Der digitale Euro ist keine Antwort auf US-Stablecoins
Seit Meta (ehemals Facebook) im Jahr 2019 mit „Libra“ einen eigenen Stablecoin ankündigte, wächst in Europa die Sorge vor einem zunehmenden Einfluss außereuropäischer, privatwirtschaftlicher Geldinnovationen. Neben der Befürchtung negativer geopolitischer Auswirkungen rücken auch Risiken für die Finanzmarktstabilität in den Fokus. Obwohl Metas Projekt nie umgesetzt wurde, hat sich ein dynamisch wachsender Markt für Stablecoins etabliert. Heute dominieren US-Dollar-basierte Stablecoins diesen Markt deutlich. Insbesondere Tether (USDT) und Circle (USDC) vereinen gemeinsam rund 85 % des weltweiten Stablecoinvolumens auf sich.
Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird. Zum einen setzt die Executive Order 14178 vom 23. Januar dieses Jahres die Arbeiten an staatlichem digitalem Zentralbankgeld in den USA aus und stärkt damit den privatwirtschaftlichen Sektor als zentralen Innovationstreiber im Bereich digitaler Geldformen. Zum anderen schafft der im Sommer verabschiedete GENIUS Act erstmals einen landesweit einheitlichen Rechtsrahmen für Stablecoins in den Vereinigten Staaten. Dies erhöht die Rechtssicherheit für Anbieter, stärkt das Vertrauen der Nutzer und dürfte zusätzliche Investitionen sowie eine weitere Beschleunigung der Innovationsdynamik nach sich ziehen.
Diese Entwicklung unterstreicht das Innovations- und Wachstumspotenzial tokenisierter Geldformen und erhöht zugleich den Druck auf Europa, technologisch und politisch Schritt zu halten. In diesem Zusammenhang suggeriert die Europäische Zentralbank in mehreren öffentlichen Aussagen, dass der digitale Euro eine wesentliche Antwort auf die zunehmende Bedeutung außereuropäischer Stablecoins darstelle:
„The digital euro is also an effective tool to limit the dominance of foreign digital currencies, including the monetary sovereignty risks created by widely-adopted foreign-currency stablecoins.“ (Philip R. Lane, Member of the Executive Board of the ECB , March 2025)
“[…] the digital euro would limit the likelihood of foreign currency stablecoins becoming widely used for retail payments within the euro area.” (Piero Cipollone, Member of the Executive Board of the ECB, May 2025)
Diese Schlussfolgerung ist allerdings unzutreffend. Der digitale Euro wäre nur dann geeignet, der zunehmenden Verbreitung von USD-Stablecoins wirksam zu begegnen, wenn er ihre Nutzung überflüssig macht. Voraussetzung dafür wäre, dass der digitale Euro vergleichbare Ziele verfolgt und die gleichen Anwendungsfälle wie US-Stablecoins adressiert. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Unterschiedliche Zielsetzungen: Retail-CBDC versus Stablecoins
Der digitale Euro verfolgt ein grundlegend anderes Ziel als Stablecoins. In seiner geplanten Ausgestaltung als Retail-CBDC ist er primär als digitales Pendant des heutigen Bargelds konzipiert, das keine Gewinnerzielungsabsichten durch das Eurosystem verfolgt. Der digitale Euro soll Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Zentralbankgeld in digitaler Form sichern. Stablecoins hingegen sind kein Zentralbankgeld, sondern privatwirtschaftlich emittiertes, tokenisiertes Geld, das gezielt auf Effizienzgewinne, technologische Innovation und globale Skalierbarkeit im Zahlungsverkehr ausgerichtet ist.
