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Positionspapier zur Vertiefung der Kapitalmärkte

16.05.2024Positionspapier
Miye Kohlhase
Dr. Hendrik Hartenstein
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Zusammenfassung

Tiefe und leistungsfähige EU-Finanzmärkte sind für die Finanzierung der anstehenden Herausforderungen in der EU – insbesondere der Transformation, also den Umbau unserer Wirtschaft – unverzichtbar. Diese Erkenntnis und damit das Ziel einer Vollendung der EU-Kapitalmarktunion findet immer breitere Zustimmung. Allerdings bleiben die bisherigen politischen Maßnahmen – und die Entwicklung des Marktes – unzureichend. Es ist zentral, 
dass – mit Blick auf die EU-Wahlen 2024 und die Bildung einer neuen EU-Kommission – dieses Projekt weiterhin mit hoher Priorität und noch mehr Entschlossenheit vorangetrieben wird.

Der Bankenverband hat die Kapitalmarktunion von Beginn an unterstützt. Dieses Positionspapier erläutert zunächst die aus Sicht der privaten Banken wichtigen Leitlinien für weitere Fortschritte – insbesondere das richtige Mindset, die stärkere Orientierung aller Maßnahmen an der Entfaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Märkte und ein höheres Maß an Pragmatismus für das weitere Vorgehen. Unser Papier beleuchtet auch den Zusammenhang von Stabilität, Integrität und Wettbewerbsfähigkeit der Märkte. Im Einzelnen stellt das Papier wichtige Maßnahmen vor, die geeignet sind, die EU-Kapitalmärkte zu stärken. 

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 
A) Mindset 
B) Liquidität 
C) Pragmatismus 

2. Sachstand und Handlungsbedarf: Transformation braucht Kapital  
2.1 Sachstand  
2.2 Handlungsbedarf: Wettbewerbsfähige EU-Kapitalmärkte   

3. Zielbild: Tiefe und wettbewerbsfähige Kapitalmärkte    
3.1 Dreiklang aus Stabilität, Integrität und Wettbewerbsfähigkeit    
3.2 Europäisierung von Recht    
3.3 Rolle von Banken    

4. Zentrale Maßnahmen    
4.1 Wettbewerbsfähigkeit als Maßstab    
4.2 Rechtsetzung und Regulierung    
4.2.1 Den Verbriefungsprozess verbessern    
4.2.2 Clearing- und Derivatemärkte    
4.2.3 Insolvenzrecht – gezielte Teilharmonisierung    
4.2.4 Steuerrecht – gezielte Teilharmonisierung    
4.2.5 Retail Investment Strategy (RIS)    
4.3 Prozess der Rechtsetzung und Regulierung    
4.4 Europäisierung und Kohärenz der Aufsicht    
 

1. Einleitung

  • Dass die Finanzierung der Transformation unserer Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft enorme Summen privaten Kapitals erfordert, darüber sind sich alle einig. Klar ist auch, dass dieses Kapital nicht allein durch Bankkredite oder öffentliche Gelder zur Verfügung gestellt werden kann, sondern die Kapitalmärkte in der EU hierfür eine entscheidende Rolle spielen.
  • Im März 2023 hatten die Leitungen der fünf EU-Institutionen Kommission, Rat, EZB, EIB und Eurogruppe die Bedeutung der EU-Kapitalmarktunion klargestellt und rasche und wesentliche Fortschritte angemahnt. Zuletzt – im März 2024 – haben die Finanzminister der Eurogruppe einen Vorschlag mit 13 Maßnahmen vorgelegt, um das Projekt voranzutreiben. 
  • Die Stärkung und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kapitalmärkte ist für den Bankenverband seit langem ein wichtiges Ziel. Hierfür sind regulatorische Rahmenbedingungen entscheidend, die die Kapitalmärkte nicht nur sicher und effizient, sondern auch attraktiv und liquide machen. Die Interessen von Emittenten, Investoren und Dienstleistern werden dabei angemessen berücksichtigt und in Einklang gebracht. Aus Sicht der privaten Banken kommt es dabei vor allem auf folgende drei Aspekte an:

A) Mindset

  • Für den Umbau der Wirtschaft wird ein effizienter und wettbewerbsfähiger Kapitalmarkt benötigt. Wer einen solchen Kapitalmarkt in der EU will, der muss auch die global gültige Logik und Funktionsweise von Kapitalmärkten wollen. 
  • Das bedeutet, dass allgemeingültige, dem Markt immanente Regeln akzeptiert werden: Rendite, Sicherheit und Liquidität stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis. So bedeutet mehr Sicherheit eben nicht auch automatisch mehr Rendite. Dies ließe sich auch nicht gesetzlich anordnen. Das „magische Dreieck“ der Kapitalmarktanlage sollte bei der Schaffung von regulatorischen Vorgaben bzw. Rahmenbedingungen unbedingt Berücksichtigung finden. 
  • Der Kapitalmarkt umfasst verschiedene Arten von Teilnehmern und Produkten. Die Produkte durchleben verschiedene Phasen (Primärmarkt, Sekundärmarkt und Verwahrung/Verwaltung/ Asset Servicing). Die unterschiedlichen Marktteilnehmer, unter anderem Investoren, Emittenten, ihre Dienstleister und verschiedene Marktinfrastrukturen, haben verschiedene Aufgaben. Eine passgerechte Regulierung berücksichtigt die Unterschiede.
  • Nur mit einem „Kapitalmarkt-Mindset“ lassen sich Regeln für einen attraktiven, effizienten, sicheren und international wettbewerbsfähigen Kapitalmarkt schaffen.

