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Weckruf für eine Europäische Kapitalmarktunion

03.09.2020Artikel
Dr. Hendrik Hartenstein
Dietmar Schwarz
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Das Instrument Kredit erreicht mit fortschreitendem Krisenverlauf seine Grenzen. Um den Aufschwung und Strukturwandel in Deutschland und Europa zu stemmen, ist eine diversifizierte Finanzierung auch über Kapitalmarktinstrumente notwendig. Dies spricht dafür, die nötigen politischen Anstrengungen hin zu einer echten Kapitalmarktunion zu unternehmen. Als Alternative zur Einlage-Kredit-Vermittlung von Banken führt der Kapitalmarkt verschiedene Anleger und Investoren einerseits sowie Emittenten andererseits zusammen.

Die Europäische Kapitalmarktunion schien in den zurückliegenden Jahren kein Herzensanliegen in Brüssel mehr zu sein. Doch mittlerweile hat das Projekt wieder erheblich an Schwung gewonnen. Der eindringliche Weckruf der Branche, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und nicht zuletzt die Folgen des Brexits machen klar, wie dringend gerade jetzt Fortschritte für einen einheitlichen und effizienten Kapitalmarkt in der EU sind. 

Die von der EU-Kommission eingesetzte Expertenrunde „High Level Forum on CMU“ hat kürzlich einen 130 Seiten starken Bericht mit 17 Empfehlungen vorgelegt. Auch das Europäische Parlament dringt auf Fortschritte bei der Kapitalmarktunion und hat in seinem Entwurf für einen Initiativbericht explizit auf den Bericht des High Level Forum Bezug genommen. Und auch die Kommission hat in ihrer Roadmap angekündigt, die Kapitalmarktunion in der laufenden Legislatur ehrgeizig voranzutreiben und noch in diesem Jahr einen neuen Aktionsplan zu veröffentlichen.

Europa hat den Anspruch, seine Wirtschaft – gerade wegen und trotz der COVID-19-Krise – international wettbewerbsfähiger, nach-haltig, digital und insgesamt innovativer zu gestalten. Dies lässt sich nur mit Hilfe eines funktionsfähigen Kapitalmarkts finanzieren –denn der massive Einsatz des Staates und die starke Rolle der Banken bei der Kreditvergabe zur Unterstützung von pandemiegeschwächten Unternehmen reichen dazu allein nicht aus. 

Das Vereinigte Königreich hat Ende Juni 2020 angekündigt, auch bei der Finanzmarktregulierung eigene Wege zu gehen. Damit werden weitgehende Äquivalenzregelungen und ein weiterhin eng verflochtener Finanzmarkt zwischen EU und UK unwahrscheinlicher, die Vertiefung und Stärkung des EU-27-Marktes aber umso wichtiger. Mit Blick auf die Gefahr eines „No-Deal-Brexits“ bedarf es nun großen politischen Ehrgeizes, um das Projekt „Kapitalmarktunion“ zu einem Erfolg zu führen.

Der Bankenverband legte bereits im Februar 2020 in einem Positionspapier acht Vorschläge für die Kapitalmarktunion vor. Zudem hat er sich an der Konsultation der Kommission zum HLF-Bericht beteiligt und die einzelnen Vorschläge bewertet (Stellungnahme).

Die Vorschläge des High Level Forum weisen nach unserer Einschätzung grundsätzlich in die richtige Richtung. Dies gilt insbesondere für 

  • die Überarbeitung der Verbriefungsregulierung, 
  • die Schaffung einer zentralen Zugangsstelle für Unternehmensdaten (European Single Access Point, ESAP), 
  • die Empfehlung, den bestehenden Rechtsrahmen für Finanzdienstleistungen zu analysieren und seine Anwendung auf crypto/digital assets sicherzustellen,
  • die Forderung nach einer einheitlichen Infrastrukturlandschaft für die Abwicklung von Wertpapiergeschäften und
  • einen gezielten Review der Aktionärsrechterichtlinie (SRD2), sofern die neuen Regeln eine Anpassung einzelner Vorgaben erfordern.  

Bei der weiteren Harmonisierung von Steuer- und Insolvenzrecht kommt es darauf an, sehr gezielt vorzugehen, um noch im Laufe weniger Jahre konkrete Fortschritte zu erreichen. Die Maßnahmen dürfen nicht zu kurz greifen, sollen aber auch nicht an ihrem eigenen Anspruch scheitern. Denn darin sollte man sich nicht täuschen: eine Vollhar-monisierung wird gewiss nicht gelingen.