Divergierende Use Cases im Zahlungsverkehr
Diese unterschiedlichen Zielsetzungen spiegeln sich unmittelbar in den jeweiligen Anwendungsfeldern wider. Der digitale Euro adressiert vor allem Zahlungsfälle, die heute bereits durch etablierte Zahlungsinfrastrukturen, insbesondere internationale Kartenschemes, bedient werden. Dazu zählen Zahlungen am Point of Sale, im E-Commerce sowie Peer-to-Peer-Transaktionen innerhalb des Euroraums. Stablecoins hingegen eröffnen ein deutlich breiteres Spektrum an Use Cases. Sie werden im Handel mit digitalen Vermögenswerten eingesetzt, dienen als zentrales Settlement-Medium in DeFi-Protokollen, also blockchainbasierten Anwendungen für Kreditvergabe, Handel und Liquiditätsbereitstellung ohne zentrale Intermediäre, ermöglichen kostengünstige grenzüberschreitende Zahlungen und fungieren in Ländern mit instabilen Währungen als Wertaufbewahrungsmittel. Darüber hinaus erlauben sie programmierbare Zahlungen, etwa für Micropayments im Internet of Things oder automatisierte Treasury- und Abwicklungsprozesse. Damit greifen Stablecoins in zentrale Funktionen bestehender Finanzarchitekturen – insbesondere Zahlungsverkehr, Settlement, Clearing und Liquiditätsmanagement – ein und stellen diese strukturell infrage.
Technologische und geografische Beschränkungen des digitalen Euros
Während Stablecoins auf offenen Blockchain-Infrastrukturen basieren, bleibt der digitale Euro technologisch begrenzt. Die Retail-Ausprägung soll nicht auf einer Blockchain beruhen, wodurch Smart-Contract-Anwendungen von vornherein ausgeschlossen sind. Gleichzeitig ist der Einsatz des digitalen Euros geografisch auf den Euroraum beschränkt; ein grenzüberschreitender Einsatz außerhalb dieses Währungsraums ist nicht vorgesehen. Der weltweit zunehmende Einfluss US-Dollar-basierter Stablecoins wird damit nicht adressiert.
Globale Reichweite von US-Stablecoins und das Risiko digitaler Dollarisierung
Diese technologischen und institutionellen Grenzen wirken sich insbesondere in einem global vernetzten Zahlungsumfeld aus. Die wachsende Nutzung von USD-Stablecoins in einem nahezu grenzenlosen digitalen Umfeld stärkt die Rolle des US-Dollars als internationale Leitwährung weiter. Der digitale Euro setzt dieser Entwicklung nichts entgegen und verpasst damit die Chance, den Euro auch über Europa hinaus als digitale Währung attraktiv zu positionieren.
Zeitliche Verzögerung des digitalen Euros gegenüber marktreifen Stablecoins
Die Entwicklung des digitalen Euros erfordert Zeit. Stablecoins sind hingegen bereits heute marktfähig und skalierbar. Selbst wenn der digitale Euro die Einsatzfelder von Stablecoins künftig abdecken könnte, wäre dies frühestens im Best-Case-Szenario ab dem Jahr 2029 realistisch. Stablecoins sind bereits im Umlauf, erfahren eine zunehmende Akzeptanz und wachsen dynamisch, sodass Tatsachen geschaffen werden, die kaum mehr reversibel sind.
Der digitale Euro bietet demnach keine substanzielle Antwort auf den stark wachsenden Einfluss außereuropäischer Stablecoins. Er unterscheidet sich von diesen sowohl technologisch als auch in seinen Anwendungsfeldern grundlegend. Wer den digitalen Euro dennoch als realistische Antwort auf US-Stablecoins deutet, erschwert damit die notwendige Debatte darüber, wie Europa tatsächlich den jüngsten Entwicklungen wirksam entgegentreten kann.
Um im globalen Wettbewerb digitaler Währungen und Finanzinnovationen bestehen zu können, bräuchte Europa zunächst ein gemeinsames strategisches Zielbild für den Zahlungsverkehr der Zukunft. Stablecoins, tokenisierte Einlagen (CBMT), Wholesale-CBDC sowie bestehende und neue konventionelle Zahlverfahren sollten dabei als komplementäre Bausteine eines integrierten Ökosystems verstanden werden. In diesem Ökosystem müssten privatwirtschaftliche Innovationen rund um die Tokenisierung von Geld gezielt gefördert werden, damit die EU auf diesem Gebiet nicht weiter ins Hintertreffen gerät.
Wichtige Impulse, wie das gelingen kann, liefert das jüngst veröffentlichte Positionspapier des Bankenverbands „Stablecoins und andere Formen tokenisierten privatwirtschaftlichen Geldes“.
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