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Schmieding: „Einen richtigen Lichtblick haben wir nicht gefunden“

26.09.2023Artikel
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Eine Weltwirtschaft ohne Schwung mit nur langsam abflauender Inflation und allmählich sichtbaren Spuren der drastischen Leitzinserhöhungen halten die Konjunktursorgen hoch. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bankenverbandes, erläutert im Interview die Gemeinschaftsprognose der privaten Banken.

Börsen-Zeitung: Herr Schmieding, die Aussichten für die Weltwirtschaft bleiben trübe: Haben Sie bei der Prognoseerstellung zumindest einen Lichtblick gefunden – Sie sind ja vergleichsweise pessimistisch?

Holger Schmieding: Einen richtigen Lichtblick haben wir nicht gefunden. Wir erwarten, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr und in der ersten Hälfte 2024 noch anderen Volkswirtschaften hinterherhinkt. Wir werden weiter abwarten müssen, bis im verarbeitenden Gewerbe der Welt der Trend wieder eindeutig nach oben zeigt. Deutschland ist diesem Auf und Ab der Weltindustrie stärker ausgeliefert als andere Länder. Und zurzeit sind wir in einer Abschwungphase der Weltindustrie.

Ein wesentlicher Teil der Probleme im deutschen verarbeitenden Gewerbe ist ja die Lagerkorrektur.

Das stimmt. Nach dem Ende der Lieferkettenengpässe haben wir Lagerbestände aufgebaut, die jetzt angesichts der etwas schwächeren Nachfrage aus China und den USA überdimensioniert sind. Um die Lager zu räumen, produzieren die Unternehmen weniger, als sie verkaufen. Das schlägt konjunkturell durch und sieht in Zahlen wie dem BIP zeitweilig schlechter aus, als es eigentlich dem zugrunde liegenden Trend entspricht. Fazit: Der Herbst wird schwierig, aber das heißt nicht, dass das kommende Jahr schwierig bleibt. Im Jahresverlauf 2024 wird es besser. Dann prognostizieren wir einen deutlichen Tempogewinn beim Wachstum – für Deutschland und die Eurozone.

Der private Konsum gilt als Hoffnungsträger für das Wachstum. Wie zuversichtlich sind Sie, nachdem bislang die langsam nachlassende Inflation noch keine nennenswerten Effekte zeigt.

Nun, wir haben ja im Sommer gesehen, dass die Reiselust der Deutschen ungebrochen ist. In diesem Sinne ist der private Konsum bereits angesprungen, wobei das natürlich sehr stark auch den typischen Urlaubsländern zugutegekommen ist. Aber wir sehen auch, dass sich die Stimmung der Verbraucher, die lange Zeit gestiegen ist, zurzeit nicht weiter aufhellt – wegen der Sorgen über die Industrie und der allgemeinen Verunsicherung über die Energiepolitik. Der private Verbrauch wird also derzeit nicht ausreichen, um eine leichte Rezession zu verhindern. Allerdings erwarten wir, dass im Laufe des kommenden Jahres die Nachrichten aus der Industrie wieder besser werden. Und dann wird auch die Ausgabenbereitschaft der privaten Verbraucher wieder steigen. Sie haben ja bereits mehr Einkommen zur Verfügung, weil die Löhne stärker steigen als die Preise und auch die Beschäftigung bisher nicht zurückgeht.

Sie haben die Energiepolitik ange­sprochen: Derzeit wird gefordert, die Energie­preisbremsen zu verlängern, die bei Haushalten und Unternehmen die Härten der Energiekrise abfedern sollten. Eine gute Idee?

Im vergangenen Winter war die Gas- und Strompreisbremse für die Haushalte eine gute Idee. Sollte es zu einem erneuten kräftigen Anstieg dieser Preise am Markt kommen, dann sollte dieser Deckel beibehalten werden. Was die Diskussion um einen Industriestrompreis betrifft: Wichtig ist für uns in diesem Bereich, dass Klarheit herrscht – über die künftige Energiepolitik, über den Pfad der Energiepreise für Haushalte und für Unternehmen. Nur so bauen wir Unsicherheit und Unklarheit ab, die erheblich zur Zurückhaltung im Wohnungsbau und bei Investitionen beitragen. Wir brauchen Klarheit und eine bessere Planbarkeit für die gesamte Wirtschaft, also gerade auch für den Mittelstand. Allein Klarheit zu schaffen wäre schon ein Konjunkturimpuls.

