Positionspapier

Europa und seinen Finanzsektor stärken - eine EU-Agenda bis 2029

Kerstin Altendorf
Dr. Kerstin Altendorf
Ute Schmaltz
Ute Schmaltz
Europäische Zentralbank in Frankfurt

Europa ist wichtiger denn je. Ein offenes, ein demokratisches Europa ist nicht nur für unseren Zusammenhalt, unseren gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch für unsere Wirtschaft unerlässlich. Die privaten Banken zeigen auf, wie Europa auch in Zukunft wettbewerbsfähig und attraktiv sein kann – für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und einen starken Finanzsektor.

Auf einen Blick

Was erwartet der Bankenverband von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament für den Finanzsektor in der nächsten Legislaturperiode?

Aus unserer Sicht ganz wichtig: Die Europäische Union muss schneller und pragmatischer werden. Eine Reihe von Vorschlägen der gegenwärtigen Kommission haben Rat und Parlament nicht mehr vor der Wahl verabschieden können.

Dazu zählen die Überprüfung des Krisenmanagements und der Einlagensicherung, die Strategie für Kleinanleger oder auch der Rechtsrahmen für einen digitalen Euro. Das Europäische Parlament und der Rat werden diese Dossiers aufgreifen und ihre gesetzgeberische Arbeit nach den Wahlen fortsetzen. Wir setzen darauf, dass diese Vorhaben so umgesetzt werden, dass sie die Wettbewerbskräfte stärken und nicht zu neuer Bürokratie führen.

Doch notwendig sind zugleich neue Ideen für eine smarte Regulierungsagenda, die Europas Stärken und Wettbewerbsfähigkeit fördert. Eine Agenda, die Europa im internationalen Kräftespiel souveräner und resilienter werden lässt. Jetzt ist die Zeit, diese Ideen zu sammeln, zu bündeln und dann umzusetzen.

Gerade für die Finanzmarktregulierung gilt:
Immer weiter neue, zusätzliche Vorschriften zu erlassen, ist keine Option. Jede Regulierungsinitiative und jede Reform der bestehenden Finanzmarktregulierung sollte darauf abzielen, Finanzierung und Investments in der EU wettbewerbsfähiger zu machen und dem Finanzsektor als strategischer Industrie in der EU zu helfen, seine Kunden in Zukunft noch besser bedienen zu können.

Für uns sind die wichtigsten Ansatzpunkte:

  • Smarte Regulierung
  • Finanzierung auf mehrere Säulen verteilen – Kapitalmärkte vertiefen
  • Bei Sustainable Finance vor allem auf Transition Finance setzen
  • Verbraucherschutz mit Augenmaß betreiben
  • Klare Ziele, klare Rollen für digitalen Euro und den europäischen Zahlungsverkehr definieren

Der europäische Bankenmarkt ist stabil – auch dank der Regulierung der letzten Jahre.
Doch zugleich ist der EU-Rechtsrahmen, der sich in den zurückliegenden 15 Jahren entwickelt hat, viel zu komplex geworden. Diese Komplexität, ja teilweise gar Widersprüchlichkeit, wird zunehmend zu einem schwerwiegenden Wettbewerbsnachteil für europäische Banken.

Europa braucht starke und leistungsfähige Banken, unter anderem, um die grüne
Transformation zu finanzieren. Um die Regulierung zukunftsfähig zu machen, muss
neben der Finanzstabilität daher auch die Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus rücken.
Dabei reicht es nicht, einzelne regulatorische Anforderungen zu betrachten, denn die
Initiativen der verschiedenen Institutionen überschneiden sich und stellen in der Summe
eine große Belastung dar. Europas Banken benötigen jedoch ein konsistentes, effizientes
und handhabbares Regulierungsrahmenwerk.

Es ist an der Zeit, die verschiedenen Vorschriften zu überprüfen, Redundanzen und Ungereimtheiten abzubauen und damit das EU-Regulierungssystem insgesamt effizienter zu gestalten. Die wichtigsten aufsichtlichen Regulierungsrahmen für unseren Sektor sollten dementsprechend ganzheitlich überprüft werden.

Ziel: Überschneidungen analysieren, Widersprüche auflösen und das europäische
Rahmenwerk in seiner Gesamtheit vereinfachen.