B) Liquidität

  • Wichtig ist, dass der Kapitalmarkt tief und liquide ist. Investoren sind generell auf der Suche nach profitablen Anlagen. Das bedeutet, sie suchen nach Produkten stabiler, ertrags- und entwicklungsstarker Emittenten. Das Umfeld, also der Markt, soll dabei sicher, effizient und – vor allen Dingen – liquide sein. Denn nur so sind Investoren in der Lage, ihre Anlagen jederzeit zu einem fairen Preis zu erwerben und wieder zu veräußern. 
  • Um als Kapitalmarkt effizient, aber auch attraktiv zu sein, muss die Regulierung vor allem eine hohe Liquidität ermöglichen. So kann die globale Wettbewerbsfähigkeit des Kapitalmarktes gefördert werden und das benötigte Kapital anziehen.

C) Pragmatismus

  • Die Transformation der Wirtschaft wartet nicht, bis ein idealer EU-Kapitalmarkt – oder eine Kapitalmarktunion – geschaffen worden ist. Die Vollharmonisierung wichtiger Rechtsgebiete, wie zum Beispiel des Zivilrechts oder des Steuerrechts, sind zeitnah nicht nur unrealistisch, sie sind auch nicht erforderlich.
  • Um attraktive, wettbewerbsfähige EU-Kapitalmärkte zu schaffen oder zu fördern, sollten daher gezielt diejenigen Regelungen in der EU harmonisiert werden, die wirklich für den Kapitalmarkt relevant sind. Durch eine pragmatische Vorgehensweise, unter anderem eine gezielte Teilharmonisierung, lassen sich viele kleine Schritte in die richtige Richtung machen.
  • Im Folgenden gehen wir auf den aktuellen Sachstand ein und schlagen Leitlinien und Maßnahmen vor, um effiziente und kurzfristig machbare Fortschritte zur Vertiefung der EU-Kapitalmärkte und Sicherstellung ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit zu erzielen. 

2. Sachstand und Handlungsbedarf: Transformation braucht Kapital

2.1 Sachstand

  • Europa braucht einen tieferen Kapitalmarkt, um seine größten Herausforderungen – die grüne und digitale Transformation sowie die Stärkung der Resilienz – zu stemmen und zu finanzieren. 
  • In den letzten Jahrzehnten wurden bereits viele verschiedene Maßnahmen umgesetzt oder auf den Weg gebracht, um in der Europäischen Union (EU) einheitliche, effiziente Kapitalmärkte zu schaffen. Es gibt zum Beispiel EU-weit einheitliche Regulierung für Finanzmarktinfrastrukturen oder den Wertpapierhandel (MiFID II/MiFIR, EMIR, CSDR).
  • Nach wie vor aber ist das Potential des Kapitalmarkts in Europa nicht ausgeschöpft und in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich weit entwickelt. Durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der EU hat sich diese Situation weiter verschärft. Grenzüberschreitende Aktivitäten zwischen den EU-Mitgliedstaaten sind zwar möglich – im Vergleich zum übrigen Binnenmarkt sind diese aber noch gering ausgeprägt. Insgesamt ist der Kapitalmarkt in der EU deutlich weniger tief als die Aktivität in anderen vergleichbaren Wirtschaftsregionen.
  • Auch die globale Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kapitalmärkte muss ausgebaut werden, um sowohl Kapitalgeber als auch Kapitalnehmer in und auch außerhalb der EU anzuziehen.
  • In den Aktionsplänen der EU-Kommission zur „Kapitalmarktunion“ von 2015 und 2020 wurden eine Reihe von Maßnahmen identifiziert, mit denen der Markt weiterentwickelt werden sollte. Mit entsprechenden Gesetzesentwürfen setzte die Kommission diese Pläne weiter um, nach unserer Einschätzung aber nicht immer mit einem Kapitalmarkt-Mindset: ein hohes Maß an Bürokratie und nicht ausreichende Beachtung der globalen Wettbewerbsfähigkeit waren teilweise prägend. 
  • Auch ein klares Zielbild von der „Kapitalmarktunion“ schien zu fehlen bzw. eine angemessene Anerkennung der Rolle der Kapitalgeber (Anleger) und Kapitalnehmer (Emittenten) sowie der Rolle der zwischen beiden Seiten vermittelnden Banken und anderer Finanzmarktdienstleister als zentralen Akteuren des Marktes. 
  • Anstatt Produkte gesetzlich zu standardisieren, sollte das Markt- und Wettbewerbsprinzip gestärkt werden. Während Anlegerschutz und Stabilität im Vordergrund standen, blieb die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Kapitalmarkts unberücksichtigt. 
  • Schließlich wurde die europäische Harmonisierung von Rechtsnormen ganz generell als Fortschritt bezeichnet, zugleich nur dort vorangetrieben, wo die politische Interessenlage es erlaubte – anstatt zielgenau und konsequent zu vereinheitlichen, was wirklich Kapitalmarktrelevanz hat.
  • Aber nicht nur die Gesetzgebung ist entscheidend: Das Schicksal bzw. die Vertiefung der EU-Kapitalmärkte bleibt grundsätzlich eine Frage des gesellschaftlichen Willens und der Kultur. Im Kapitalmarkt wird mit Produkten gehandelt. Kapital anzulegen bietet Chancen – und geht üblicherweise mit Risiken einher. Die Risikokultur und das dafür erforderliche Finanzwissen sind in der EU allgemein schwach ausgebildet. Sparkonten und staatlich organisierte Rente sind etabliert – aber in der Regel vermitteln erst die eigene Kapitalanlage oder private Altersvorsorge ein Verständnis des Kapitalmarkts und können weitere Chancen eröffnen. Die aktuelle Regulierung trägt allerdings zusätzlich dazu bei, Kleinanleger vom Kapitalmarkt fernzuhalten.
  • Die Marktteilnehmer stehen bereit, ihrerseits durch Entwicklung von Marktstandards flexible Regelungen zur weiteren Vereinheitlichung von Prozessabläufen in der EU zu entwickeln. Zur Beseitigung der sogenannten Giovannini-Barrieren wurde schon vor über zwanzig Jahren auf den Markt gesetzt. Diese Marktstandards funktionieren auch heute noch gut und effizient. Solche Möglichkeiten sollten in der EU auch weiterhin genutzt und ausgebaut werden. 

