesamt muss der Kapitalmarkt EU-weit gestärkt werden. Entscheidend ist, dass tragfähige und profitable Geschäftsmodelle vorliegen und Risiken verlässlich eingeschätzt werden können.
Sollte die neue Bundesregierung eine Reform der Schuldenbremse einleiten, um mehr Geld zur Unterstützung der grünen Transformation bereitstellen zu können?
Es gibt in Teilen der wirtschaftspolitischen Diskussion die Tendenz, die Lockerung der Schuldenbremse als Patentlösung für fast alle unsere Probleme zu sehen. Das greift zu kurz.
Klar ist aber auch: Die grüne Transformation können wir nur mit erheblichen Investitionen stemmen. Das stellt die öffentlichen Haushalte vor riesige Herausforderungen. Deshalb müssen wir alles daransetzen, die Investitionsbedingungen in Deutschland grundlegend zu verbessern: im öffentlichen, vor allem aber auch im privaten Bereich.
Die Frage der öffentlichen Finanzierungsmöglichkeiten ist dann Teil eines solchen Gesamtkonzeptes. Die kommende Bundesregierung wird sich dieser Aufgabe sehr bald stellen müssen.
Die Fragen stellte Andreas Heitker.