Nicht zuletzt müssen wichtige Elemente angegangen werden, um die Bankenunion weiter
voranzubringen. Auch hier sollte die Europäische Union nach 15 Jahren die Krisenperspektive
endlich verlassen. Statt weiterhin auf Einlagensicherung und Abwicklungssysteme den Fokus zu
legen, sollte die nächste EU-Kommission auch auf dem Feld der Bankenunion intensiv an einem
wirklich integrierten Finanzbinnenmarkt arbeiten.

Einem Heimatmarkt Europa, in dem Kapital und Liquidität frei fließen und in dem für die
europäische Bankenaufsicht die Gruppensicht entscheidend sein sollte.

Schließlich gilt es, das Bankwesen und die Kapitalmärkte weiter zu harmonisieren. Damit
lässt sich auch der Aufwand verringern, spezielle nationale Vorschriften für Banken immer wieder
anpassen zu müssen. Kurz- und mittelfristig sollten neue nationale Alleingänge und
Goldplating reduziert und ein auf einheitlichen Regelungen beruhendes Bankenmanagement in
ganz Europa ermöglicht werden.

Obwohl wir über eine Kapitalmarktunion schon seit Jahren diskutieren, ist der Fortschritt zu langsam.

Einen europäischen Kapitalmarkt zu schaffen, steht nun aber endlich auf der europäischen Agenda ganz weit oben.

Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs hat im April 2024 entschieden,
die Kapitalmarktunion weiter voranzutreiben und hierzu neun konkrete Vorschläge gemacht.
Weitere Berichte (Eurogruppe, Enrico Letta, Christian Noyer) enthalten ebenfalls Vorschläge.
Auch der Bankenverband hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht. Die derzeitige
politische Dynamik stimmt uns optimistisch, dass substanzielle Fortschritte erzielt
werden können.

Wenn Europa wieder mehr Unternehmen haben will, die weltweit führend sind, brauchen wir
einen liquiden und tiefen europäischen Kapitalmarkt, der das wirtschaftliche Wachstum
finanziert. Allein um den Umbau zu einer digitalen und nachhaltigen Wirtschaft zu
finanzieren, ist der Bedarf an Kapital enorm. Ohne die Möglichkeiten der Kapitalmärkte
werden die notwendigen Investitionen nicht zu bewältigen sein. Ohne eine Kapitalmarktunion
wird der Green Deal nicht funktionieren.

Hierfür müssen die europäischen Kapitalmärkte in Schlüsselbereichen weiterentwickelt werden.
Ganz wichtig ist, den Verbriefungsmarkt einerseits zu beleben und andererseits mehr Investoren zu mobilisieren. Verbriefungen bilden die Brücke von der bankbasierten Unternehmensfinanzierung hin zum Kapitalmarkt. Sie ermöglichen eine Finanzierung durch private Investoren und schaffen gleichzeitig Freiraum für weitere Finanzierungsmöglichkeiten durch unsere Banken.

Der Verbriefungsprozess sollte überprüft werden, um ihn auch insgesamt effizienter zu gestalten.
wir begrüßen daher den entsprechenden Auftrag, den die europäischen Finanzminister
der Kommission erteilt haben. Eine Stellschraube allein wird nicht den Durchbruch bringen.
Ansatzpunkte sind etwa, paneuropäische Verbriefungen zu ermöglichen, weitere
marktbezogene und gesetzliche Standardisierungen zu erzielen und den Markteintritt
zu vereinfachen.

Auch sollte der Clearing -Markt in der EU weiter gestärkt werden. Hierfür müsste der Regulierungsrahmen für Kapitalmärkte insgesamt von bürokratischen Hürden befreit werden und die Marktliquidität neben Marktintegrität und Finanzstabilität einen besonderen Stellenwert erhalten. Der harmonisierte zivilrechtliche Rahmen in Form der Finanzsicherheiten -Richtlinie und der Finalitäts-Richtlinie ist über 20 Jahre alt. Er muss unbedingt modernisiert und an die Geschäftsentwicklung angepasst werden.

Nur mit attraktiven, wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen werden auch
internationale Investoren ihre Gelder in die EU lenken.

Wir unterstützen zudem die Idee, das Wertpapiersparen der EU-Bürgerinnen und
Bürger zu fördern. Allerdings sollten bereits bestehende Produkte und Wertpapierdepots
genutzt werden. Dazu schlagen wir vor, Altersvorsorgedepots einzurichten und zu
fördern. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten so in die Lage versetzt werden,
eigenständig und einfach für einen langfristigen Vermögensaufbau zu sorgen. 