Was sollte die Bundesregierung noch tun, um den Wirtschaftsstandort zu stärken?

Um den Wirtschaftsstandort zu stärken, gibt es eine ganze Reihe von sinnvollen Maßnahmen. Ein klassisches Konjunkturprogramm gehört nicht dazu, da uns kein großer Anstieg der Arbeitslosigkeit droht. Wir sind der Meinung, dass das 10-Punkte-Paket und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Bundesregierung in die richtige Richtung gehen. Wir würden da aber gerne etwas nachlegen, etwa bei der Ausgestaltung der Abschreibungen und des Verlustvortrages. Zusätzlich brauchen wir mehr qualifizierte Zuwanderung. Und wir brauchen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, um die Wirtschaft auch längerfristig voranzubringen.

Schenkt Berlin denn Problemfeldern wie Fachkräftemangel, Entbürokratisierung, Digitalisierung und Klimaschutz genügend Aufmerksamkeit?

Meinem Eindruck nach wird in Berlin mittlerweile viel darüber diskutiert. Wenn es aber im föderalen System Deutschlands darum geht, sich zu einigen und Reformen umzusetzen, dauert das noch zu lange. Die Diskussion über die Schwäche des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist dennoch übertrieben. Sie hat allerdings den Vorteil, dass in Berlin und darüber hinaus ankommt, dass es am Standort Deutschland Probleme gibt. Jedem sollte mittlerweile klar sein: Wir müssen etwas tun, etwa bei der Digitalisierung. Die öffentliche Verwaltung muss nicht unbedingt schlanker, aber besser werden. Sie muss so gestärkt werden, dass sie Anträge schneller bearbeiten kann. Das geht durch Digitalisierung. Das geht aber auch dadurch, dass man im Zweifelsfall die eine oder andere Detailregelung abschafft und damit etwas schneller zu Ergebnissen kommen kann. Bei Arbeitskräftemangel sollte Regulierung möglichst einfach sein, möglichst einfach umzusetzen und zu kontrollieren. Auch wenn sie dann nicht jedem Einzelfall gerecht werden, so können sie dann doch zumindest konsistent angewandt werden.

Was wären Ideen, um dem Fachkräftemangel, auch über Zuwanderung, zu begegnen?

Wir müssen in der Diskussion über das Steuersystem bei uns – auch über den Spitzensteuersatz – darauf achten, dass es sich lohnt, zu uns zu kommen, gerade für Qualifizierte. Das ist ein Argument, das oftmals übersehen wird in der Diskussion. Zudem sollten wir auch über Möglichkeiten sprechen, das heimische Arbeitskräftepotenzial besser zu nutzen. Beispielsweise könnte man Anreize setzen für ältere Arbeitnehmer, länger zu arbeiten, indem man die Erwerbseinkommen jenseits der gesetzlichen Altersgrenze weniger besteuert: also mehr Netto vom Brutto für diejenigen, die sich mit ihrem Arbeitgeber darauf einigen, auch über das offizielle Rentenalter hinaus zu arbeiten.

Groß war lange auch die Sorge vor einer Insolvenzwelle mit entsprechenden Jobverlusten. Bislang werden die steigenden Insolvenzzahlen eher als Normalisierung gesehen.

Wir erwarten keine Insolvenzwelle, die so ausgeprägt ist, dass sie zu großen gesamtwirtschaftlichen Problemen führen wird. Konkret: Es wird nicht so viele Unternehmenspleiten geben, dass daraus ein spürbarer Anstieg der Arbeitslosigkeit resultieren wird. Wir werden eher sehen, dass Unternehmen in der konjunkturellen Schwächephase weniger einstellen. Gleichwohl wird die Arbeitslosigkeit nur leicht steigen – der Arbeitsmarkt ist nach wie vor robust.

China war ja lange Zeit eben auch so ein bisschen die Konjunkturlokomotive. Wen würden Sie denn jetzt an der Position sehen?

