Wasserzeichen
FinanzbildungSchulbank

Rekordbeschäftigung und zugleich steigende Arbeitslosigkeit

31.01.2024Artikel
Dr. Henrik Meyer
background
hero

Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland bewegt sich auf Rekordniveau: Wie das Statistische Bundesamt auf Basis vorläufiger Berechnungen mitteilte, gingen im Jahresdurchschnitt 2023 gut 45,9 Millionen Menschen einer Tätigkeit als Arbeitnehmerin, Minijobber oder Selbstständige nach. Das waren 330.000 oder 0,7 Prozent mehr als im Jahresdurchschnitt 2022. Doch zugleich steigt auch die Arbeitslosigkeit: Im Durchschnitt des vergangenen Jahres waren laut Bundesagentur für Arbeit (BA) 2,61 Millionen Menschen als arbeitslos registriert, 191.000 oder 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Im neuen Jahr erwartet die BA einen weiteren, wenn auch kleineren Anstieg auf etwa 2,7 Millionen Arbeitslose. 

Mehr Teilzeit und starke Migration

Das Nebeneinander von steigender Beschäftigung und zunehmender Arbeitslosigkeit (bei gleichzeitigem Rückgang der Wirtschaftsleistung) ist auf dem ersten Blick verwirrend. Relativiert wird der Jobrekord allerdings dadurch, dass die Menschen kürzer arbeiteten – im Schnitt nur noch gut 30 Stunden die Woche. Es gab weniger Überstunden und ein neues Teilzeit-Hoch von fast 40 Prozent, wobei Frauen deutlich öfter in Teilzeit tätig sind. Davon abgesehen lässt sich die wachsende Zahl Beschäftigter aber vor allem auf die starke Migration nach Deutschland zurückführen: Durch den Zuzug in den vergangenen Jahren, u.a. aus der Ukraine, haben mehr Menschen als erwartet eine Beschäftigung aufgenommen. Zugleich gibt es durch die Einwanderung aber auch mehr Menschen, denen das bisher nicht gelingt und die damit die Zahl der Arbeitslosen nach oben treiben. 

Die Zahlen belegen dies: Jahresdaten für 2023 liegen zwar noch nicht vor, doch laut BA-Statistik gingen zum Stichtag Ende März 2023 29,5 Millionen Deutsche einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach und damit 44.000 weniger als ein Jahr zuvor. Gleichzeitig waren 5,2 Millionen ausländische Arbeitskräfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt – 400.000 mehr als ein Jahr zuvor. Bis Oktober ist die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigen auf 35,1 Millionen gestiegen, „wobei der Anstieg allein auf Ausländern beruht“, wie die BA mitteilte. Ähnlich bei den Arbeitslosenzahlen: Wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ausweist, ist die Zahl der arbeitslosen Deutschen im vergangenen Jahr nur um rund 40.000 gestiegen, während der übrige Anstieg um etwa 150.000 auf Arbeitslose mit ausländischem Pass zurück geht. 

Arbeitsplatzaufbau rückläufig

Wie geht es weiter, welche Zahlen werden für die Zukunft erwartet? Kurzfristig dämpft die anhaltende Rezession, die insbesondere Industrie und Handel trifft, die Chancen auf einen weiteren Arbeitsplatzaufbau. Im Dezember 2023 waren bei den Arbeitsagenturen 713.000 offene Stellen gemeldet, 68.000 weniger als vor einem Jahr. Und schon in den vorangegangenen Monaten hatte der Anstieg der Erwerbstätigkeit an Kraft verloren, zeigt ein längerfristiger Vergleich: Bis zur Corona-Pandemie waren von den Statistikern regelmäßig Zuwächse von mehr als einer halben Million Erwerbstätigen von einem Jahr zum nächsten verzeichnet worden. Von 2022 auf 2023 gab es nach dem pandemiebedingten Einbruch sogar einen besonders kräftigen Anstieg um 612.000 oder 1,4 Prozent – also beinahe doppelt so viel wie im nun abgelaufenen Jahr. 

Vor allem das produzierende Gewerbe, früher ein Beschäftigungsmotor, schwächelt: Im Jahr 2019 hatten dort noch fast 8,4 Millionen Menschen gearbeitet. Im vergangenen Jahr waren es nur gut 8,1 Millionen – und damit lediglich 60.000 mehr als im Tiefpunkt der Corona-Krise von 2021. 

Ungeachtet der gegenwärtigen konjunkturellen Schwäche: Was mittelfristig einem weiteren Beschäftigungsausbau am stärksten im Wege steht, ist der demografische Faktor. Bereits jetzt ist die Alterung der Gesellschaft spürbar, in absehbarer Zeit wird sie das aber noch sehr viel mehr sein. Bis 2035 könnte die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamts um bis zu 4,8 Millionen sinken. 

Zweiteilung des Arbeitsmarkts

Das sollte eigentlich eine gute Nachricht für die Arbeitslosen hierzulande sein. Doch die Bundesagentur ist pessimistisch, wenn es um den Abbau der Arbeitslosigkeit geht. Diese habe sich inzwischen verfestigt, das Problem werde durch eine immer stärkere „Zweiteilung“ des Arbeitsmarkts verschärft: Auf der einen Seite bleibe die Nachfrage der Unternehmen und Behörden nach gut qualifizierten Arbeitskräften hoch. Auf der anderen Seite aber fehle es einer Mehrheit der Arbeitslosen an geeigneten Qualifikationen. 61 Prozent der Arbeitssuchenden würden Helferstellen suchen; Helfer- und Anlerntätigkeiten machten aber gerade einmal 20 Prozent aller offenen Stellen aus, die Arbeitgeber den Arbeitsagenturen im Laufe des Jahres 2023 neu gemeldet haben. Die Verfestigung der Arbeitslosigkeit zeigt sich vor allem im Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit: Im Dezember waren 927.000 der zu diesem Zeitpunkt insgesamt 2,64 Millionen Arbeitslosen schon mehr als ein Jahr lang ohne Stelle. Das sind 60.000 mehr als vor einem Jahr und 330.000 mehr als vor der Corona-Pandemie.

Auch hier zeigt ein näherer Blick in die Statistik, dass dies – neben einem Strukturwandel hin zu qualifizierteren Tätigkeiten – viel mit Migration zu tun hat. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent auf 303.000 gestiegen, die Zahl deutscher Langzeitarbeitsloser blieb konstant. Offenbar fällt einem Teil der Neuankömmlinge der Einstieg in Arbeit sehr schwer. Umso wichtiger ist es, die Integration der nach Deutschland gekommenen Menschen zu verbessern. Denn darüber, dass künftig verstärkt und gezielter Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland kommen müssen, um die Folgen des demografischen Wandels abzufedern, besteht unter Experten und Expertinnen kein Zweifel.