Auch beim Verbraucherschutz hat der europäische Gesetzgeber in den vergangenen Jahren immer kleinteiliger reguliert. Dabei brauchen wir mehr denn je eine angemessene Verbraucherpolitik. Nicht zuletzt das Beispiel der Retail Investment Strategy (RIS) zeigt, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist. 

Privatanlegerinnen und Privatanlegern den Weg zum Kapitalmarkt und zur Wertpapieranlage allein mit Fokus auf niedrige Kosten ebnen zu wollen, wird nicht funktionieren. Das gilt erst recht, wenn dies zusätzlich noch zu mehr Bürokratie und einem schrumpfenden Angebot führt.

Zahlreiche neue detaillierte Vorgaben für Wertpapierdienstleister und ein Übermaß an
Pflichtinformationen erschweren nicht nur Banken den Vertrieb von Wertpapieren, sondern
schrecken Verbraucherinnen und Verbraucher von der Vermögensanlage ab.

Diese aber ist für einen langfristigen Vermögensaufbau – auch mit Blick auf die demografischen Herausforderungen in der EU – unbedingt erforderlich, um den Lebensstandard im Alter zu sichern.

Das Beispiel RIS ist nur eines von vielen, das für überzogene Reglementierung steht. Aus unserer Sicht sollte sich eine gute Verbraucherschutzgesetzgebung an folgenden Grundprinzipien orientieren:

  • Kundinnen und Kunden brauchen Qualität statt Quantität.
    Ihnen sollten alle Informationen zur Verfügung gestellt werden, die sie benötigen, um informierte Entscheidungen zu treffen. Wenn jedoch zu viele Informationen vorliegen, sind sie oft nicht mehr in der Lage, dies ausreichend zu erfassen und zu berücksichtigen.
  • Eine individuelle Beratung sollte auf Anfrage zur Verfügung stehen, aber keine Verpflichtung sein.
    Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher sich beraten lassen wollen, sollten sie eine Beratung erhalten können, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.
  • Und last but not least: Für gleiche Dienstleistungen mit gleichen Risiken sollten gleiche Regeln gelten. 
    Das heißt: Alle Unternehmen, die Kunden substitutive oder sogar identische Bank- bzw. Finanzdienstleistungen anbieten, sollten auch identischen Anforderungen der Regulierung und der Aufsicht unterliegen.

Sustainable Finance und Klimaschutz pragmatisch voranbringen

Die EU hat in den letzten fünf Jahren einen umfangreichen Rechtsrahmen für nachhaltige Finanzierungen geschaffen. Ziel war, Nachhaltigkeitserwägungen zu einem integralen Bestandteil der Entscheidungsfindung von Unternehmen und Finanzinstituten zu machen und mehr Kapital in die Transformation zu lenken. Dabei ist ein sehr umfassendes, in Teilen unübersichtliches System entstanden, das viele Doppelungen und Inkonsistenzen aufweist.

Jetzt ist es an der Zeit, diesen Rahmen zu überprüfen und neu zu justieren.

Doch Nachhaltigkeitsregulierung darf kein Selbstzweck sein. Sie muss dem Ziel dienen, den
Klimawandel effektiv und mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu bekämpfen. Wettbewerbsfähigkeit, Konsistenz, Praktikabilität und Wirksamkeit sollten bei der Überarbeitung im Vordergrund stehen.

Im Ergebnis brauchen wir einen schlankeren regulatorischen Rahmen, der den Fokus auf das
„Grüner werden“ legt.

Banken sollten nicht nur bereits „grüne“ Unternehmen finanzieren, sondern die Transformation
der Wirtschaft tatsächlich aktiv begleiten können. Die EU-Taxonomie ist bislang nicht auf „Transition Finance“ ausgelegt und bietet keine wirksame Steuerungsmöglichkeit. Ein eigenständiges, prinzipienbasiertes Rahmenwerk für Transition Finance mit Ausgestaltung von Transitions-Plänen wäre angebracht. Es sollte nicht das Ziel sein, alles im Detail regulieren zu wollen.

Vorteil

Anstatt punktuell zu bewerten, was heute bereits nachhaltig ist, geht es darum, eine
Dynamik hin zu mehr Nachhaltigkeit zu entwickeln und die umfassende Betrachtung
ganzer Wirtschaftssektoren zu ermöglichen. Noch wichtiger: Es bezieht auch Unternehmen
mit ein, die heute viel CO2 emittieren, und unterstützt diese beim nachhaltigen Umbau ihrer
Geschäftsmodelle, zum Beispiel auf Basis von wissenschaftlich fundierten Übergangsplänen.