2.2 Handlungsbedarf: Wettbewerbsfähige EU-Kapitalmärkte

  • Energiewende, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Diversifizierung von Wirtschaftsaktivitäten, Innovation, Gründung, Wachstum und Nachfolge erfordern nicht nur zusätzliches Kapital in erheblicher Höhe, sondern mitunter auch andere Risikoprofile und Laufzeiten als bislang. Ohne Kapitalmärkte ist die Finanzierung des Green Deal, der digitalen Transformation und einer stärkeren Resilienz nicht zu stemmen. 
  • Um diese von der EU selbst gesteckten Ziele zu erreichen, um das europäische Wirtschaftsmodell zu stärken und um die Bürgerinnen und Bürger in der EU stärker am Wachstum partizipieren zu lassen, muss das Potential des Kapitalmarkts weiter entfaltet werden. Das gilt sowohl für die Finanzierungskraft aus Europa heraus als auch für die globale Wettbewerbsfähigkeit des Marktes und seine Attraktivität für ausländische Investoren. Gute regulatorische EU-Rahmenbedingungen für die Kapitalanlage sollten zudem Hand in Hand gehen mit Entwicklungen auf nationaler Ebene. Die Förderung der kapitalmarktbasierten Altersvorsorge wäre hierfür ein Beispiel. 
  • Nicht zuletzt könnte ein tiefer EU-Kapitalmarkt die Souveränität Europas stärken, indem er zumindest perspektivisch einseitigen globalen Abhängigkeiten in der Zins- und Währungspolitik entgegenwirkt und den Einfluss der EU auf internationale Regelsetzung erhöht. Der EU-Kapitalmarkt ist damit von strategischer Bedeutung für Europa.  

3. Zielbild: Tiefe und wettbewerbsfähige Kapitalmärkte 

  • Die Vertiefung des Kapitalmarkts in der EU kann nicht auf einem weißen Blatt Papier neu entworfen werden, sie sollte von dem ausgehen, was bereits existiert: Ein starker Binnenmarkt mit knapp 450 Millionen Einwohnern, aber mit unterschiedlichen Rechtssystemen und Finanzmärkten und einem – insgesamt betrachtet und insbesondere nach Austritt UKs aus der EU – weniger stark entwickelten Kapitalmarkt. Für die Fortentwickelung des Vorhandenen muss ein stimmiges Zielbild vorliegen.

3.1 Dreiklang aus Stabilität, Integrität und Wettbewerbsfähigkeit 

  • Die Stärkung der EU-Kapitalmärkte – die EU-Kapitalmarktunion – erfordert einen Dreiklang aus Stabilität, Integrität und Wettbewerbsfähigkeit. Alle drei Prinzipien sind unverzichtbar: 
    • Stabilität bedeutet ökonomische Nachhaltigkeit – kleinere Krisen sind möglich, fallen in einem System mit starkem Kapitalmarkt aber grundsätzlich früher auf und werden systemimmanent gelöst. 
    • Auch Integrität bedeutet Nachhaltigkeit – die Interessen aller Teilnehmer werden geschützt und insbesondere der Anlegerschutz stellt sicher, so dass alle Akteure weiterhin teilnehmen wollen und können. 
    • Wettbewerbsfähigkeit ist elementar, damit die Leistungsfähigkeit des Marktes den Erwartungen der Teilnehmer entspricht und sich der EU-Markt im globalen Wettbewerb behaupten kann. Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit wiederum ist die Marktliquidität. Nicht nur Emittenten benötigen Liquidität im Markt, um Kapital aufnehmen zu können; vor allem für Investoren ist Liquidität ein entscheidendes Anlagekriterium. Mangelnde Liquidität – d.h. auch die Möglichkeit, Assets jederzeit und kurzfristig zu einem fairen Preis zu kaufen oder zu verkaufen – hält Investoren fern.
  • Alle drei Prinzipien ergänzen einander. Mitunter bestehen Zielkonflikte, etwa zwischen Anlegerschutz und Wettbewerbsfähigkeit, die dann eines Ausgleichs bedürfen. Zugleich bedingen die Prinzipien einander: Ohne Stabilität ist kein Kapitalmarkt wettbewerbsfähig, aber ohne (globale) Wettbewerbsfähigkeit auch nicht dauerhaft stabil. 
  • Dreiklang: Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität, Integrität 
  • Für die Fortentwicklung des EU-Kapitalmarkts ist es zwingend, dass die Wettbewerbsfähigkeit als Richtschnur sowohl für die Überarbeitung von bestehenden EU-Regeln als auch für neue Regelungen herangezogen wird. Auch für den Kapitalmarkt gilt: So viel Regulierung wie nötig – aber so wenig wie möglich.

