Zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Finanzstabilität
Europa muss seine Bankenregulierung neu denken

Gastbeitrag von Dr. Hilmar Zettler in der Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht vom 1. September 2025.
Ja, es stimmt, aktuell stehen europäische Banken dank hoher Zinsmargen relativ gut da. An einem langfristigen Trend aber ändert dieser Zustand nichts: Seit der Finanzkrise 2008 sind US-amerikanische Institute strukturell profitabler und haben ihren globalen Marktanteil kontinuierlich ausgebaut. Die Marktkapitalisierung von JPMorgan Chase übersteigt die der Deutschen Bank um den Faktor 13,7! Unter den 20 größten Banken der Welt befindet sich mit Santander nur ein europäisches Institut – auf Platz 20.
Was sind die Gründe hierfür? Zunächst einmal agieren US-Banken aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke heraus. Während das US-Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2023 um rund 87 Prozent über dem Vorkrisenniveau von 2008 lag, ist die Wirtschaft in den EU-Mitgliedstaaten im gleichen Zeitraum nur um 13 Prozent gewachsen. Allerdings ziehen auch indische, australische und kanadische Banken an ihren europäischen Mitbewerbern vorbei.
Diese Entwicklung lässt im Grunde nur eine Erklärung zu: Auch die Regulierung ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, der die Ertragskraft beeinflusst – und zwar stärker noch als in anderen Branchen. Insbesondere die Eigenkapitalanforderungen und die Arbeit der Aufsichtsbehörden sind zentrale Stellschrauben für stabile und wettbewerbsfähige Banken. Doch gerade die europäische Umsetzung der nach 2008 international vereinbarten Bankenpakete gerät zunehmend zum Wettbewerbsnachteil für europäische Banken und überfordert kleine Institute.
Bei näherer Betrachtung fällt die Analyse noch unbequemer aus: Unter dem Banner der „Harmonisierung“ hat sich eine regelsetzende Eigendynamik der Fachaufsicht entwickelt, die im Hinblick auf Verhältnismäßigkeit und rechtsstaatliche Rückbindung Fragen aufwirft. Das Ergebnis ist eine überbordende Komplexität und eine zunehmend rigide Formalisierung.
Basel und das Eigenkapital
An welchen Stellschrauben müsste also gedreht werden, damit die hiesige Regulierung kein negativer Standortfaktor mehr ist? Zunächst lohnt es sich, genauer auf die Bedeutung von Kapitalanforderungen für den Finanzsektor zu schauen. Wie andere Unternehmen auch finanzieren Banken ihre Geschäfte durch Eigen- und Fremdkapital; letzteres besteht u.a. aus den Sichteinlagen ihrer Kunden. Diese werden von Banken transformiert und einer produktiven Verwendung zugeführt, was zwangsläufig Risiken mit sich bringt. Im Sinne des Einlegerschutzes und der Finanzstabilität bestimmt die Regulierung deshalb, dass Banken Eigenkapital in Abhängigkeit vom Risiko (Risk-Weighted) ihrer Mittelverwendung (Assets) vorhalten müssen. In der Haftungshierarchie steht das Eigenkapital entsprechend an erster Stelle.
Deshalb gilt: Möchte eine Bank ihr Kreditvolumen oder Risiko erhöhen, ist eine Stärkung des Eigenkapitals erforderlich – etwa dadurch, dass Gewinne thesauriert werden oder eine Kapitalerhöhung vorgenommen wird. In der Konsequenz bedeutet das zum einen, dass die Ausgestaltung der Eigenkapitalanforderungen unmittelbare Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und die Konditionen der Banken hat. Zum anderen, dass übermäßig hohe Anforderungen die Kreditvergabe hemmen können. Bankaufsichtsrecht ist somit stets ein regulatorisches Abwägen des Nutzens für die Finanzstabilität gegenüber den Folgen für die gesamtwirtschaftliche Effizienz.
Um ein „Race to the bottom“ zu verhindern, entwickeln Zentralbanken und Aufsichtsbehörden seit den 1980er Jahren im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) internationale Mindeststandards zur Kapitalausstattung. Mit dem „Basel III“-Regelwerk aus dem Jahr 2010 verarbeitete der Ausschuss Lehren aus der Krise und verschärfte die Kapitalanforderungen sowohl quantitativ als auch qualitativ. Innerhalb von nur fünf Jahren erhöhten Banken daraufhin das Kernkapital um über 60 Prozent – trotz schwieriger Ertragslage und eines komplizierten Marktumfelds. Diese rasche und substanzielle Stärkung ihrer Resilienz war ein bemerkenswerter Kraftakt der Branche und wird auch von Seiten der Banken als angemessene und richtige Entwicklung begrüßt. In der öffentlichen und medialen Wahrnehmung blieb diese Leistung jedoch weitgehend unbeachtet.
