Wie weiter nach Corona? – Mit dieser Frage beschäftigte sich der gestrige BankenDIALOG, den über 300 Teilnehmer online an ihren Bildschirmen mitverfolgten. Der Bankenverband hatte zu seinem ersten „Banken ON SCREEN“ geladen, um mit Experten über die wirtschaftliche Zukunft nach Corona zu diskutieren: im Berliner Studio Volker Treier, Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung des DIHK, und von Frankfurt aus zugeschaltet, Stefan Schneider, Chefvolkswirt Deutschland der Deutschen Bank und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bankenverbandes. Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, führte ins Thema ein, Markus Becker-Melching, Chief Operating Officer des Bankenverbands, moderierte die Diskussion.
„Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise werden noch weithin unterschätzt“, hob Verbandschef Christian Ossig einleitend hervor. Gehe es zurzeit noch darum, mit Hilfe erheblicher staatlicher Mittel die akute Krisenphase zu überbrücken und die Schäden des Lockdowns zu lindern, seien die langfristigen ökonomischen Folgen der Krise noch kaum absehbar. „Wir müssen uns“, so Ossig, „von der Vorstellung einer V-förmigen Krisenentwicklung, und damit von der Hoffnung, dass dem schnellen, steilen Absturz ein ebenso schneller und steiler wirtschaftlicher Aufstieg folgen werde, wohl oder übel verabschieden.“ Um dennoch möglichst schnell aus dem Tief herauszukommen, müssten kluge Strategien entwickelt werden, wie auf den teilweisen Zusammenbruch der globalen Lieferketten reagiert werden könne. Diese bildeten die Basis für erneutes Wachstum und Wohlstand, hätten sich aber eben auch gerade in der Krise als zentrales Problem, wenn nicht gar als Brandbeschleuniger erwiesen. Ein damit verbundenes Dilemma sei, dass das Prinzip freier Märkte und des freien Welthandels zunehmend in Konkurrenz mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen geraten könnte. Neben der großen Herausforderung, Europa und die Eurozone politisch und wirtschaftlich stark durch die Krise zu bringen, müsse man sehr aufpassen, dass protektionistische Tendenzen nicht noch auf eine neue Ebene gehoben werden.
Wirtschaftlich schlimmste Situation der Nachkriegsgeschichte
Beide zugeschaltete Experten stimmten der Lagebeschreibung Ossigs zu: „Wir befinden uns in der wirtschaftlich schlimmsten Phase der Nachkriegsgeschichte, deren Tiefpunkt wir erst in den nächsten Monaten sehen werden“, betonte Volker Treier. Insbesondere der Zusammenbruch der internationalen Lieferketten sei eine so noch nie dagewesene Situation, die auf den Welthandel bezogen, inzwischen einen Handelsrückgang um bis zu einem Drittel möglich erscheinen lasse. Stefan Schneider ergänzte mit Blick auf die Lage der Finanzwirtschaft: „Die Banken sind ordentlich aufgestellt, wesentlich besser als in der Finanzkrise 2008/2009.“ Allerdings sei ihre Profitabilität, auch wegen der Zinspolitik der zurückliegenden Jahre, nicht so gut wie es wünschenswert wäre. Sinkende Transaktionszahlen, wenig Börsengänge und eine insgesamt geringere Nachfrage würden absehbar auch bei den Banken zu abnehmenden Erträgen führen. Gesamtwirtschaftlich werde die globale Erholung sicher nicht so dynamisch verlaufen wie 2009 nach der Finanzkrise, als der Welthandel der positive Treiber der Entwicklung war. Zeitversetze Krisenverläufe behinderten jetzt die Aufwärtsbewegung zusätzlich. So treffe die langsam wieder angefahrene Produktion in China nun auf einen Nachfragemangel in den USA, welche sich gerade nahe am Höhepunkt der Epidemie befänden.