3.2 Europäisierung von Recht 

  • Die Mitgliedstaaten in der EU bilden jeweils unterschiedliche Rechtsräume, die über lange Zeit gewachsen sind. Diese Entwicklung steht in einigen Bereichen einem tiefen, gemeinsamen und vor allem effizienten Markt entgegen – und sollte überwunden werden. Harmonisierung ist aber kein Selbstzweck. Nicht jede Europäisierung von Recht würde zu einer Vertiefung des Marktes führen. Auch der übrige EU-Binnenmarkt funktioniert ohne Vollharmonisierung. Entscheidend ist: Die Vorteile einer Rechtsharmonisierung müssen die Nachteile überwiegen. Durch eine zielgerichtete, aber auch kapitalmarktrelevante Harmonisierung wichtiger Aspekte in bestimmten Rechtsbereichen (etwa im Steuer-, Insolvenz- oder Aufsichtsrecht) kann und sollte die EU zur Überwindung der Fragmentierung beitragen. 
  • Die Marktteilnehmer benötigen grundsätzlich effiziente, europaweit verlässliche Rechtsgrundlagen. Auf dieser Grundlage können sie diejenigen Lösungen und Produkte entwickeln, die dem Bedarf der Wirtschaft entsprechen und die sich als wettbewerbsfähig erweisen.

3.3 Rolle von Banken 

  • Kapitalmarktregulierung sollte die Interessen der Emittenten einerseits und die der Anleger/Investoren andererseits ausgewogen berücksichtigen. Nur so können Stabilität und Effizienz der Kapitalmärkte sichergestellt werden. Anleger und Emittenten sind in der Regel Kunden von Banken. Banken nehmen im Kapitalmarkt daher eine zentrale Rolle ein: Sie führen die kapitalsuchenden Emittenten und die kapitalgebenden Anleger zusammen, sie sind Mittler und zentrale Servicedienstleister am Kapitalmarkt. Die Kapitalmarktunion braucht daher starke Emittenten, starke Investoren und starke Banken. 
  • Wettbewerbsfähige Kapitalmärkte sind verknüpft mit einem leistungsfähigen Bankenmarkt und auf diesen angewiesen. Auch deshalb müssen Kapitalmarkt und Bankenmarkt zusammenpassen bzw. Kapitalmarkt- und Bankenregulierung aufeinander abgestimmt werden. 
  • Ein Beispiel für die enge und sinnvolle Verzahnung von Banken- und Kapitalmarkt ist das Verbriefungsinstrument. Selbst in einem florierenden Kapitalmarkt lassen sich viele Finanzierungen, zum Beispiel die von kleinen und mittleren Unternehmen, am besten über den Bankkredit abbilden. Die Verbriefung erlaubt es aber, Teile der Kreditforderungen an interessierte Investoren weiterzureichen und damit den Markt an der Finanzierung zu beteiligen. Investoren erhalten auf diese Weise Zugang zu einem für sie ansonsten (auf direktem Weg) kaum zugänglichen Segment – und Banken können Kapazitäten freiräumen zur Bedienung weiterer Kreditnachfrage.  

4. Zentrale Maßnahmen 

4.1 Wettbewerbsfähigkeit als Maßstab

  • Der EU-Kapitalmarkt zählt zu den am engmaschigsten regulierten Kapitalmärkten weltweit. Dies bringt Vorteile mit sich, führt aber auch zu bürokratischen Hürden bzw. Nachteilen für die Liquidität, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. 
  • Zur Stärkung der Kapitalmärkte in der EU sollte deren Wettbewerbsfähigkeit im Zentrum der Betrachtung stehen. Dies gilt für neue Regelungen ebenso wie für die Überarbeitung bestehenden Rechts. Eine Überprüfung und Anpassung der Kapitalmarktregulierung einschließlich Level-2 und Level-3 wäre eine wichtige Maßnahme der EU-Kommission.
  • Natürlich sind Wettbewerbsfähigkeit und Stärke des Kapitalmarkts kein Selbstzweck – sie müssen der Finanzierung der Wirtschaft dienen und den Menschen die Teilnahme am Wachstum erleichtern.
  • Beispiele für die sinnvolle Überarbeitung von bestehendem Kapitalmarktrecht mit dem Ziel, administrative Hürden abzubauen und die Attraktivität des Marktes zu steigern, sind der aktuelle EU-Listing Act oder die Entschlackung des Regimes für Systematische Internalisierer nach dem MiFIR-Review. Die EU hat damit einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Dies kann aber nur der Anfang sein. Weitere Schritte, die stets auch internationale Standards berücksichtigen, sind notwendig: So entspricht der Vorschlag der Kommission zur Standardisierung des Prospektaufbaus nicht internationalen Standards, das heißt, für eine Investorenansprache auf dem US-Markt müsste kostenintensiv ein neuer Prospekt erstellt werden. 