Bedrohtes Level Playing Field
Mit dem aktuellen Bankenpaket (Basel IV) wurde auf Druck der USA das Ziel ausgegeben, die Vergleichbarkeit der Berechnung von risikogewichteten Aktiva (RWAs) zu erhöhen. Basel IV forciert daher die Nutzung von Standardmodellen anstelle interner Risikomodelle (IRB). Letztere ermöglichen eine risikosensitivere Steuerung und können den regulatorischen Kapitalbedarf entsprechend verringern. Der Output Floor schreibt vor, dass RWAs aus internen Modellen mindestens 72,5 Prozent der Werte nach Standardansätzen betragen müssen.
In der EU ist Basel IV Anfang 2025 qua Änderungen der CRR in Kraft getreten. Der Output-Floor wird nun in einem Phase-In schrittweise scharfgeschaltet – wodurch die europäischen Banken laut Modellrechnungen überproportional stark belastet werden. Denn anders als US-Institute nutzen die europäischen Universalbanken in der Breite eher die eigenen, aufsichtlich genehmigten Modelle. Ursächlich für diese Entwicklung war die politische Entscheidung, Basel II flächendeckend auf alle Institute anzuwenden. Die USA hingegen staffeln die Anwendung nach Bilanzsumme („Tailoring“): Nur Banken mit über 750 Milliarden US-Dollar Bilanzsumme unterliegen dem vollen Regime.
Bis heute liegt in den USA noch kein konkreter Umsetzungsvorschlag vor. Die neue US-Regierung hat vielmehr angekündigt, Basel IV selektiv umzusetzen, das Tailoring weiter auszubauen und insbesondere die für US-Investmentbanken wichtigen Regeln zur Berechnung von Kapitalanforderungen für Marktrisiken (FRTB) stark anzupassen. Die Äußerungen des amerikanischen Finanzministers lassen nicht nur eine kritische Sicht auf Basel IV erkennen, sondern auch ein Hadern mit dem Stand der bereits umgesetzten Regulierung.
Eine Umkehr in Richtung Deregulierung scheint vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen. Eine ungleiche Entwicklung zwischen den USA und Europa aber würde gleiche Wettbewerbsbedingungen, also ein Level Playing Field, erheblich gefährden. Die Europäische Kommission hat zwar reagiert und die Einführung des FRTB verschoben – doch das allein reicht nicht aus.
Hohe Komplexität durch europäische Regelsetzung
Ein ganz eigenes regulatorisches Problem für den europäischen Bankensektor ergibt sich aus dem mehrstufigen Gesetzgebungsverfahren, das im Finanzdienstleistungsbereich gerne angewendet wird – bekannt als „Lamfalussy-Verfahren“. Die politische Rahmensetzung erfolgt dabei durch Basisrechtsakte von Rat und Europäischem Parlament (Level 1). Zur technischen Konkretisierung kann die Kommission – sofern durch den Basisrechtsakt ermächtigt – delegierte und Durchführungsrechtsakte erlassen (Level 2). Die inhaltliche Ausarbeitung erfolgt häufig durch die europäischen Aufsichtsbehörden; gemeinsame Standards fördern zudem eine einheitliche Aufsichtspraxis durch die nationalen Behörden (Level 3). Mit dem Lamfalussy-Verfahren soll die Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften im Finanzdienstleistungssektor eigentlich beschleunigt und vereinfacht werden. Doch tatsächlich führt es zu hoher Komplexität und ist rechtsstaatlich problematisch.
Dass das Instrument der delegierten und Durchführungsrechtsakte teilweise exzessiv angewendet wird, zeigt das aktuelle Bankenpaket. Die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) hat das Mandat, 140 „Rechtsprodukte“ auszuarbeiten, insbesondere technische Regulierungsstandards und Durchführungsrechtsakte. Die Praxis sieht dabei so aus, dass die EBA der Kommission ihre ausgearbeiteten Entwürfe für eine dreimonatige Prüfungsfrist als Ganzes zur Annahme oder Ablehnung vorlegt. Anpassungen sollen nur in äußerst begrenzten Fällen und in enger Abstimmung mit der EBA erfolgen. Dadurch reduziert sich die Kontrollfunktion der Kommission häufig auf eine formale Absegnung.
Dies ist umso problematischer, als die Entwürfe häufig strategische oder politisch bedeutsame Entscheidungen enthalten, die ausdrücklich dem Gesetzgeber auf Level 1 vorbehalten sind. Doch auch Rat und Europäisches Parlament greifen selten bis nie ein – oder können es im Fall von ITS mangels Widerspruchsrechts gar nicht –, obwohl die zumeist detaillierten Ausarbeitungen immer wieder auf ein Goldplating hinauslaufen. Das bestehende Normsetzungsverfahren wird der politischen Tragweite vieler Inhalte nicht gerecht.
Auf Level 3 kann die EBA Leitlinien und Empfehlungen erlassen, um wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine gemeinsame sowie kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen. Im Sinne der Aufsichtskonvergenz kann sie auch gänzlich neue regulatorische Instrumente entwickeln. Dazu zählen etwa die EBA-Q&As, über die jede natürliche oder juristische Person Auslegungen zu konkreten Praxisfragen anfordern kann. Vergleichbare Kompetenzen sind auch der EZB im Rahmen des SSM eingeräumt.
