Die gegenwärtige Lage ist einmalig und nur schwer zu erfassen. Weltweit hat die Corona-Pandemie zu gravierenden Einschnitten in das öffentliche Leben geführt und die Bewegungsfreiheit der Menschen teils erheblich eingeschränkt. Geschlossene Restaurants und Einzelhandelsgeschäfte, unterbrochene Lieferketten, abgesagte Messen und Veranstaltungen, der Stopp fast aller Reiseaktivitäten haben einen Einbruch der Weltwirtschaft zur Folge, wie er in dieser Form seit dem Zweiten Weltkrieg präzedenzlos ist. Jedes Land ist betroffen, unzählige Arbeitnehmer und Unternehmen bangen um ihre wirtschaftliche Existenz.
Doch ökonomische und gesellschaftliche Aktivitäten wurden mit Beginn der Krise nicht nur zurückgefahren, sie haben sich auch gewandelt – und das sehr schnell. Viele Menschen wurden gezwungen, Gewohnheiten zu ändern, und einige ihrer neuen Gewohnheiten werden wahrscheinlich die Corona-Krise überdauern, vor allem im technologischen Bereich. Ein Blick auf das Deutschland der letzten Wochen zeigt Überraschendes: Schüler und Studenten lernen von Zuhause auf digitalen Plattformen, Menschen jeden Alters nutzen – beruflich wie privat – Video Calls und Cloud-Services, Kulturschaffende verbünden sich auf gemeinsamen Plattformen, um digitalen Umsatz zu generieren, und Supermärkte sowie Taxi- und Lieferdienste weigern sich, Bargeld ihrer Kunden anzunehmen. In normalen Zeiten wären Veränderungen dieser Art nur schwer vorstellbar, in dem eingeschlagenen Tempo jedenfalls undenkbar gewesen. Es ist, als wäre ein großes digitales Experiment angelaufen – in Echtzeit und mit Millionen von Probanden.
Auswirkungen auf das Bankgeschäft
Natürlich ist auch das Bankgeschäft von dieser Entwicklung betroffen. Das seit Jahren ohnehin schon sinkende Kundenaufkommen in Filialen hat in Corona-Zeiten über alle Kundengruppen hinweg noch einmal drastisch abgenommen. Gleichzeitig sind seit dem Auftreten von COVID-19 eine Vielzahl von vorläufigen Filialschließungen notwendig. Im Zahlungsverkehr setzen Kunden inzwischen wesentlich häufiger Karten oder mobile Bezahlverfahren ein, als dies bislang der Fall war. Ebenso nutzen Kunden weit öfter vollintegrierte in-App Payments, da sich Teile des Konsums zwangsläufig auf die Online-Kanäle verlagert haben. Daneben verzeichnen auch die Anbieter digitaler Identifizierungslösungen höhere Nutzungszahlen ihrer Services.
Digitale Hürden abbauen
Die spannende Frage lautet nun, ob die Kunden auch nach der Krise dem digitalem Banking in dieser Intensität treu bleiben werden und ob es darüber hinaus gelingen wird, jene Kunden für digitale Angebote zu gewinnen, die sie in diesen Tagen überhaupt zum ersten Mal wahrgenommen haben oder noch wahrnehmen werden. Entscheidend für Letzteres: Den Banken muss es gelingen, die Hürden, die Kunden bisher von digitalen Kanälen abgehalten haben, dauerhaft zu senken oder ganz zu beseitigen. Zu diesen Hürden dürften neben einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber digitalen Zugangswegen die fehlenden digitalen Fähigkeiten vor allem älterer Kunden zählen, weswegen das Kundenerlebnis bei der erstmaligen Nutzung entsprechender Angebote umso wichtiger ist. Banken tun gut daran, wenn sie eine möglichst breite, aber vor allem bequeme Auswahl an Kontaktmöglichkeiten zulassen, die zu einer schnellen Bearbeitung der Anliegen von Kunden aller Alters- und Bildungsstufen führt.
