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UnternehmensfinanzierungInflation

Der Inflation Reduction Act als Weckruf für die EU

08.07.2023Artikel
Phillip Lang
Dr. Hendrik Hartenstein
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Im August 2022 verabschiedeten die USA den Inflation Reduction Act (IRA), eines der umfangreichsten Gesetzespakete in der jüngeren Geschichte der US-Wirtschafts- und Finanzpolitik. Angesichts der polarisierten US-Politik war die Einigung über den Umfang und die Zielsetzung durchaus eine positive Überraschung. Während die Demokraten die notwendigen Finanzmittel für die Transformation der US-Wirtschaft erhielten, konnten die Republikaner das Prinzip „Buy American“ durchsetzen. Das Ergebnis sind umfangreiche Maßnahmen, die weit über die Bekämpfung der Inflation hinausgehen und Europa unter Zugzwang setzen. Denn insbesondere die „Local-Content“-Vorschriften haben auf europäischer Seite für große Irritationen in den transatlantischen Beziehungen gesorgt.

Worum geht es beim Inflation Reduction Act in den USA?

Der IRA besteht aus mehreren Gesetzespaketen und umfasst eine Unternehmenssteuerreform, eine Gesundheitsreform sowie Subventionen und Investitionen in den Klimaschutz. Für den Klimaschutz stehen insgesamt 369 Mrd. US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren zur Verfügung, die hauptsächlich durch Steuergutschriften genutzt werden können. Schätzungen des US-Kongresses zufolge werden die staatlichen Förderprogramme vor allem in Form von Steuergutschriften unter anderem in folgende Bereiche fließen:

  • 127 Mrd. US-Dollar für den Ausbau erneuerbarer Energien
  • 37 Mrd. US-Dollar für den Aufbau grüner Industrien
  • 13 Mrd. US-Dollar für die Wasserstoffproduktion
  • 12,5 Mrd. US-Dollar zur Förderung von Elektrofahrzeugen 

Die genannten Beträge können variieren und stellen keinen Höchstbetrag dar. Mit dem IRA machen die USA damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität. Das Ziel dieser öffentlichen Fördermittel ist es, private Investitionen in klimafreundliche Technologien auszulösen, die sich in etwa in Höhe von geschätzten 3,5 Billionen US-Dollar bewegen. Viele dieser Investitionen werden dabei auch von deutschen und europäischen Unternehmen vorgenommen werden. Die Kombination aus bereits vorhandenen Standortvorteilen wie günstiger Energie sowie mittelfristiger Planungssicherheit durch klare Förderbedingungen und garantierte Preise bei der Produktion erneuerbarer Energien stellt einen entscheidenden Faktor bei Investitionsentscheidungen von Unternehmen dar. Hinzu kommen die „Local-Content“-Anforderungen, insbesondere im Bereich der Elektromobilität, die derzeit europäische Hersteller benachteiligen. US-amerikanische Verbraucher erhalten beispielsweise eine Elektroauto-Gutschrift von insgesamt 7.500 US-Dollar, wenn die Endmontage in Nordamerika erfolgt und mindestens 50 % der Batteriekomponenten in Nordamerika hergestellt oder zusammengebaut wurden. Diese Mischung aus attraktiven Förderbedingungen und protektionistischen Elementen hat in Europa Befürchtungen vor Industrieabwanderung und Wettbewerbsnachteilen ausgelöst.   

Wie soll die Reaktion der EU lauten?

Durch den IRA ist das Thema „Standortpolitik“ verstärkt in den Fokus gerückt, in Deutschland und in der gesamten EU. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht zu gefährden, ist ein entschlossenes Vorgehen notwendig. Hierzu sollten folgende Aspekte als Leitlinien dienen:

  • Europa sollte nicht der Subventionsverlockung erlegen. Es darf weder zu einem Subventionswettlauf zwischen den europäischen Mitgliedstaaten noch zu einem zwischen der EU und den USA kommen. Die EU verfügt über ausreichende Finanzmittel durch ihre Krisen- und Transformationsfonds, jedoch werden diese aufgrund langwieriger Beantragungs- und Genehmigungsverfahren nicht vollständig genutzt. Mit dem „Net Zero Industry Act“ hat die Europäische Kommission hier bereits Verbesserungen angekündigt.
  • Die europäische Kapitalmarktunion muss weiter vorangetrieben werden. Eine EU mit 27 Rechtsgebieten stellt für inner- und außereuropäische Investoren häufig ein Hindernis dar. Bisherige Gesetzesvorschläge der EU-Kommission zielen grundsätzlich darauf ab, den EU-Kapitalmarkt für Emittenten und Investoren attraktiver zu gestalten. Aktuell gilt es, den EU-Rechtsrahmen für Verbriefungen zu verbessern. Darüber hinaus bedarf es weitgehender Reformen zur Stärkung der Kapitalmärkte, um mehr ausländische Investitionen anzuziehen.
  • Im Bereich Sustainable Finance ist ein konsistenter und handhabbarer regulatorischer Rahmen erforderlich, der Wettbewerbsverzerrungen durch Überregulierung, Fragmentierung oder hohe bürokratische Aufwände vermeidet. Da die Transformation der Wirtschaft ein kontinuierlicher Prozess ist, stößt die binäre EU-Taxonomie hier an ihre Grenze. Es ist wichtig, den Fokus verstärkt auf „Transition Finance“ zu legen und hierzu ein prinzipiengeleitetes Rahmenwerk zu schaffen, das sich nicht im Klein-Klein verliert. Dies hilft, die gesamte Wirtschaft bei der Transformation miteinzubeziehen, ohne den bürokratischen Aufwand signifikant zu erhöhen.
  • Die EU/US-Verhandlungen im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) sollten ausgeweitet werden. Mit einem Handelsvolumen von über 1,55 Billionen Euro (2022) sind die EU und die USA die am stärksten integrierten Wirtschaftsräume der Welt. Der US-Markt bleibt damit für Deutschland und die EU unverzichtbar. Allerdings wird ein umfassendes Handelsabkommen zwischen den USA und der EU in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht zustande kommen. Daher ist der Ansatz der Europäischen Kommission, zunächst in Teilbereichen eine engere Zusammenarbeit und gemeinsame Standards zu etablieren, richtig. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Regionen müssen weiter gestärkt und die Märkte weiter integriert werden. Dabei sollten auch die Bereiche Digital Finance und Sustainable Finance – vor allem im Rahmen der Transatlantic Initiative on Sustainable Trade (TIST) – stärker berücksichtigt werden.

Beim Vergleich der USA und EU werden zunehmend die Unterschiede in den Politikansätze im Zusammenhang mit der Wirtschaftstransformation und Nachhaltigkeit sichtbar: Einerseits der stark auf positive Anreize setzende Ansatz in den USA, der mit Subventionen und dem Motto „fördern statt fordern“ arbeitet. Auf der anderen Seite steht der maßregelnde Ansatz der EU, der unter anderem darauf abzielt, die externen Kosten des CO2-Verbrauchs zu internalisieren. In vielen Bereichen geht dies allerdings mit einer Detailregulierung einher, die trotz des Aufwands, den sie verursacht, nicht unbedingt zielführend im Sinne des Klimaschutzes ist.

Der IRA ist ein weiterer Weckruf für die EU, ihre Wirtschafts-, Finanz- und Handelspolitik stärker auf ihre eigenen Transformationsziele auszurichten. Allein für die Bereiche Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden laut Berechnungen der Europäischen Kommission zusätzliche Investitionen in Höhe von 520 Mrd. Euro jährlich benötigt. Um diese Summe zu stemmen, bedarf es großer Volumen an privatem Kapital. Die EU-weiten Regeln und Rahmenbedingungen müssen insgesamt zu mehr und nicht zu weniger privaten Investitionen führen. Neben der aktuell hohen wirtschaftlichen Unsicherheit gibt es eine lange und auch seit langem bekannte Liste bestehender Hürden: langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine mangelhafte öffentliche und vor allem digitale Infrastruktur, Fach- und Arbeitskräftemangel, etc. Es ist daher richtig, dass auch die Bundesregierung Maßnahmen ergreift, um Bürokratie abzubauen und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Die Geschwindigkeit bei der Inbetriebnahme der LNG-Terminals ist dabei ein positives Beispiel und sollte ein Leuchtturm für künftige Vorhaben sein. Die teilweise berechtigten Kritikpunkte am IRA dürfen daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU und Deutschland viele strukturelle Probleme hierzulande dringend selbst angehen müssen.  

Gemeinsam mit BDI, BGA und DIHK haben wir im Rahmen der Transatlantic Business Initiative (TBI) zu diesem Thema ebenfalls ein Positionspapier veröffentlicht.