Kapitalmarkt-Schub für Deutschland: Die Lehren aus Schwedens Erfolgsmodell
Dr. Norbert Kuhn, Leiter Think Tank, Deutsches Aktieninstitut e.V.

Gibt es Vorbilder für einen Kapitalmarkt, der für alle funktioniert? In der Diskussion über eine europäische Savings and Investment Union wird Schweden zurecht als attraktives Vorbild genannt. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) hat den schwedischen Kapitalmarkt in einer gemeinsamen Studie mit der Boerse Stuttgart Group analysiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet. In unserem Gastbeitrag verdeutlicht das DAI, warum Schweden als Erfolgsmodell anzusehen ist und welche Weichenstellungen daraus für Deutschland Vorbildcharakter haben können. (Red.)
Deutschland und die EU brauchen leistungsfähige Kapitalmärkte, um Wachstumsunternehmen zu finanzieren und damit die digitale und nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu stemmen. In Bezug auf die Kapitalmärkte gibt es unter den Mitgliedstaaten der EU allerdings große Unterschiede. Während Schweden durch eine hohe Zahl von Börsengängen und börsennotierten Unternehmen besticht, blicken die großen Mitgliedstaaten Frankreich, Deutschland und Italien noch auf reichlich unausgeschöpftes Potenzial. Von 2016 bis 2023 gingen 508 schwedische Unternehmen aufs Parkett, in Frankreich, Italien und Deutschland zusammengenommen aber gerade einmal 450. Die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen in Relation zum Bruttosozialprodukt liegt in Schweden bei 169 Prozent, während Frankreich mit 128, Deutschland mit 47 und Italien mit 32 Prozent klar das Nachsehen haben.
Dieser Befund war Grund genug, um gemeinsam mit der Boerse Stuttgart Group/Nordic Growth Market den schwedischen Kapitalmarkt zu analysieren und Handlungsempfehlungen für den nationalen und europäischen Gesetzgeber abzuleiten. Das Ergebnis ist die im Frühjahr 2025 veröffentlichte Studie „Mit dem Kapitalmarkt zur Zukunftsnation. Die Erfolgsfaktoren Schwedens.“
Mit Rückenwind vom Staat: Aktienbesitz wird zur Selbstverständlichkeit
Was macht den schwedischen Kapitalmarkt so viel erfolgreicher? Der Aktienbesitz ist für die Schweden eine Selbstverständlichkeit. Im Ergebnis vermehren die Schweden nicht nur ihr Geldvermögen, sondern bauen auch ihre Altersvorsorge aus. Positiver Nebeneffekt: Über den Aktienmarkt fließen Mittel in die lokale Wirtschaft, die Innovation, Wachstum und Beschäftigung finanzieren.
Der Beginn des schwedischen Kapitalmarktwunders ist die Einführung der steuergeförderten Allemansfonder („Jedermann-Fonds“). Der Durchbruch allerdings gelang mit der Einführung der Prämienrente im Jahr 1999. Ergänzend zum Umlageverfahren muss jeder Schwede, der Steuern zahlt, in der ersten Säule der gesetzlichen Rentenversicherung fondsbasiert für das Alter vorsorgen. Der Schwerpunkt der Anlage liegt auf Aktienfonds, so dass über die Prämienrente fast jeder Schwede zum Aktiensparer wurde.
Zusätzlich führte Schweden im Jahr 2012 das sogenannte Investeringssparkonto (ISK) ein. Dabei handelt es sich um ein steuerlich gefördertes Wertpapierkonto für börsengehandelte Finanzinstrumente wie Aktien und Aktienfonds. Das ISK wird heute von mehr als jedem dritten Schweden genutzt. In der Diskussion um Anreize zum langfristigen Vermögensaufbau firmieren diese Konten unter dem Begriff Anlagesparkonto. Anlagesparkonten gibt es nicht nur in Schweden, sondern auch in zehn anderen EU-Mitgliedstaaten, etwa in Frankreich (Plan d’épargne en actions) oder in Italien (Piani Individuali di risparmio). Die EU-Kommission arbeitet derzeit an Empfehlungen, besser jedoch wäre eine Selbstverpflichtung aller EU-Länder inklusive Deutschland, ein solches Anlagesparkonto einzuführen.
Altersvorsorge in Deutschland: Mehr Mut zu Aktien
Anders als in Schweden werden in Deutschland in allen drei Säulen der Altersvorsorge Aktien noch zu wenig bzw. gar nicht genutzt. In der privaten Altersvorsorge will die neue Bundesregierung die Riester-Rente in ein neues Vorsorgeprodukt überführen. Entscheidend ist dabei, an das Konzept des Altersvorsorgedepots anzuknüpfen, das auf der Agenda der Ampelregierung stand und das im Ausland erfolgreich eine Altersvorsorge mit Aktien ermöglicht. Ein solches Altersvorsorgedepot bildet etwa in den USA (Individual retirement accounts) mit einem durchschnittlichen Aktienanteil von 65 Prozent die zentrale Säule der Altersvorsorge. In Frankreich sparen mit dem Plan d'épargne retraite mehr als zehn Millionen Bürger für das Alter. Der Aktienanteil in diesen Plänen beträgt im Schnitt 54 Prozent. In Deutschland wäre ein wichtiger Schritt zudem der nahtlose Übergang der geplanten Frühstartrente, bei der jedes Schulkind im Alter von 6 bis 18 Jahren monatlich 10 Euro für ein Aktiendepot vom Staat erhalten soll, in ein solches Altersvorsorgedepot.
Zu guter Letzt gilt Schweden in der EU auch deshalb als Vorbild für eine gelungene Entwicklung der Kapitalmärkte, weil das steuergeförderte ISK über den reinen Aspekt der Altersvorsorge hinausgeht. Ein solches Anlagesparkonto wäre auch in Deutschland ein idealer Hebel für den langfristigen Vermögensaufbau und die Börsenfinanzierung der hiesigen Wirtschaft.
Fazit
Der schwedische Staat hat für einen leistungsfähigen Kapitalmarkt frühzeitig die Weichen gestellt, indem er die Aktienanlage in der Altersvorsorge zu einem festen Bestandteil machte. Zugleich sparen viele Schweden mit steuergeförderten Anlagesparkonten in Aktien. Beides trägt wesentlich dazu bei, die finanzielle Situation der Menschen zu verbessern und eine Investorenbasis für schwedische Unternehmen zu schaffen. Deutschland wäre gut beraten, diesem Beispiel zu folgen und auch seinem Kapitalmarkt mehr Schwung zu verleihen – mit einer Verankerung des Aktiensparens in allen drei Säulen der Altersvorsorge und einem steuergeförderten Anlagesparkonto.

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Christian Jung
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