4.2 Rechtsetzung und Regulierung

  • Daneben stehen seit langem eine ganze Reihe verschiedener Forderungen im Raum, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Märkte insgesamt zu steigern. Diese konkreten, teilweise sehr technischen Rechtsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen bzw. -überarbeitungen sollten geprüft und konsequent umgesetzt werden. 

4.2.1 Den Verbriefungsprozess verbessern
 

  • Banken bieten den Unternehmen in der EU eine verlässliche und bewährte Finanzierung über Kredite. Banken werden die mittelfristig benötigten Volumina zur Finanzierung der Transformation aber nicht ohne Hilfe des Kapitalmarkts aufbringen können. Verbriefungen sind das geeignete Instrument, um vergebene Unternehmenskredite an den Kapitalmarkt weiterzureichen und dadurch die entsprechenden Investoren an der Finanzierung der Wirtschaft zu beteiligen. Durch die Verbriefung kann in der Bankbilanz gebundenes Eigenkapital und Liquidität teilweise freigesetzt werden, sodass eine weitere Finanzierung von Unternehmen durch Banken möglich wird.
  • Der politische Wille zur Stärkung des Verbriefungsmarktes besteht. Das Verbriefungsinstrument ist als Brücke bankbasierter Unternehmensfinanzierungen zum Kapitalmarkt anerkannt. Die Umsetzung des politischen Willens in konkrete Handlungsvorschläge steht allerdings noch aus.
  • Ziel der Maßnahmen sollte sein, die Produktionsstraße für Verbriefung zu optimieren. Verbriefungstransaktionen sollten möglichst reibungslos und ohne Verzögerungen abgewickelt werden können. Die Vorgaben müssen so angepasst werden, dass ein Markteintritt ohne Überwindung größerer Hürden möglich ist. Die Attraktivität des Instrumentes im Vergleich zu Instrumenten mit ähnlichem Risikoprofil muss wieder hergestellt werden. Insgesamt muss das Instrument fit für die zukünftigen Hausforderungen gemacht werden.
  • Der erwartete Finanzierungsbedarf von Unternehmen ist groß. Die Verbriefung ist ein zentrales Managementtool für eine effiziente Kapitalallokation. Das Instrument muss flexibler und breiter einsetzbar sein. Hier bedarf es der Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dabei ist eine ganzheitliche Betrachtung des Verbriefungsprozesses erforderlich, denn es gibt nicht die eine Lösung, die dem Verbriefungsmarkt starke neue Impulse geben würde. Neben den bekannten regulatorischen Hürden (Homogenitätsanforderungen, konservative Risikobewertung), die es anzupassen gilt, wäre eine weitere Standardisierung zur Verringerung von Transaktionskosten durch den Markt selbst oder durch den Gesetzgeber geeignete Ansatzpunkte. Zudem könnte der gesetzliche Rahmen (z. B. Vereinfachung grenzüberschreitender Verbriefungen) angepasst und die seit längerem geplante Richtlinie zur Drittwirkung von Forderungsabtretungen verabschiedet werden. Ferner würde auch eine höhere Verlässlichkeit im aufsichtlichen Überprüfungsprozess einen Beitrag zur Verbesserung des Verbriefungsprozesse als Ganzes beitragen. 
  • Weitere Einzelheiten werden in unserem aktuellen Positionspapier zu Verbriefungen ausgeführt.

4.2.2 Clearing- und Derivatemärkte
 

  • Die Absicherung von Risiken am Kapitalmarkt ist essenziell, zum Beispiel der Schutz von Unternehmen vor Zins- oder Währungsschwankungen. Funktionierende und effiziente Clearing- und Derivatemärkte sind für die Stabilität des Finanzsystems unverzichtbar. 
  • Auch wenn die Bedeutung der EU-Clearinghäuser gewachsen ist, liegen die international wichtigsten Clearingmärkte in London und den USA. Stand heute wird nur rund ein Viertel der Liquidität im Euro-Clearingmarkt von EU-Marktteilnehmern gestellt. Die gesetzlichen Maßnahmen zur Stärkung des Clearings in der EU (EMIR 3.0) werden lediglich langfristig etwas daran ändern können. Um den Clearingmarkt in der EU zu stärken, müssen die Attraktivität und Liquidität im EU-Markt erhöht und dafür die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen modernisiert bzw. gestärkt werden, insbesondere der zentralen Infrastrukturen sowie der rechtlichen Grundlagen für die Risikosteuerung (zu FCD und SFD siehe nachstehend). Um eine nachhaltige Stärkung zu erreichen, müssen die EU-Clearingmärkte international noch wettbewerbsfähiger werden. Zugleich muss der Zugang europäischer Institute und Kapitalmarktteilnehmer zu internationalen Kapital- und Clearingmärkten zwingend erhalten bleiben. 

