- Die deutsche Wirtschaft rutscht im Winter in eine Rezession. Für das kommende Jahr erwartet der Bankenverband einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 1,3 %.
- Besonders die Unsicherheit über die Energieversorgung und die Entwicklung der Energiepreise belasten den wirtschaftlichen Ausblick.
- Die Inflationsrate wird voraussichtlich in den kommenden Monaten ihren Höhepunkt erreichen. Für den Jahresdurchschnitt 2023 prognostiziert der Bankenverband eine Teuerungsrate von 6,2 % in Deutschland.
Gravierende Belastungsfaktoren für die Weltwirtschaft
Die Dynamik der Weltwirtschaft hat sich seit Beginn dieses Jahres deutlich abgeschwächt. Hierfür ist eine Vielzahl an Faktoren verantwortlich. So sind die wirtschaftlichen Belastungen durch die Covid-Pandemie noch nicht vollständig überwunden. Besonders in China kommt es aufgrund der Zero-Covid-Strategie immer wieder zu umfassenden Lockdowns. Das hat weitere Lieferkettenstörungen sowie teure und knappe Frachtkapazitäten zur Folge, die immer wieder punktuell die Produktion und das Warenangebot dämpfen.
Als Folge der Pandemie und des russischen Kriegs in der Ukraine sind in vielen Regionen der Welt die Produktions- und Verbraucherpreise stark gestiegen. Das führt in vielen Staaten zu sehr deutlichen Einschnitten bei der Kaufkraft und belastet – in einem ersten Schritt – vor allem die Investitionspläne der Unternehmen. Außerdem haben die Notenbanken in vielen Wirtschaftsregionen inzwischen auf die steigenden Inflationsraten reagiert. Die spürbar anziehenden Zinsen dämpfen die wirtschaftlichen Perspektiven zusätzlich. Zudem stellen geopolitische Konflikte (u. a. China/Taiwan) ebenfalls ein Risiko für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dar.
Im vergangenen Jahr konnte die Weltwirtschaft aufgrund von pandemiebedingten Erholungseffekten kräftig wachsen (+6,1 %). In diesem Jahr wird sich das globale Wirtschaftswachstum jedoch halbieren. Mit knapp 3 % wird es außerdem fast
einen Prozentpunkt unter dem vor der Pandemie erreichten Wachstumstrend liegen.
Die Aussichten für das kommende Jahr sind mit hoher Unsicherheit belastet. Zwar wird in einzelnen Ländern für das Jahr 2023 ein spürbarer Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung befürchtet. Die Weltwirtschaft als Ganze sollte allerdings nicht in eine Rezession rutschen.
Gleichwohl flacht sich das globale Wachstum 2023 noch einmal leicht, auf eine Rate von rund 2 ½ %, ab. Sieht man von den Rezessionen 2009 (Finanzkrise) und 2020 (Pandemie) ab, wäre dies die niedrigste Wachstumsrate der Weltwirtschaft in den letzten beiden Dekaden.
Grafik Wirtschaftswachstum weltweit
Konjunktur im Euroraum gerät in schwieriges Fahrwasser
Die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum war im ersten Halbjahr 2022 überraschend kräftig. Das Ende der Corona-Beschränkungen hatte besonders in Ländern mit einem großen Tourismussektor im zweiten Quartal zu kräftigen Wachstumsraten geführt. Die gesamtwirtschaftliche Leistung des Euroraums wuchs mit Quartalsraten von 0,7 % bzw. 0,8 %.
In den kommenden Monaten wird sich die wirtschaftliche Lage für den Euroraum jedoch deutlich eintrüben. Der starke Kaufkraftverlust, drohende Versorgungsengpässe und steigende Zinsen werden die wirtschaftlichen Aktivitäten spürbar bremsen. Im Winterhalbjahr 2022/23 dürfte das Bruttoinlandsprodukt in mehreren Eurostaaten sinken. Auch für den Euroraum insgesamt erwarten wir, dass das Wirtschaftswachstum nicht über die Nulllinie herauskommt.
Eine wirtschaftliche Stütze sollten in dieser Phase allerdings die Ausgaben im Rahmen des Aufbaufonds NextGenerationEU sein. Außerdem dürfte die Arbeitsmarktentwicklung in den meisten Eurostaaten robust bleiben.
Gleichwohl wird es voraussichtlich nicht zu einer schnellen wirtschaftlichen Wiederbelebung im Verlauf des kommenden Jahres kommen. Das liegt vor allem daran, dass der Euroraum – im Unterschied bspw. zu den USA – stärker und länger mit den Energiepreiseffekten zu kämpfen haben wird.
