China dominiert den Medikamentenmarkt
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Ob bei Seltenen Erden, Chips für die Autoindustrie oder Rohstoffen wie Lithium – die wirtschaftliche Abhängigkeit von China wird in immer stärkeren Maße als ein Risiko für Deutschland und Europa wahrgenommen. Eine weitere kritische Abhängigkeit besteht bei wichtigen Medikamenten. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die im Auftrag des Verbandes Pro Generika erstellt wurde, ist diese Abhängigkeit nicht zufällig entstanden, sondern von China gezielt aufgebaut worden. Geopolitische Spannungen oder Exportbeschränkungen aus China könnten nun zu Engpässen in der Versorgung führen, warnen die Autoren der Studie.
Strategisches Investment
Um die Sicherheit der eigenen Versorgung zu stärken und eine zentrale Rolle in globalen Lieferketten einzunehmen, habe China den Aufbau der Pharmaindustrie seit Jahrzehnten vorangetrieben, heißt es in der Studie. So haben chinesische Hersteller in den vergangenen Jahren gezielt in großtechnische Produktionsanlagen investiert – etwa für die Herstellung antibiotischer Wirkstoffe – und sich zu zentralen Zulieferern weltweit entwickelt. Auch in der vor zehn Jahren groß angelegten Initiative „Made in China 2025“ wurde die Pharmabranche als Schlüsselindustrie erwähnt, in die gezielt investiert werden sollte. Ergebnis: Die Innovationskraft Chinas steigt – gerade im für die Pharmaindustrie bedeutenden Bereich der Biotechnologie. Während die chinesische Pharmaindustrie im Jahr 2000 gerade einmal zehn Patente angemeldet hatte, waren es 2021 insgesamt 1.092 Patente. Im Ranking der „patentaktivsten“ pharmazeutischen Forschungsstandorte hat sich China binnen zwei Jahrzehnten von Platz 14 im Jahr 2000 kräftig nach oben gearbeitet.
Gleichzeitig seien europäischen Standorte durch einen steigenden Kostendruck und zunehmende Anforderungen unter Druck geraten. Das gelte insbesondere für Generika, die für die breite Versorgung der Bevölkerung entscheidend seien und auch zu einem großen Teil in China hergestellt werden. Generika sind nachgeahmte Präparate von Originalmedikamenten, die nach Ablauf des Patentschutzes auf den Markt kommen. Sie enthalten den gleichen Wirkstoff in der gleichen Menge und Darreichungsform wie das Original, sind in der Regel deutlich günstiger und haben die gleiche Wirkung, Sicherheit und Qualität. Gemessen am Volumen sind fast 80 Prozent der verordneten Arzneimittel in Deutschland Generika. Doch nicht nur bei Generika, auch bei Biosimilars drohe die Abhängigkeit zuzunehmen. Biosimilars sind biotechnologisch, also aus lebenden Zellen oder Bakterien hergestellte Medikamente, während es sich bei Generika um chemisch-synthetisch hergestellte Medikamente handelt.
Risiko für Grundversorgung in Europa
Chinas Stärke trifft auf eine europäische Arzneimittelversorgung, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von politisch gewollten Kostensenkungen – insbesondere im Bereich der Generika – geprägt war. Die Folgen für den Pharmastandort bestanden darin, dass weder die strategische Perspektive der Versorgungssicherheit noch der ökonomische Beitrag des Pharmasektors ausreichend berücksichtigt wurden. Ein Ausfall chinesischer Arzneimittel-Kapazitäten im Krisen- oder Konfliktfall stellt daher ein signifikantes Risiko für die Grundversorgung Europas dar. Denn wie die Studie auch herausgefunden hat: Nur rund zehn Prozent von 56 betrachteten versorgungsrelevanten Wirkstoffen verfügen über eine „hinreichend große und damit als wenig riskant einzuordnende industrielle Basis in Europa“. Bei mehr als zwei Dritteln liege eine als kritische einzuordnende Marktkonzentration in China oder Indien.
Der Studie zufolge könnten durch die chinesische Kontrolle zentraler Produktionsstufen strukturelle Abhängigkeiten entstehen, die im geopolitischen Kontext „strategisch nutzbar wären“. Denkbar wären Exportbeschränkungen, administrative Verzögerungen etwa bei Genehmigungen, die Priorisierung des chinesischen Binnenmarktes und die Verdrängung von Konkurrenten durch wettbewerbsverzerrende Preisstrategien. Ein Ausfall chinesischer Arzneimittel-Kapazität im Krisen- oder Konfliktfall stelle ein signifikantes Risiko für die Grundversorgung Europas dar.
Abhängigkeiten sehen die Studienautoren nicht nur bei Wirkstoffen. Diese sind zwar die Schlüsselsubstanzen von Medikamenten, doch um sie herzustellen, sind Vorprodukte nötig, etwa Alkaloide, die etwa für die Herstellung bestimmter Schmerzmittel gebraucht werden. Hier spielen chinesische Lieferungen sogar eine noch größere Rolle.
Was zu tun ist
Aber was kann getan werden, um Europas Arzneimittelversorgung und Pharmaindustrie
zu stärken? Die Studie nennt drei strategische Handelsfelder. Um die Produktion zu halten, braucht es erstens langfristige Anreize für den Ausbau kritischer Produktionskapazitäten und die Berücksichtigung von Resilienz in der gesundheitspolitischen Gesetzgebung als Vergabekriterium in öffentlichen Ausschreibungen. Zweitens: Neben dem gezielten Ausbau von Produktionskapazitäten in Europa sind Investitionspartnerschaften mit Drittstaaten eine weitere Möglichkeit, alternative Bezugsquellen für pharmazeutische Wirkstoffe und Vorprodukte aufzubauen. Und drittens sind Forschung und Prozessinnovationen im Produktionsbereich entlang der pharmazeutischen Wertschöpfungskette sind gezielt zu fördern, um die technologische Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern.