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Herkenhoff: Smarte Regulierung für eine erfolgreiche Transformation

20.09.2023Artikel
Heiner Herkenhoff
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Gastbeitrag von Bankenverband-Hauptgeschäftsführer Heiner Herkenhoff, erschienen im Handelsblatt Journal zum Bankengipfel am 20.09.2023.

Ein halbes Jahr liegen die Turbulenzen rund um das US-amerikanische Bankensystem inzwischen zurück. Aus den damaligen Ereignissen lässt sich trotz aller Dramatik eine europäische Erfolgsgeschichte herauslesen. Denn abgesehen vom Sonderfall Credit Suisse hat sich das europäische Bankensystem in einer kritischen Lage als überaus stabil erwiesen, das Regulierungssystem als wirksam. 

Damit ist offenkundig, dass die Anstrengungen von Banken und Regelsetzern nach 2008/09 gefruchtet haben und ein deutlicher Zugewinn an Stabilität und Sicherheit im europäischen Finanzwesen erzielt werden konnte. Das ist ein Erfolg, auf den wir stolz sein können, der alle Beteiligten aber auch weiterhin in die Pflicht nimmt. 

Bürokratie abbauen

Und doch kann „Sicherheit“ nicht das dominierende regulatorische Leitmotiv der kommenden Jahre sein. Dies  gilt erst recht, wenn wir die Perspektive über den Bankensektor hinaus erweitern und auf die wirtschaftlichen Großbaustellen der kommenden Jahre und Jahrzehnte schauen. 

Um den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität, digitaler Zukunft und größerer Widerstandsfähigkeit zu meistern, ist ein echter Aufbruch notwendig. Sicherheit, die um den Preis von mehr Bürokratie und weniger Wettbewerbskraft erkauft wird, kann uns bei der Bewältigung dieser Herausforderung hingegen nicht weiterhelfen.

Bürokratie und umständliche Regeln produzieren Europa und Deutschland zur Genüge. Und nicht immer ist der eigentliche Nutzen, der hinter diesen Regeln stehen soll, klar erkennbar. Auch in der Finanzmarktregulierung gibt es hierfür zahlreiche Beispiele. Gerade im Bereich Sustainable Finance läuft Europa Gefahr, durch eine zu detaillierte Regulierung die vorhandene Marktdynamik zu bremsen und die Transformation zu verlangsamen. Insgesamt werfen aufwendige und komplizierte Prüf-, Melde- und sonstige Auflagen unnötigen Sand ins Getriebe und schwächen die Ertragskraft des  europäischen Finanzsektors. 

Transformation finanzieren

Man kann es nicht oft genug sagen: Ein wettbewerbsfähiger Bankensektor ist kein „Nice to have“, sondern eine zwingende Voraussetzung dafür, dass wir die große Transformation finanzieren können. Nur profitable und starke Banken sind imstande, die gewaltigen Beträge zur Verfügung zu stellen, die Jahr für Jahr anfallen und vom Kreditsektor an die Wirtschaft weitergereicht werden müssen. Im Grunde ist dieser Zusammenhang fast schon trivial. Und doch ist immer wieder erstaunlich, wie wenig er in der politischen Diskussion, aber auch in der Gesetzgebung zum Tragen kommt.

Nein, das Regulierungsrad soll nicht zurückgedreht werden, und ja, gegenwärtig ist die Kreditnachfrage der Unternehmen verhalten, was wesentlich mit den ungewissen wirtschaftlichen Aussichten zu tun hat. Doch am massiven Kapitalbedarf der Wirtschaft ändert dies nichts. Eine smarte Regulierung, die die Banken von unnötigem Aufwand befreit und Kapitalanforderungen nicht weiter hochschraubt, würde für beides sorgen: dafür, dass starke Banken diesen Kapitalbedarf decken können. Und dafür, dass die Stabilität des Finanzmarkts nicht in Frage gestellt wird. 

Kapitalmarkt weiterentwickeln

Dabei ist klar, dass die Finanzierung der Transformation nicht allein über die Banken laufen wird. Neben der unumgänglichen öffentlichen Förderung benötigen wir auch – dringender als je zuvor – einen tiefen, effizienten und wettbewerbsfähigen europäischen Kapitalmarkt, der die Finanzierung von großen Investitionsprojekten deutlich erleichtern würde. 

Leider gleicht die europäische Kapitalmarktunion noch immer einer Baustelle, auf der mal hier, mal dort gewerkelt wird, auf der das Haus aus dem Rohbaustadium aber kaum herauskommt. Es gehört zu den großen Versäumnissen der europäischen Politik, dass sie der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Kapitalmarkts bislang keine größere Bedeutung beigemessen hat. 

Deutschland und Europa stehen vor wegweisenden Jahren, in denen die Weichen für eine nachhaltige Zukunft gestellt werden müssen. Auch wenn man nicht in den Chor derjenigen einstimmen will, die das Ende des deutschen Wirtschaftsmodells und die Marginalisierung Europas vorhersagen, kann die Schwere und Komplexität der Herausforderungen bisweilen einschüchtern. Doch umso mehr gilt es nun, alle Kräfte zu mobilisieren. Mehr Mut und Wettbewerbsgeist auf der einen, weniger Risikoscheu und Detailregulierung auf der anderen Seite sollten dabei die europäische Politik antreiben. Auch der Finanzsektor wird dann seinen bestmöglichen Beitrag für das Gelingen der Transformation leisten können.