Nach einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von rund 3 % in diesem Jahr (zwei Prozentpunkte dieser Rate beruhen auf dem statistischen Überhang aus dem Jahr 2021) prognostizieren wir für den Jahresdurchschnitt 2023 eine Stagnation.
Inflation weiterhin deutlich über 2%-Ziel der EZB
Die Inflation im Euroraum hat ihren Höhepunkt derzeit noch nicht erreicht. Im Herbst wird die jährliche Teuerungsrate weiter steigen. Für den Jahresdurchschnitt 2022 prognostizieren wir im Euroraum inzwischen eine Inflationsrate von 8,3 %. Im Verlauf des kommenden Jahres sollte die Inflation allmählich wieder sinken. Hierzu werden voraussichtlich auch gezielte staatliche Unterstützungsmaßnahmen beitragen.
Wegen des aktuell vor allem angebotsseitig geprägten Preisanstiegs wird auch der absehbare Nachfragerückgang im Abschwung die Inflationsrate zunächst nur langsam drücken. Die Preisgestaltungsmöglichkeiten der Unternehmen nach unten sind eng begrenzt.
Für den Jahresdurchschnitt 2023 erwarten wir in der Währungsunion eine Inflationsrate von 5,9 %. Die Kernrate wird mit 3,9 % in etwa auf der diesjährigen Rate (4,0 %) verharren.
Grafik Inflationsrate im Euroraum
EZB setzt deutliche Signale
Die beiden großen Zinsschritte der EZB im Juli und September waren deutliche Signale. Für die kommenden Ratssitzungen werden weitere Zinssteigerungen erwartet. Zum Jahresende könnte der Leitzins (Hauptrefinanzierungszins) der EZB bei 2,25 % bis 2,5 % liegen. Anfang des kommenden Jahres sollte sich abzeichnen, dass die Inflationsrate im Euroraum ihren Höhepunkt erreicht hat. Spätestens dann wird das Tempo der Zinsstraffungen voraussichtlich gedrosselt werden.
Mittel- bis längerfristig gehört auch eine deutliche Reduktion der Überschussliquidität zur „Normalisierung“ der Geldpolitik dazu. Die hohe Überschussliquidität hat derzeit allerdings keinen besonders großen Einfluss auf die Inflationsentwicklung und die Preisrisiken. Die in der EZB-Bilanz fällig werdenden Anleihen werden für längere Zeit noch reinvestiert. Ein aktiver Verkauf von Anleihen aus dem Bestand der EZB ist derzeit nicht abzusehen.
Deutsche Wirtschaft rutscht im Winter in eine Rezession
Die Perspektiven für die deutsche Wirtschaft haben sich ebenfalls deutlich eingetrübt. Aktuell dürfte die deutsche Wirtschaft am Beginn einer Rezession stehen.
Wie gravierend und langwierig der Rückgang der Wirtschaftsleistung ausfallen wird, hängt auch maßgeblich von der Entwicklung der Energieversorgung und -preise ab.
Die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise haben zu einem enormen Kostenschub für die Unternehmen geführt. Die hohen Inflationsraten drücken die Kaufkraft der Verbraucher. Zudem bestehen weitere Abwärtsrisiken für die wirtschaftliche Entwicklung: Eine Energierationierung im Winter oder die Zuspitzung geopolitischer Konflikte (u. a. China/Taiwan) würde zu einem deutlich stärkeren Rückgang der Wirtschaftsleistung führen. Und auch der Arbeitskräftemangel und weiterhin gestörte Produktions- und Lieferketten dürften die Unternehmen zusätzlich belasten.
Aus heutiger Sicht ist im Winter (Q3/22 bis einschließlich Q2/23) ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland zu erwarten. Ab dem zweiten Halbjahr 2023 könnte sich die deutsche Wirtschaft aufgrund des robusten Arbeitsmarktes, einer abflauenden Inflation und gezielter staatlicher Hilfen allmählich erholen.
Grafik Wirtschaftswachstum in Deutschland
Diese Erholung wird allerdings zunächst voraussichtlich keine große Dynamik entwickeln. Der entscheidende Faktor für eine mögliche konjunkturelle Wiederbelebung im kommenden Jahr wird die allgemeine Preisentwicklung, insbesondere die Energiepreisentwicklung sein. Gelingt es nicht, die aktuell immer noch nach oben gerichtete Entwicklung zu brechen, müssten die Aussichten auf eine konjunkturelle Wiederbelebung im kommenden Jahr noch weiter nach hinten geschoben werden. Für den Jahresdurchschnitt 2023 erwarten wir aus heutiger Sicht einen BIP-Rückgang von -1,3 %.