4.2.3 Insolvenzrecht – gezielte Teilharmonisierung
 

  • Das Insolvenzrecht ist eng mit anderen Rechtsgebieten (vom Steuer- über das Sozial- und Arbeitsrecht bis hin zum Vertrags- und Gesellschaftsrecht) verwoben und jeweils national gewachsen. Das Insolvenzrecht kann daher nicht unabhängig von den anderen Rechtsgebieten harmonisiert werden.
  • Eine volle Harmonisierung all dieser Rechtsgebiete ist zeitnah kaum realistisch – vor allem aber ist es auch nicht notwendig, um den EU-Kapitalmarkt zu integrieren und zu stärken. 
  • Die aktuell von der EU-Kommission verfolgten Ansätze zur Insolvenzrechtsharmonisierung haben ihren Fokus auf für den Kapitalmarkt eher nebensächliche Aspekte des Insolvenzrechts gerichtet. Dagegen sollten kapitalmarktrelevante Vorgaben des Insolvenzrechts gezielt harmonisiert werden, um die Effizienz des Kapitalmarkts zu stärken. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass eine Unternehmensinsolvenz ein typisches Investmentrisiko darstellt und daher für einen Anleger zweitrangig ist, nach welchem Recht sein Investment verloren geht. Viel wichtiger ist hingegen die mögliche Insolvenz seines Vertragspartners, also der Ausfall eines anderen Marktteilnehmers.
  • Mit Blick auf die zentrale Rolle, die Marktinfrastrukturen wie Zentralverwahrer (CSDs) und Zentrale Gegenparteien (CCPs), Finanzsicherheiten und Nettingvereinbarungen als Risikosteuerungsinstrumente im Kapitalmarkt einnehmen, sind daher die Überarbeitung der beiden EU-Richtlinien für Finanzsicherheiten (FCD) und Finalität (SFD) der richtige Weg.
  • Wenn es gelingt, die europaweite Vereinheitlichung an den kritischen Schnittstellen des Vertrags- und Insolvenzrechts für die Rechtsbeziehungen zwischen den regulierten professionellen Marktteilnehmern und den von ihnen genutzten Kapitalmarktinfrastrukturen weiter voranzutreiben, wird dies die Leistungsfähigkeit und internationale Attraktivität des europäischen Kapitalmarkts sofort und spürbar stärken. 
  • Die seit über 20 Jahren bestehenden, seither aber nicht grundlegend modernisierten Richtlinien FCD und SFD sollten dringend an die Geschäftsentwicklung im Kapitalmarkt angepasst und gezielt erweitert werden. Weder die gestiegene Bedeutung des CCP-Clearings noch die Entwicklung der pan-europäischen Settlement-Plattform sind hier angemessen berücksichtigt. Beide Richtlinien sind immer noch ein zentraler Baustein der derzeitigen Architektur des europäischen Regelungsrahmens für Kapitalmarktgeschäfte. 

4.2.4 Steuerrecht – gezielte Teilharmonisierung 
 

  • Auch im Bereich des Steuerrechts ist eine Vollharmonisierung weder realistisch noch erforderlich – dafür aber eine gezielte Teilharmonisierung umso wichtiger. 
  • Umsatzbesteuerung von Finanzdienstleistungen: Da Banken überwiegend steuerfreie Umsätze erbringen, die den Vorsteuerabzug grundsätzlich ausschließen, wirkt die Umsatzsteuer entgegen dem Neutralitätsprinzip nicht neutral für Banken. Die nicht abzugsfähige Vorsteuer aus den bezogenen Eingangsleistungen wird damit zu einer Kostenbelastung für die Banken, die in der Folge den Kunden belastet wird. Die „versteckte Umsatzsteuer“ konterkariert nicht selten die Entwicklung effizienter und betriebswirtschaftlich sinnvoller Geschäftsstrukturen. Denn die zusätzliche Umsatzsteuerbelastung macht jegliche gewünschten Synergieeffekte – auch im Rahmen der Digitalisierung – regelmäßig wieder zunichte. Diese Entwicklung wäre aber zur Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken und auch zur Leistungsfähigkeit der Banken für die Finanzierung der Transformation unabdingbar.
  • Hinzu kommt eine mangelnde Rechtssicherheit auf Grund einer fehlenden Definition, was unter Finanzdienstleistungen zu verstehen sein soll. Die Aufzählung der steuerfreien Finanzdienstleistungen in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, die die Rechtsgrundlage für die nationalen Umsatzsteuergesetze darstellt, ist zu eng und entspricht nicht mehr den heutigen Gegebenheiten. Obwohl seit Einführung der Richtlinie im Mai 1977 der Finanzdienstleistungsbereich einem ständigen Wandel unterlag und insbesondere angesichts der zunehmenden Digitalisierung immer noch unterliegt, ist die Steuerbefreiungsvorschrift für Finanzdienstleistungen in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie nicht grundlegend angepasst worden. Viele Sachverhalte müssen durch den Europäischen Gerichtshof geklärt werden. Die Rechtsunsicherheit, ob eine Finanzdienstleistung umsatzsteuerfrei oder umsatzsatzsteuerpflichtig ist, wirkt sich unmittelbar auf die Geschäftsbeziehungen der Banken zu ihren unternehmerischen und privaten Kunden aus, sei es bei der Finanzierung, bei der Kapitalanlage oder der Vermögensverwaltung.
  • Die Überarbeitung der bestehenden Vorschriften für die Umsatzbesteuerung von Finanzdienstleistungen und die Anpassung an die heutigen Gegebenheiten würden die Rechtssicherheit und Neutralität der Umsatzsteuer für die Banken verbessern, Hindernisse für wirtschaftlich effiziente Geschäftsmodelle beseitigen und Wettbewerbsverzerrungen jeglicher Art vermeiden und damit letztlich den Kunden und der Wirtschaft zugutekommen. Neben einer Stärkung der europäischen Banken im internationalen Wettbewerb würde zudem auch innereuropäisch ein level playing field geschaffen.
  • In diesem Zusammenhang sollte daher auch sichergestellt werden, dass verschiedene Anbieter von Finanzdienstleistungen (z. B. Banken und FinTechs) umsatzsteuerlich gleichbehandelt werden, um Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Finanzdienstleistungsbranche zu verhindern.
  • Die von der EU-Kommission bereits 2007 vorgelegten Vorschläge für eine Modernisierung der Umsatzbesteuerung von Finanzdienstleistungen sollten daher dringend wieder aufgegriffen werden und mit den Ergebnissen der 2019 in Auftrag gegebenen Studie sowie der 2021 durchgeführten Konsultation vorangetrieben werden. 
  • Quellensteuererstattungsverfahren: Komplexe Quellensteuerverfahren für grenzüberschreitende Wertpapiererträge sind ein großes Hindernis für die Vollendung des Kapitalbinnenmarktes. Eine Reform der Quellensteuer-Verfahren wäre ein wesentliches Element zur Mobilisierung von Kapital und Kapitalerträgen und würde eine Integration der europäischen Kapitalmärkte erheblich unterstützen.
  • Die Entlastung von einbehaltener Quellensteuer erfolgt standardmäßig durch Antrag auf Rückerstattung. Diesen Antrag stellt der Abzugsverpflichtete an die Steuerbehörden des Quellenstaates und muss hierzu eine Vorabbescheinigung jedes Anlegers über dessen steuerlichen Wohnsitz vorlegen. Dieses Verfahren führt dazu, dass Anleger oftmals sehr lange auf ihre Rückerstattung warten müssen – in einigen Mitgliedstaaten ist eine Erstattung sogar faktisch ausgeschlossen. Das Geld steht damit (kurzfristig) nicht für weitere Investitionen zur Verfügung. Aufgrund der Komplexität und der Kosten der Erstattungsverfahren verzichten Anleger zudem häufig auf eine Rückerstattung, obwohl sie ihnen gesetzlich zusteht. Im Ergebnis zahlen sie dann den Höchstsatz der Quellensteuer. Grenzüberschreitende Investments werden so unattraktiv. 
  • Die von der EU-Kommission 2023 vorgelegten Überlegungen im Entwurf einer Richtlinie „FASTER“ für schnellere und sicherere Verfahren zur Entlastung von überschüssigen Quellensteuern sind grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Für eine Stärkung der EU-Kapitalmärkte sollten jedoch auf echte Vereinfachungen und Praktikabilität geachtet sowie unverhältnismäßige Verpflichtungen für die Intermediäre vermieden werden.
  • Um erfolgreich zu sein, sollte ein gemeinsames und standardisiertes System für Quellensteuern insbesondere eine Kostenerstattung vorsehen, die es Finanzintermediären ermöglicht, ihre Leistungen zu bepreisen, und keine unverhältnismäßigen Haftungsregelungen einführen. Überdies muss eine unterschiedliche Auslegung in den Mitgliedstaaten vermieden werden.