Richtig: Die einstige Konjunkturlokomotive China zieht nicht mehr und sie wird wahrscheinlich nie wieder so ziehen wie früher. Denn China hat langfristige Probleme, im Wesentlichen infolge einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Die USA sind für die Weltkonjunktur immer noch das wichtigste Land. Die US-Konjunktur spielt für unseren Ausblick eine erhebliche Rolle. Wir erwarten eine sanfte Landung in den USA, also einen Abschwung ohne spürbare Rezession in den kommenden drei Quartalen, gefolgt von einem Wiederaufschwung, der in der zweiten Hälfte kommenden Jahres an Schwung gewinnt und zum Trendwachstum zurückkommt. Doch um die Weltwirtschaft als Ganzes anzukurbeln, ist diese Entwicklung wahrscheinlich nicht kräftig genug. Darüber hinaus wird oft Indien genannt. Indien entwickelt sich rasant, macht aber bislang weniger als ein Viertel der chinesischen Wirtschaftsleistung aus. Das indische Wachstum hilft etwas, aber die indische Wirtschaft ist einfach nicht groß genug, um das Prädikat Weltkonjunkturlokomotive zu verdienen. Ich befürchte, auch in dieser Beziehung ist die Welt multipolarer geworden.

Es wird immer stärker vor der Abhängigkeit von China gemahnt. Wie kritisch sehen Sie das?

China ist gerade für uns in Deutschland ein wichtiger Absatzmarkt, aber die Bedeutung des chinesischen Marktes wird in der öffentlichen Diskussion oft etwas übertrieben. Die Zahlen sehen anders aus: Derzeit gehen 7,2% der deutschen Warenausfuhren nach China. Aber um die 5,7% gehen allein nach Polen. Rechnen wir Polen, Tschechische Republik, Ungarn und die Slowakei zusammen, sind es über 12%, in die USA gehen 10%. Der Punkt, den ich machen möchte, ist: China ist wichtig, aber andere Länder sind noch wichtiger. Wir können also gewisse Reibungsverluste im Handel mit China weitgehend ausgleichen, wenn der Handel mit anderen Ländern blüht. Zwar haben wir zurzeit konjunkturell mit Osteuropa auch eine kleine Delle, das Potenzial ist dort aber groß. Aus konjunktureller und auch aus langfristiger wirtschaftlicher Sicht spricht wenig dagegen, die Vorteile des Handels mit China abzuwägen gegen Risiken für Souveränität, nationale Sicherheit und Versorgungssicherheit.

Die Misere in der deutschen Baubranche zeigt, dass die straffe Geldpolitik in der Wirtschaft ankommt. Ist nun der Zinsgipfel erreicht?

Wahrscheinlich. Die Inflation geht trotz des Ölpreiseffekts im Trend spürbar zurück. Die Konjunktur schwächt sich ab, das wird auch dazu führen, dass im kommenden Jahr der Lohndruck weniger ausgeprägt sein wird, als er jetzt aktuell ist. Das alles spricht dafür, dass die EZB genug gemacht hat. Sie haben den Wohnungsbau angesprochen. Es ist ein klares Beispiel dafür, dass die Geldpolitik wirkt. Sie bremst die Konjunktur. Wir sollten das abwarten. Was die EZB dann weiter macht? Sie wird vermutlich für längere Zeit beim jetzigen Zinsniveau bleiben. Wobei viele Ausschussmitglieder eine gute Chance sehen, dass die EZB im zweiten Halbjahr 2024  die Zinsen auch wieder senken könnte, wenn die Inflation sich dem 2-Prozent-Ziel annähert.

Im EZB-Rat könnte bereits auf der kommenden Sitzung im Oktober die Debatte über die Überschussliquidität starten. Als erster möglicher Schritt gilt die Anhebung der Mindestreserve.

Wir sehen, dass die Zinspolitik wirkt. Wir sehen daher kein geldpolitisches Argument, warum an der Mindestreserve oder an dem jetzt vorgesehenen Tempo des Bilanzabbaus etwas geändert werden sollte. Eine höhere, inzwischen unverzinste Mindestreserve wirkt wie eine Art Steuer auf Bankeinlagen. Sie könnte die europäischen Banken – gerade im internationalen Wettbewerb – schwächen und mittelfristig auch die Kreditvergabekapazitäten im Euroraum beeinträchtigen.

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Dr. Kerstin AltendorfPressesprecherin für Nachhaltigkeit im Finanzsystem, Volkswirtschaft und Kapitalmärkte