Insgesamt steht die deutsche Volkswirtschaft vor einer Vielzahl an strukturellen Herausforderungen. Es besteht ein großer Investitionsbedarf bei der nachhaltigen und digitalen Transformation der Wirtschaft. Hinzu kommen demografische Probleme, die große wirtschaftliche Abhängigkeit von China sowie die Notwendigkeit, grenzüberschreitende Produktions- und Lieferketten neu zu justieren. Um eine längerfristige Schwächephase zu vermeiden, sollten jetzt Anreize und günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die notwendigen Investitionen zu ermöglichen. Hierzu zählen unter anderem beschleunigte Genehmigungs- und Planungsverfahren, eine digitale Verwaltung, eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung sowie die Modernisierung der Infrastruktur.
Position des Bankenverbandes
- Die deutsche Wirtschaft befindet sich am Anfang einer Rezession. Die wirtschaftliche Erholung im kommenden Jahr wird entscheidend von der Preisentwicklung, insbesondere den Energiepreisen abhängen.
- Es ist gut, wenn die EZB auch weiterhin ihre Entschlossenheit demonstriert und sich in den kommenden Monaten vor allem darauf konzentriert, die mittelfristigen Inflationserwartungen einzudämmen. Hierfür sind weitere Zinsschritte notwendig.
- Um die aktuelle Energiekrise zu überwinden, braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaftspolitik, Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Banken. Dabei sind aber vor allem Investitionen in eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung notwendig.
- Für die notwendigen Investitionen, insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Resilienz, sollten Anreize und günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Prognoseübersicht
Deutschland
Prognose | |||
---|---|---|---|
2021 | 2022 | 2023 | |
Bruttoinlandsprodukt 1) | +2,6 | +1,4 | -1,3 |
Konsumausgaben priv. Haushalte 1) | +0,4 | +3,3 | -1,2 |
Konsumausgaben des Staates 1) | +3,8 | +2,0 | +2,0 |
Ausrüstungsinvestitionen 1) | +3,5 | +1,2 | +0,5 |
Bauinvestitionen 1) | +0,0 | +0,2 | +0,0 |
Exporte 1) | +9,7 | +1,9 | +1,2 |
Importe 1) | +9,0 | +5,9 | +2,9 |
Entwicklung der Verbraucherpreise 2) | +3,1 | +8,0 | +6,2 |
Zahl der Arbeitslosen (Millionen) | 2,61 | 2,42 | 2,53 |
Sparquote der priv. Haushalte | 15,1 | 10,5 | 9,2 |
Euro-Raum
Prognose | |||
---|---|---|---|
2021 | 2022 | 2023 | |
Bruttoinlandsprodukt 1) | +5,2 | +3,0 | 0 |
Entwicklung der Verbraucherpreise (HVPI) 2) | +2,6 | +8,3 | +5,9 |
Kernrate 2) | +1,5 | +4,0 | +3,9 |
Arbeitslosenquote | 7,7 | 6,7 | 7,0 |
Finanzmärkte und Rohstoffe
Prognose | |||
---|---|---|---|
21. September 2022 | 2022 | 2023 | |
USD/EUR | 0,99 | 1,00 | 1,08 |
Rendite Staatsanleihen Deutschl. (10 J.) | 1,86 | 1,85 | 1,95 |
Ölpreis (USD/Barrel) | 93,20 | 95,00 | 90,00 |
1) Reale Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr.
2) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr im Jahresdurchschnitt.
Die Konjunkturprognose des Bankenverbands wird halbjährlich durchgeführt und beruht auf einer Umfrage unter den 15 Chefvolkswirten von privaten Banken, die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bankenverbands sind. Diese Mitglieder sind:
Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt, Berenberg, und Ausschussvorsitzender
Dr. Klaus Bauknecht, Chefvolkswirt, IKB Deutsche Industriebank
Daniel Bleiberg, Chefvolkswirt, Deutsche Pfandbriefbank
Dr. Jan Bottermann, Chefvolkswirt, National-Bank
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt, ING-DiBa
Dr. Felix Hüfner, Chefvolkswirt Deutschland, UBS Europe
Carsten Klude, Chefvolkswirt, M.M. Warburg
Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt, Commerzbank
Dr. Alexander Krüger, Chefvolkswirt, Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank
Carsten Mumm, Chefvolkswirt, Donner & Reuschel
Dr. Andreas Rees, Chefvolkswirt Deutschland, Unicredit Bank
Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt, Hamburg Commercial Bank
Stefan Schilbe, Chefvolkswirt, HSBC Trinkaus & Burkhardt
Stefan Schneider, Chief German Economist, Head of German Macroeconomics, Deutsche Bank
Dr. Dirk Schumacher, Senior European Economist and Managing Director, Natixis Zweigniederlassung Deutschland
Dr. Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer, Bankenverband
Henriette Peucker, Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers, Bankenverband
Volker Hofmann, Leiter Volkswirtschaft, Bankenverband