Offensichtlich ergibt sich daraus keine allgemeine Regelungskompetenz; die Gestaltungsspielräume sind jedoch erheblich. EZB und EBA können tätig werden, sofern sie dies im Interesse einer harmonisierten Aufsichtspraxis für erforderlich halten. Eine effektive Begrenzung des Verwaltungshandelns durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach deutschem Verständnis erfolgt dabei nicht.
In der Praxis gedeiht dadurch nicht nur ein bunter Strauß an Soft-Law Instrumenten, auch die Regelungsdichte nimmt zu. Aus geringem Anlass können schnell mehrere dutzend Seiten Text entstehen. Allein auf der Grundlage des allgemeinen Governance-Ziels in Art. 74 (1) CRD – der den Begriff „Auslagerung“ nicht einmal enthält – hat die EBA 125 Seiten Outsourcing Guidelines entwickelt.
EBA-Leitlinien sind formell nicht rechtsverbindlich. Doch die Aufsichtsbehörden sind angehalten, Leitlinien zu befolgen oder innerhalb von zwei Monaten eine etwaige Nichtbefolgung gegenüber der EBA zu begründen (Comply or Explain) – was in der Praxis selten geschieht.
Die faktische Steuerungswirkung von Soft Law kollidiert mit dem unionsrechtlichen Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, wie ihn der EuGH in seiner Meroni-Entscheidung begründet hat (EuGH, Rs. 9/56, Slg. 1958, 133). Demnach wäre die Delegation politisch-normativer Ermessensentscheidungen an nicht-vertraglich vorgesehene Agenturen – wie die ESAs – grundsätzlich unzulässig.
Hinzu kommt: Der unscharfe rechtliche Status von Soft Law erschwert eine effektive gerichtliche Kontrolle. Mangels Rechtsverbindlichkeit ist die unmittelbare Nichtigkeitsklage vor dem EuGH ausgeschlossen. Rechtsschutz ist lediglich auf indirektem Wege möglich, etwa durch Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV im Rahmen nationaler Verfahren oder über eine Einwendung der Rechtswidrigkeit nach Art. 277 AEUV, wenn ein verbindlicher Rechtsakt auf Soft Law gestützt wird. Diese Wege sind jedoch prozessual aufwendig.
Dieser instabile, nicht justiziable Rechtsrahmen bedeutet für die Institute Intransparenz, rechtliche Unschärfe und hohe Kosten für Compliance.
Regulierung neu denken
Handlungsbedarf besteht also an verschiedenen Stellen. Zunächst bei den Kapitalanforderungen: Mit Umsetzung des Bankenpakets steigen diese in Europa schrittweise bis 2033. Doch Europa agiert nicht im regulatorischen Vakuum. Angesichts des bedrohten Level Playing Field scheint ein starres Festhalten an überholten Fahrplänen nicht zielführend. Stattdessen sollte die EU – wie das Vereinigte Königreich und Kanada – ein Regulierungsmoratorium prüfen, das die Anforderungen auf dem Stand von 2025 einfriert und Raum für eine strategische Neubewertung schafft, zum Beispiel beim Output Floor. Unabhängig davon wäre eine umfassende Überprüfung des regulatorischen Gesamtbilds nach Jahren der Regelsetzung überfällig. Erfreulicherweise kommt Bewegung in die Regulierungsdebatte – entscheidend wird nun sein, zügig praktikable Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen.
Ferner muss die künftige Regelfindung in Europa grundsätzlich hinterfragt und geändert werden. Technische Konkretisierungen auf Level-2-Ebene bleiben notwendig, aber die Zahl der Level-2-Mandate sollte begrenzt und die materiellen Kontrollrechte der Kommission gestärkt werden – insbesondere mit Blick auf die Korrektur von Mandatsüberschreitungen. Da der Lamfalussy-Ansatz die Regelsetzung zum Teil auf Fachbehörden verschoben hat, ist es umso wichtiger, Wettbewerbsfähigkeit dort als Nebenziel rechtlich zu verankern.
Dringend geboten wäre obendrein, die den Rechtsrahmen destabilisierende Inflation an de facto verbindlichen, nicht justiziablen Soft Law auf Level 3 durch die Anpassung der SSM- und EBA-Verordnung klar zu begrenzen, z.B., indem man das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als starkes Korrektiv zur Harmonisierung aufnimmt. Insgesamt stellt sich die Frage, ob nicht eine prinzipienbasierte Aufsicht mit stärkerer Auslegungskompetenz der (nationalen) Behörden eher die notwendige Balance zwischen Finanzstabilität und Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten kann. Denn genau darauf kommt es an – die richtige Balance zu finden. Bislang kommt der Wettbewerbsgedanke deutlich zu kurz, das Ergebnis ist bekannt.
Dieser Gastbeitrag ist am 1. September 2025 in der Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht erschienen.

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Dr. Hilmar Zettler
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