Rückschlag für die Globalisierung
Mit Blick auf den internationalen Handel und die globalen Lieferketten sei, so Treier, in einer zunehmenden Differenzierung bereits ein neuer Trend zu erkennen. Auch wenn die großen Wirtschaftsmächte USA oder China weiterhin zentral blieben, sei eine Reorientierung hin zu geografisch näheren Gebieten zu beobachten. Auch für Stefan Schneider steht fest: Da es eine Lehre aus der Krise sei, eigene Abhängigkeiten zu reduzieren, werde eine gewisse De-Globalisierung die Folge sein. Zudem definierten Staaten ihre strategischen Interessen neu, mit der Folge, dass Investitionsentscheidungen neu ausgerichtet würden. „Die nähere Hinwendung zum Heimatmarkt“, so Schneider, „ist im Gange – eine Entwicklung, die in den USA mit ‚America first‘ ja auch schon vor Ausbruch der Krise zu beobachten war.“
Sorge um die Eurozone?
Größere Friktionen könnten nach Ansicht der Experten auf Länder mit geringerer Wettbewerbsfähigkeit und finanzieller Tragfähigkeit zukommen. Wie Stefan Schneider aufzeigte, sei das Wechselkursregime derzeit zwar relativ stabil, weil der wirtschaftliche Einbruch im globalen Ausmaß weitgehend synchron verlaufe, Wechselkursveränderungen somit kaum stattfänden. Doch dürften die rapide wachsenden Staatsausgaben mittelfristig für viele Länder zu Problemen führen. „Deutschland kann sich das aufgrund der soliden Haushalts- und Finanzpolitik der zurückliegenden Jahre gerade noch leisten“, meinte Treier, „aber viele andere Staaten und schon gar viele Emerging Countries werden große Schwierigkeiten bekommen.“ Auch mit Blick auf einzelne Staaten der Eurozone wie etwa Italien müsse man sich Sorgen machen, mahnte Treier. Dass es allerdings zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone komme, glaube er nicht. Auch für Italien sei der Euro mit seinen vielen Vorteilen ein Fundament seiner Wirtschaftskraft, sodass ein Ausscheren Italiens aus der Eurozone auch nicht im eigenen Interesse des Landes läge.
Mühsamer Weg aus dem Krisenmodus
Auf dem Weg aus dem Krisenmodus gibt es aber auch in Deutschland noch viele Herausforderungen zu meistern. „Die richtige und notwendige Forderung, der Staat müsse in der Krise stark unterstützend eingreifen, kann nach der Krise auch zum Problem werden“, gab Treier etwa zu bedenken. Denn staatliche Eingriffe wirkten oft wettbewerbsverzerrend und würden protektionistische Tendenzen verstärken. Deshalb müsse man einen Zeitpunkt definieren, ab dem sich der Staat wieder zurückziehe und man aus diesem Prozess wieder aussteigen könne. Auch Steffen Schneider hält die Frage der Rolle des Staates in der Krise für zentral: Es sei wichtig, den gegenwärtigen Wettlauf zwischen der Politik, die den Unternehmen Gutes tun wolle, und den Unternehmen, die einen möglichst großen Anteil an den Unterstützungsleistungen einforderten, bald zu beenden. „Auch in der Krise kann ein Euro nur einmal ausgegeben werden, und auch staatliche Mittel sind begrenzt“, mahnte Schneider. „Zu dieser Einsicht müssen wir angesichts der gigantischen Summen, um die es gerade geht, möglichst schnell wieder zurückkommen.“
Bei allen Problemen und Skepsis in einzelnen Bereichen sehen die beiden Experten mit Blick auf das „Geschäftsmodell Deutschland“ insgesamt aber nicht allzu pessimistisch in die Zukunft: Deutschland habe zeitnah auf die Krise reagiert und die Politik leiste mit den staatlichen Hilfen einen entscheidenden Beitrag, die Unternehmensstruktur so weit wie möglich zu erhalten. Aufgrund des soliden Wirtschaftens in den letzten Jahren und Jahrzehnten habe Deutschland die Mittel, um durch die Krise zu kommen. Wenn es zudem gelänge, größere europäische Verwerfungen zu verhindern und den globalen Handel langsam wieder zu beleben, habe das Land gute Chancen, an frühere Wirtschaftserfolge anzuknüpfen.