Erforderliche ESG-Daten sollten außerdem leicht zugänglich sein. Die Vollendung des
European Single Access Point (ESAP) ist hierbei entscheidend. Ein EU Energy Performance
Certificates Register sowie Daten/Karten über physikalische Risiken sind ebenfalls erforderlich.

Zusätzlich müssen wir positive Anreize für Unternehmen schaffen. Langfristige
Anreize wie Steuererleichterungen und einfache Fördermaßnahmen sind wichtig,
um Unternehmen zur Integration von Nachhaltigkeit zu motivieren.

Zudem darf die Kundenberatung für die Anlage in nachhaltige Produkte nicht so unverständlich
ausgestaltet sein, dass Kundinnen und Kunden davon Abstand nehmen. Eine Reduzierung des
Produktuniversums für die Anlage sowie eine zu breite Definition von Greenwashing stünden
der Transformation unserer Wirtschaft ebenfalls entgegen.

Für die europäische Souveränität und Resilienz in der digitalen Ära wird es von entscheidender Bedeutung sein, innovative Ökosysteme zu schaffen - etwa beim digitalen Euro oder der elektronischen Identifizierung (eID). Kooperative branchenübergreifende Rahmenwerke können den europäischen Zahlungsverkehr oder auch den Datenaustausch wesentlich voranbringen.

Der europäische Zahlungsverkehrsmarkt hat innovative, sichere und effiziente Methoden
hervorgebracht. Basis war und ist das harmonisierte EU-Zahlungsrecht, das seit 2009
gilt. Das ist ein gutes Beispiel für eine sachgerechte Rollenverteilung: Banken bieten
Zahlungsprodukte an, der Gesetzgeber definiert den gesetzlichen Rahmen. Allerdings wird
inzwischen diese Rollenverteilung in Frage gestellt.

Etwa beim digitalen Euro, das als staatliches Bezahlverfahren der EZB gestaltet wird – im
Wettbewerb mit privaten Angeboten.

Ein effektives rechtliches Rahmenwerk muss wieder auf die bewährte Rollenverteilung
einschwenken. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung, um den europäischen
Zahlungsverkehr voranzubringen.

Es sollte die richtigen Anreize für Investitionen und Zusammenarbeit setzen, Innovationen
durch Marktanreize fördern und nicht durch eine vorgeschriebene Gesetzgebung sowie
durch Konflikte mit anderen politischen Zielen, wie dem Verbraucherschutz, verhindern.

Eine der Aufgaben für den EU-Gesetzgeber wird es daher sein, klare Rahmenbedingungen für
einen erfolgreichen digitalen Euro zu definieren. Zunächst müssen die Auswirkungen, insbesondere auf die Finanzmarktstabilität, umfassend betrachtet werden. Dies ist bislang nicht in ausreichendem Maße erfolgt. Die EZB sollte zudem nicht in private Geschäftsmodelle eingreifen, etwa beim Zahlungsverkehr. Die Rolle der EZB als Betreiber eines quasi-staatlichen Bezahlverfahrens greift in die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der EU-Zahlungsindustrie ein. Dieser Schritt würde zu einem Interessenkonflikt führen, da die EZB sowohl Aufseher als auch direkter Wettbewerber der Banken wäre.

Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des digitalen Euro wird auch sein, dass er einen
klaren Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger bietet. Ausschließlich ein potenzieller Nutzen für
die Zentralbanken reicht nicht aus.

Die ökonomische Tragfähigkeit für alle Akteure muss ebenso sichergestellt sein. Daher brachen
wir eine breite öffentliche Diskussion über die Einführung. Ein digitaler Euro mit vielen Mängeln
könnte auf wenig Akzeptanz stoßen, den europäischen Finanzmarkt erheblich schädigen
und das Vertrauen in die europäischen Institutionen belasten. Das darf nicht geschehen.

Gemeinsam sollten daher EZB, EU-Parlament und Kommission sowie die Finanzindustrie an der Ausgestaltung eines erfolgreichen digitalen Euro arbeiten. Wir stehen dafür bereit.

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Kerstin Altendorf

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Pressesprecherin für Nachhaltigkeit im Finanzsystem, Volkswirtschaft und Kapitalmärkte

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Ute Schmaltz

Leiterin Europa und Internationales

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