4.2.5 Retail Investment Strategy (RIS)
 

  • Wie bereits erwähnt sind die Risikokultur und das dafür erforderliche Finanzwissen in der EU generell schwach ausgebildet. Nach Angaben der EU-Kommission hielten im Jahr 2021 EU-Haushalte gerade einmal 17 Prozent ihres Vermögens in Finanzinstrumenten (Aktien, Anleihen, Investmentfonds und Derivate), während der Anteil in den USA etwa 43 Prozent betrug. Mit ihrer Retail Investment Strategy zielt die EU-Kommission darauf, dass Kleinanleger die Vorteile der Kapitalmärkte in vollem Umfang nutzen können. Die Kommission setzt dabei nicht nur auf eine Verbesserung der finanziellen Bildung, sondern auch auf zahlreiche detaillierte Vorgaben für Wertpapierdienstleister. 
  • Gerade die Fülle an Detailvorgaben aber ist für die Zielerreichung nicht geeignet. Die mit MiFID II eingeführte Bürokratie wird nicht nur beibehalten, sondern deutlich ausgebaut. Der Vertrieb von Wertpapieren wird nicht erleichtert, sondern erschwert. Zudem droht ein deutlich verringertes Produktangebot, auf den Anleger zugeschnittene Anlagelösungen und Optionen zur Risikostreuung fallen weg. Das Mehr an Regulierung führt zu einer hohen Umsetzungskomplexität und letztlich zu hohen Kosten für Bürgerinnen und Bürger, die ihr Geld am Kapitalmarkt anlegen wollen. Das macht den Kapitalmarkt für sie unattraktiv.
  • Die europäische Retail Investment Strategy sollte aber dazu führen, dass mehr Kleinanleger an Kapitalmarktanlagen herangeführt werden. Anleger sollten Vermögensaufbau unkompliziert und unter Einhaltung eines hohen Anlegerschutzes betreiben können. Damit wird gleichzeitig privates Kapital von Bürgerinnen und Bürgern verstärkt nutzbar gemacht, um das Ziel der grünen und digitalen Transformation zu erreichen.
  • Der Anleger muss die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wie er für seine Dienstleistung bezahlt. Gesetzliche Eingriffe in die Preis- oder Entgeltgestaltung garantieren keine Belebung des Kapitalmarktes, der nach wirtschaftlichen Prinzipien funktioniert. Finanzinstrumente müssen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen – dieses Ziel kann aber mit überbordender Regulierung gerade nicht erreicht werden. Auch bedeuten kostenlose oder kostengünstige Produkte nicht automatisch, dass sie besser oder passender für den Anleger wären. So ist es je nach Risikoappetit und -tragfähigkeit des Anlegers sinnvoll, bestimmte Qualitätsmerkmale anzubieten, die zum Beispiel Risiken minimieren und daher eine entsprechende Bepreisung erfordern. Auch muss eine Überforderung der Anleger durch verpflichtende, aber unnötige Prozesse in der Anlageberatung und im beratungsfreien Geschäft sowie eine Informationsüberflutung vermieden werden. 
  • Gleichzeitig wären Maßnahmen förderlich, die Anreize für den allgemeinen, kapitalmarkt-gedeckten Vermögensaufbau sowie die kapitalgedeckte Altersvorsorge bieten.
  • Neben der EU-Regulierung sind auch Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten unverzichtbar. Diese können sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. Im Falle Deutschlands kommt es zum Beispiel insbesondere darauf an, viel stärker auch Elemente der privaten Altersvorsorge zu entwickeln. 

