Fast 20 Jahre ist es inzwischen her, dass im Juli 2002 die europäische IAS-Verordnung verabschiedet wurde und die Konzernberichterstattung in Europa erheblich veränderte. Mit Inkrafttreten der Verordnung wurden kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen in der EU dazu verpflichtet, ihre Konzern-Finanzberichte gemäß den internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS (International Financial Reporting Standards) aufzustellen und zu veröffentlichen. Den hiervon betroffenen Unternehmen bringt dies erhebliche Vorteile, schließlich ist die Anwendung der IFRS gleichbedeutend mit einer Eintrittskarte für die internationalen Kapitalmärkte. Obendrein verbessert sie die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Abschlüsse und trägt zu einer stärkeren Angleichung von interner und externer Rechnungslegung bei.
Keine befreiende Wirkung beim Einzelabschluss
Haken an der Sache: Diese Vorteile können von Unternehmen in Deutschland nicht vollständig ausgenutzt werden, denn während die internationalen Standards für den Konzernabschluss verpflichtend sind, dürfen sie im Einzelabschluss nicht befreiend angewandt werden. Im Klartext bedeutet dies: Ein Unternehmen darf zwar einen Einzelabschluss auf IFRS-Basis erstellen und veröffentlichen. Dieser Abschluss hat jedoch keine befreiende Wirkung, d.h., er entbindet das Unternehmen nicht von der Pflicht, (zusätzlich) einen Einzelabschluss nach den nationalen Rechnungslegungsvorschriften des HGB aufzustellen. Da es jedoch mit hohem Aufwand verbunden ist, sowohl einen HGB-Abschluss als auch einen IFRS-Abschluss zu erstellen, hat die Option eines zusätzlichen „freiwilligen“ IFRS-Abschlusses in der Praxis keinerlei Bedeutung erlangt.
Das ist bedauerlich, denn eine einheitliche Rechnungslegungsbasis sowohl im Konzern- als auch im Einzelabschluss könnte die Transparenz der Rechnungslegung erheblich verbessern und damit das Anlegervertrauen stärken. Ein weiterer Vorteil wäre, dass es einen weitestgehenden Gleichlauf von interner Steuerung und handelsrechtlicher Rechnungslegung gäbe. Nicht unterschätzt werden sollte auch das beträchtliche Kosteneinsparungspotential (Stichwort: Bürokratiekostenabbau) für IFRS-rechnungslegungspflichtige Unternehmen.
Steuer- und Handelsbilanz
Ein Grund, der häufig gegen einen befreienden IFRS-Einzelabschluss angeführt wird, ist die Steuer- und Ausschüttungsbemessung, die an den HGB-Abschluss geknüpft ist. Bei einem Verzicht auf den HGB-Abschluss würde sich nämlich die Frage stellen, auf welcher Basis der Steuer- und Ausschüttungsbetrag gerechnet werden könnte. Hier gilt es allerdings festzustellen, dass HGB-Abschluss und Steuerbilanz im Laufe der Zeit auseinandergedriftet und nur noch in Ausnahmefällen identisch sind. So unterscheiden sich beispielsweise die steuerlichen und die handelsrechtlichen Vorgaben für die Bemessung von Rückstellungen (z.B. Drohverlustrückstellungen, Pensionsrückstellungen) teilweise erheblich. Im Zuge der letzten großen Bilanzrechtsreform in Deutschland ist das Prinzip der sogenannten umgekehrten Maßgeblichkeit entfallen, was die Differenzen zwischen Steuer- und Handelsbilanz noch einmal vergrößert hat.
Wenn aber so oder so zahlreiche Anpassungen vorgenommen werden müssen, könnte eine Überleitung der Handelsbilanz auf die Steuerbilanz genauso gut mit einer IFRS-Bilanz als „starting point“ erfolgen. Zwar wird oftmals die Sorge geäußert, dass eine IFRS-Bilanzierung zu hohe Ausschüttungen zur Folge haben könnte. Mit entsprechenden Ausschüttungssperren oder einem Solvenztest könnte dieser Gefahr jedoch wirksam begegnet werden.
Andere europäische Länder
Ohne Zweifel: Soll die Steuer- und Ausschüttungsbemessung auf Grundlage einer IFRS-Bilanz erfolgen, müssten die Anpassungsregeln neu justiert und ausgerichtet werden. Dies ist aus unserer Sicht aber lösbar, wie Beispiele aus anderen EU-Ländern zeigen. Vergessen wir nicht: Die europäische IAS-Verordnung sieht bezüglich der IFRS-Anwendung im Einzelabschluss ein Wahlrecht vor. Dieses Wahlrecht wurde von zahlreichen Mitgliedstaaten bereits umgesetzt. So gestatten beispielsweise die Niederlande, Luxemburg, Polen oder Irland die Aufstellung eines IFRS-Einzelabschlusses. Einige Staaten haben IFRS sogar zur Pflicht im Einzelabschluss erklärt. Hierzu zählen u.a. Griechenland, Estland, Kroatien und Ungarn. Weiter gibt es Staaten, die einen IFRS-Einzelabschluss nur für Kreditinstitute verpflichtend vorschreiben, wie Italien, Portugal, Rumänien und Norwegen.
All dies spricht aus unserer Sicht eine eindeutige Sprache: Auch in Deutschland muss die Möglichkeit für einen befreienden IFRS-Einzelabschluss geschaffen werden. Dies würde nicht nur den einzelnen Unternehmen helfen, sondern auch den Finanzplatz Deutschland stärken und die Standortattraktivität für ausländische Unternehmen und Banken steigern. Die Zeit ist reif!