Wo Anbieter bisher Monate Vorlauf hatten, um Kunden auf digitale Angebote und Zugangswege vorzubereiten, bleibt jetzt so gut wie keine Zeit. Den Banken muss es gelingen, die digitalen Fertigkeiten ihrer Kunden schon ab der erstmaligen Nutzung eines Service so weiterzuentwickeln, dass ein positives Kundenerlebnis Vertrauen in die digitalen Kanäle schafft oder zumindest ein Soft-Landing des Kunden im digitalen Zeitalter sicherstellt. Die derzeitige Krise bietet nicht nur eine Vielzahl von Herausforderungen, sondern eben auch die Chance, die Perzeption digitaler Angebote kurzfristig positiv zu verändern und damit die Kundenzufriedenheit und -bindung auf lange Sicht zu verbessern.
Kundenzugang durch Mehrwerte verteidigen
Die digital weit fortgeschrittenen chinesischen Banken haben während der Corona-Krise gezeigt, wie weit man als Bank verschiedene digitale Services zum Mehrwert des Kunden integrieren kann. Eine chinesische Bank hat beispielsweise ihre Kunden durch die bereits vorhandenen digitalen Zugangswege dabei unterstützt, persönliche Informationen zu hinterlegen, um die Rückkehr zur Arbeit digital zu beantragen. Darüber hinaus integrierte sie über ihren digitalen Kundenzugang weitere Dienstleistungen anderer Anbieter, um der ländlichen Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Altenpflege zu geben. Obwohl die Services nicht dem Primärangebot von Banken entsprechen, stellt die Bank so ihren exklusiven Kundenzugang sicher. Gleichzeitig hatten etliche chinesische Institute spezielle Corona-Kampagnen gestartet, um alle Kundengruppen schnellstmöglich an die digitalen Services heranzuführen.
Zusammenarbeit mit FinTechs
Noch mehr als je zuvor werden Banken gezwungen sein, mittel- bis langfristig signifikante Anpassungen ihrer Geschäftsmodelle vorzunehmen. Denn Anbieter, die bereits heute über ein attraktives digitales Angebot verfügen, werden die Zufriedenheit ihrer Bestandskunden weiter steigern und ebenfalls Neukunden dazugewinnen. Klar ist: Die digitale Transformation muss intensiviert werden, eine Alternative hierzu gibt es nicht. Die Zusammenarbeit mit FinTechs kann dabei als Katalysator dienen. Durch ihre schlanke Organisation, ihr agiles Methoden-Setup und ihr innovativ-digitales Mindset können FinTechs technologische Lösungen häufig schnell und pragmatisch entwickeln und den Banken zur Verfügung stellen. Für den Erfolg entscheidend ist jedoch, dass die Banken alle Anstrengungen unternehmen, um ebenso unkomplizierte Wege in der Kooperation mit diesen jungen Unternehmen zu gehen.
Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit FinTechs ergibt sich für die Banken vor dem Hintergrund der Corona-Krise jedoch noch eine weitere Chance. Nicht alle FinTechs sind so solide finanziert, dass sie die Krise unbeschadet überstehen werden. Die Venture-Capital-Geber haben bereits bei dem einen oder anderen Arrangement Maßnahmen ergriffen, um Ausfälle zu vermeiden. Banken haben dadurch die Möglichkeit, strategische Akquisitionen von FinTechs zu einem günstigen Zeitpunkt zu tätigen, um diese in ihren operativen Geschäftsbetrieb zu integrieren. Auf diese Weise können die Institute ihre eigenen digitalen Fähigkeiten ausbauen und ihren Kunden zugleich neue Produkte und Lösungen anbieten.
Banken, die die digitale Transformation in den vergangenen Jahren nicht in ausreichendem Maße vorangetrieben haben, sollten die derzeitige Krise auch als Weckruf verstehen und ihre Kapazitäten infolge des veränderten Kundenverhaltens auf digitale Vorhaben konzentrieren. Möglicherweise ist die derzeitige Krise bei aller Belastung für die Risikoprofile der Institute eine Chance, um die digitale Transformation nachhaltig und konsequent anzugehen. Das gigantische Digitalisierungsexperiment bietet im besten Fall eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: für Kunden, FinTechs, Investoren und Banken.