4.3 Prozess der Rechtsetzung und Regulierung

  • Neben der sehr zielgerichteten Anpassung zentraler Bereiche des materiellen EU-Rechts wäre auch eine Anpassung des zugrundliegenden EU-Rechtsetzungsprozesses sinnvoll. Er ist heute zu schwerfällig, selbst dort, wo lediglich bestehendes Recht überarbeitet wird. 
  • Um die schnelle Entwicklung von Märkten nicht zu behindern bzw. in der Rechtsetzung schneller nachzuvollziehen, sollte die Rechtsetzung auf Level 1 (politische Gesetzgebung) grundsätzlich nur Ziele vorgeben und dabei auf Detailtiefe, Komplexität und Granularität so weit wie möglich verzichten. Bei der Wahl des richtigen Weges bzw. Mittels zur Erreichung des Ziels müssen Effizienz (Kosten-/Nutzenverhältnis) sowie Flexibilität der Marktteilnehmer und Aufsicht als Richtschnur gelten.
  • Auch die Ausgestaltung der Maßnahmen auf den sogenannten Level 2 und 3 sollte weitestgehend durch prinzipienbasierte Vorgaben erfolgen und auf komplexe Detailvorgaben verzichten. 
  • Wettbewerbsfähigkeit muss als Maßstab der Rechtsetzung auch auf der Durchführungsebene (Level 2 und 3) und damit für die Europäischen Aufsichtsbehörden in ihrer Funktion als Rechtsetzer (nicht als Überwacher) gelten. So sollte unter mehreren möglichen Maßnahmen, ein regulatorisches Ziel zu erreichen, stets diejenige ausgewählt werden, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kapitalmärkte am wenigsten schwächt bzw. am meisten stärkt.

4.4 Europäisierung und Kohärenz der Aufsicht 

  • Neben der EU-weit einheitlichen Regulierung bzw. Rechtsetzung im Kapitalmarktbereich an den Stellen, wo dies sinnvoll ist, spielt auch die Aufsicht über die Einhaltung dieser Regeln eine erhebliche Rolle für die Entwicklung und Vereinheitlichung der Kapitalmärkte in der EU. 
  • Neben den nationalen gibt es die europäischen Aufsichtsbehörden, die Zuständigkeiten sind unten ihnen aufgeteilt. 
  • Auch für die Aufsicht (wie für die Regulierung) gilt, dass jeweils dort eine Europäisierung bzw. Harmonisierung bzw. Kohärenz angestrebt werden sollte, wo dies für die Entwicklung der Kapitalmärkte und letztlich für die Finanzierung der Wirtschaft sinnvoll ist.
  • Nicht sinnvoll ist es, wenn die unterschiedliche Anwendung bzw. Interpretation der EU-Vorgaben oder eine ungleiche Kontrolldichte durch nationale Aufsichtsbehörden zu einem unterschiedlichen Qualitäts- und Schutzniveau und daraus folgend zu Aufsichtsarbitrage führen. Faktisch werden in einigen Mitgliedstaaten Regeln nicht streng beaufsichtigt. Die Lösung kann an dieser Stelle aber nicht lauten, auf EU-Ebene immer strengere Vorschriften zu erlassen, die dann weiterhin nicht überall einheitlich eingehalten werden. Die Anwendung von EU-Vorgaben und deren Überprüfung muss grundsätzlich EU-weit einheitlich erfolgen, auch wenn sicherlich marktübliche Besonderheiten oder unterschiedliche rechtliche Ausgestaltungen in den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden können.
  • Ähnlich wie bei der Rechtsetzung muss auch nicht die gesamte Aufsicht vollständig auf EU-Behörden übertragen werden. Auch hier sind Teillösungen der richtige Weg. Unterschieden werden sollte nach Entwicklungsgrad des jeweiligen Marktsegments bzw. nach Produkt und Aktivität (z. B. Marktinfrastrukturen wie CCPs, CSDs, Handelsplätze, geregelte Märkte, Verbriefungen, Fonds, Prospekte, Handelsabwicklung usw.).

Miye Kohlhase
Miye KohlhaseMitglied der Geschäftsleitung, Kunden und Märkte
Dr. Hendrik Hartenstein
Dr. Hendrik HartensteinThemengruppenleiter, Director